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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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anstaltuug gehalten werden, brauchen wir ja nicht anzuhören, aber trotzdem können
wir dem Rufe zum Heil nicht entgehn; schreit uns doch die Mission von allen
Straßenecken, von allen Mauern und Bahnhofwänden in die Augen, Den Rekord
hat vorläufig schert mit seinem schwarz-roten Riesenplnkat erreicht, worauf er uns
verkündigt, daß schon 300000 Abonnenten die allein seligmachende Seelenspeise von
ihm beziehn. In einem Bahnwartesaale sahen wir neulich zu, wie ein Diener
irgend einer Mission und der Bahnhofportier miteinander vergeblich eine leere Stelle
an den vier Wänden suchten, wo die neuste Heilsbotschaft angeklebt werden könnte.
Ebenso wenig können wir den missionierenden Drucksachen entgehn, mit denen die
Post unsern Papierkorb füllt. Recht gerührt hat uns eine Zuschrift des Herrn
August Schwarzkopf in Erfurt, die lautet: "Von dem beiliegenden Flugblatte be¬
absichtige ich eine Million Stück drucken zu lassen, und erbitte ich herzlich und
dringend Ihre Mithilfe bei der Verbreitung in allen erreichbaren Kreisen." Was
uns rührt, das ist die Uneigennützigkeit des Mannes. Er ist nämlich Lederwaren-
fnbrikcmt, sein Flugblatt aber predigt die Heilsbotschaft der Vegetnriauer. Es ist
überschrieben: "12 Gründe gegen den Fleischgenuß vom Standpunkte des Christen¬
tums" und beweist, daß nicht allein der Fleischgenuß selbst Sünde ist, sondern auch
zu alle" deu Sünden und Lastern verführt, die das Seelenheil gefährden. Wenn
nun die Meuscheu dieser Mahnung folgen und als zweibeinige Ochsen und Kälber
Gras fressen, woher wird dann Herr Schwarzkopf die vierbeinigen Ochsen nehmen,
die ihm bis jetzt die Häute für sein Leder geliefert haben? Daß er dem Flug¬
blatt ein Preisverzeichnis seiner Sandalen beigelegt hat, die er "allen Naturmenschen,
Sportmenschen, Turnern, Vegetariern, Freunden natürlicher Lebensweise und ge¬
sunder Denkart" empfiehlt, ist wohl nur der Purtoersparnis wegen geschehn. Die
Geistlichen dürften sich bewogen fühlen, Herrn Schwarzkopf zu einer ernsthaften
Verhandlung einzuladen, denn er, oder sein theologischer Tintenkuli, hat in dem
Flugblatt nahe an vierzig Bibelstellen nicht allein angeführt, sondern interpretiert.
Eine neue interessante Spezies des Joao atiAmglltArimz voraus! Außer dem poli¬
tischen und Parteireptil und dem Trinkgeldempfänger der Grüuderkonsortien hatte
man bisher nur deu Juseratcndichter gekannt. Ein wirklicher Dichter, einer der
wirklich lyrisches Talent hat, vertraute uns einmal, daß die Arbeit für die Goldne 110
die einzige Art von Poetenarbeit sei, die ihren Mann nähre, Nun, vielleicht ge¬
winnen jetzt die Schuhfabriken durch ein höheres Angebot den Vegetariertheologen
oder auch einen andern, der aus der Bibel beweist, daß man nicht anders als ge¬
stiefelt ins Himmelreich eingehn kaun.


Na,us in ISnAlancl!

Die Ur. 577 der 8onem ^ckrioa. vom 13, Januar d. I,
bringt auf Seite 133 folgendes: "Ein Mitarbeiter schreibt uns: Meine Frau, die
eine Deutsche ist, bekam gestern einen Brief von ihrer in Stuttgart wohnenden
Schwester. Darin heißt es: Massenweise fahren hier Leute ab, um für die Buren
zu fechte". Es sind keine aktiven Soldaten, sondern ausgediente, die sich jetzt die
hohen Summen verdienen wollen, die ihnen angeboten werden." Eine Namens¬
unterschrift oder eine untre der Schwere der gegen Deutschland erhabnen Be¬
schuldigung entsprechende Gewähr zu leisten, hat die Redaktion der Konto ^Vkiio"
nicht für nötig gehalten. Wir hängen den Fall nur deshalb niedriger, weil das
in London erscheinende und den südafrikanischen Interessen Englands dienende
Wochenblatt überall in den großen Engländerhotels der Riviera und der italienischen
Hauptstädte verbreitet ist, also nicht bloß für die niedern Klassen und ihre Er¬
ziehung berechnet ist.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig

anstaltuug gehalten werden, brauchen wir ja nicht anzuhören, aber trotzdem können
wir dem Rufe zum Heil nicht entgehn; schreit uns doch die Mission von allen
Straßenecken, von allen Mauern und Bahnhofwänden in die Augen, Den Rekord
hat vorläufig schert mit seinem schwarz-roten Riesenplnkat erreicht, worauf er uns
verkündigt, daß schon 300000 Abonnenten die allein seligmachende Seelenspeise von
ihm beziehn. In einem Bahnwartesaale sahen wir neulich zu, wie ein Diener
irgend einer Mission und der Bahnhofportier miteinander vergeblich eine leere Stelle
an den vier Wänden suchten, wo die neuste Heilsbotschaft angeklebt werden könnte.
Ebenso wenig können wir den missionierenden Drucksachen entgehn, mit denen die
Post unsern Papierkorb füllt. Recht gerührt hat uns eine Zuschrift des Herrn
August Schwarzkopf in Erfurt, die lautet: „Von dem beiliegenden Flugblatte be¬
absichtige ich eine Million Stück drucken zu lassen, und erbitte ich herzlich und
dringend Ihre Mithilfe bei der Verbreitung in allen erreichbaren Kreisen." Was
uns rührt, das ist die Uneigennützigkeit des Mannes. Er ist nämlich Lederwaren-
fnbrikcmt, sein Flugblatt aber predigt die Heilsbotschaft der Vegetnriauer. Es ist
überschrieben: „12 Gründe gegen den Fleischgenuß vom Standpunkte des Christen¬
tums" und beweist, daß nicht allein der Fleischgenuß selbst Sünde ist, sondern auch
zu alle» deu Sünden und Lastern verführt, die das Seelenheil gefährden. Wenn
nun die Meuscheu dieser Mahnung folgen und als zweibeinige Ochsen und Kälber
Gras fressen, woher wird dann Herr Schwarzkopf die vierbeinigen Ochsen nehmen,
die ihm bis jetzt die Häute für sein Leder geliefert haben? Daß er dem Flug¬
blatt ein Preisverzeichnis seiner Sandalen beigelegt hat, die er „allen Naturmenschen,
Sportmenschen, Turnern, Vegetariern, Freunden natürlicher Lebensweise und ge¬
sunder Denkart" empfiehlt, ist wohl nur der Purtoersparnis wegen geschehn. Die
Geistlichen dürften sich bewogen fühlen, Herrn Schwarzkopf zu einer ernsthaften
Verhandlung einzuladen, denn er, oder sein theologischer Tintenkuli, hat in dem
Flugblatt nahe an vierzig Bibelstellen nicht allein angeführt, sondern interpretiert.
Eine neue interessante Spezies des Joao atiAmglltArimz voraus! Außer dem poli¬
tischen und Parteireptil und dem Trinkgeldempfänger der Grüuderkonsortien hatte
man bisher nur deu Juseratcndichter gekannt. Ein wirklicher Dichter, einer der
wirklich lyrisches Talent hat, vertraute uns einmal, daß die Arbeit für die Goldne 110
die einzige Art von Poetenarbeit sei, die ihren Mann nähre, Nun, vielleicht ge¬
winnen jetzt die Schuhfabriken durch ein höheres Angebot den Vegetariertheologen
oder auch einen andern, der aus der Bibel beweist, daß man nicht anders als ge¬
stiefelt ins Himmelreich eingehn kaun.


Na,us in ISnAlancl!

Die Ur. 577 der 8onem ^ckrioa. vom 13, Januar d. I,
bringt auf Seite 133 folgendes: „Ein Mitarbeiter schreibt uns: Meine Frau, die
eine Deutsche ist, bekam gestern einen Brief von ihrer in Stuttgart wohnenden
Schwester. Darin heißt es: Massenweise fahren hier Leute ab, um für die Buren
zu fechte». Es sind keine aktiven Soldaten, sondern ausgediente, die sich jetzt die
hohen Summen verdienen wollen, die ihnen angeboten werden." Eine Namens¬
unterschrift oder eine untre der Schwere der gegen Deutschland erhabnen Be¬
schuldigung entsprechende Gewähr zu leisten, hat die Redaktion der Konto ^Vkiio»
nicht für nötig gehalten. Wir hängen den Fall nur deshalb niedriger, weil das
in London erscheinende und den südafrikanischen Interessen Englands dienende
Wochenblatt überall in den großen Engländerhotels der Riviera und der italienischen
Hauptstädte verbreitet ist, also nicht bloß für die niedern Klassen und ihre Er¬
ziehung berechnet ist.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0528] anstaltuug gehalten werden, brauchen wir ja nicht anzuhören, aber trotzdem können wir dem Rufe zum Heil nicht entgehn; schreit uns doch die Mission von allen Straßenecken, von allen Mauern und Bahnhofwänden in die Augen, Den Rekord hat vorläufig schert mit seinem schwarz-roten Riesenplnkat erreicht, worauf er uns verkündigt, daß schon 300000 Abonnenten die allein seligmachende Seelenspeise von ihm beziehn. In einem Bahnwartesaale sahen wir neulich zu, wie ein Diener irgend einer Mission und der Bahnhofportier miteinander vergeblich eine leere Stelle an den vier Wänden suchten, wo die neuste Heilsbotschaft angeklebt werden könnte. Ebenso wenig können wir den missionierenden Drucksachen entgehn, mit denen die Post unsern Papierkorb füllt. Recht gerührt hat uns eine Zuschrift des Herrn August Schwarzkopf in Erfurt, die lautet: „Von dem beiliegenden Flugblatte be¬ absichtige ich eine Million Stück drucken zu lassen, und erbitte ich herzlich und dringend Ihre Mithilfe bei der Verbreitung in allen erreichbaren Kreisen." Was uns rührt, das ist die Uneigennützigkeit des Mannes. Er ist nämlich Lederwaren- fnbrikcmt, sein Flugblatt aber predigt die Heilsbotschaft der Vegetnriauer. Es ist überschrieben: „12 Gründe gegen den Fleischgenuß vom Standpunkte des Christen¬ tums" und beweist, daß nicht allein der Fleischgenuß selbst Sünde ist, sondern auch zu alle» deu Sünden und Lastern verführt, die das Seelenheil gefährden. Wenn nun die Meuscheu dieser Mahnung folgen und als zweibeinige Ochsen und Kälber Gras fressen, woher wird dann Herr Schwarzkopf die vierbeinigen Ochsen nehmen, die ihm bis jetzt die Häute für sein Leder geliefert haben? Daß er dem Flug¬ blatt ein Preisverzeichnis seiner Sandalen beigelegt hat, die er „allen Naturmenschen, Sportmenschen, Turnern, Vegetariern, Freunden natürlicher Lebensweise und ge¬ sunder Denkart" empfiehlt, ist wohl nur der Purtoersparnis wegen geschehn. Die Geistlichen dürften sich bewogen fühlen, Herrn Schwarzkopf zu einer ernsthaften Verhandlung einzuladen, denn er, oder sein theologischer Tintenkuli, hat in dem Flugblatt nahe an vierzig Bibelstellen nicht allein angeführt, sondern interpretiert. Eine neue interessante Spezies des Joao atiAmglltArimz voraus! Außer dem poli¬ tischen und Parteireptil und dem Trinkgeldempfänger der Grüuderkonsortien hatte man bisher nur deu Juseratcndichter gekannt. Ein wirklicher Dichter, einer der wirklich lyrisches Talent hat, vertraute uns einmal, daß die Arbeit für die Goldne 110 die einzige Art von Poetenarbeit sei, die ihren Mann nähre, Nun, vielleicht ge¬ winnen jetzt die Schuhfabriken durch ein höheres Angebot den Vegetariertheologen oder auch einen andern, der aus der Bibel beweist, daß man nicht anders als ge¬ stiefelt ins Himmelreich eingehn kaun. Na,us in ISnAlancl! Die Ur. 577 der 8onem ^ckrioa. vom 13, Januar d. I, bringt auf Seite 133 folgendes: „Ein Mitarbeiter schreibt uns: Meine Frau, die eine Deutsche ist, bekam gestern einen Brief von ihrer in Stuttgart wohnenden Schwester. Darin heißt es: Massenweise fahren hier Leute ab, um für die Buren zu fechte». Es sind keine aktiven Soldaten, sondern ausgediente, die sich jetzt die hohen Summen verdienen wollen, die ihnen angeboten werden." Eine Namens¬ unterschrift oder eine untre der Schwere der gegen Deutschland erhabnen Be¬ schuldigung entsprechende Gewähr zu leisten, hat die Redaktion der Konto ^Vkiio» nicht für nötig gehalten. Wir hängen den Fall nur deshalb niedriger, weil das in London erscheinende und den südafrikanischen Interessen Englands dienende Wochenblatt überall in den großen Engländerhotels der Riviera und der italienischen Hauptstädte verbreitet ist, also nicht bloß für die niedern Klassen und ihre Er¬ ziehung berechnet ist. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh, Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/528>, abgerufen am 05.12.2024.