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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Der Ministerwechsel in Österreich

er Beweis für die Gleichwertigkeit zwar noch nicht des Tschechcn-
tmns mit dem Deutschtum, wohl aber der tschechischen mit der
deutschen Obstruktion ist nun glücklich erbracht worden. So wie
Graf Thun dem Widerstande der Deutschen, hat Graf Clary
dem der Tschechen weichen müssen, obwohl sich die Krone nach¬
drücklich für ihn und für die parlamentarische Erledigung der ein einen be¬
stimmten Termin, an das Ende des Jahres, gebundnen sogenannten Staats-
Notwendigkeiten einsetzte. Die mißbräuchliche Anwendung des Notparagraphen 14
der Verfassung durch die Grafen Badeni und Thun zur Überwindung der aus
dem tschechisch-deutschen Sprachenstrcit entsprungnen parlamentarischen Schwierig¬
keiten war als die Quelle der tiefgehenden Störung des konstitutionellen Lebens
in Österreich erkannt worden, und fast alle Parteien zeigten sich einig in der
Absicht, entweder durch gänzliche Abschaffung oder durch gründliche Abänderung
dieses schwachen Punkts der Verfassung eine Wiederholung der für das Ansehn
der Monarchie schädlichen Erscheinungen der verflossenen drei Jahre zu ver¬
hindern. In dem zur Abänderung der betreffenden Verfassnugsbesttmmung ein¬
gesetzten Ausschüsse traten neben den Deutschnationalen und den Sozialdemo¬
kraten auch die Jungtschechen für die Aufhebung des 14 ein, die dann auch,
im Widerspruch zu dem erhaltnen Mandat, nach dem Fallenlassen aller ge¬
mäßigtem Anträge zum Beschluß erhoben wurde. Vorher hatte aber schon
Graf Clary in offner Reichsratssitzung die Erklärung abgegeben, daß er sich
eines verfassungswidrigen Gebrauchs der nlliing. rs-dio ratloser Staatsmänner
enthalten werde. Diese von konstitutionellem Gefühl zeugende freiwillige Be¬
schränkung seiner Handlungsfreiheit machten sich nun die über die Aufhebung
der Sprachenverordnungen außer Rand und Band geratucn Jungtschechen
zu nutze. Um "die Beleidigung ihrer Nation," die Aberkennung ihrer mit
Leidenschaft angestrebten Gleichwertigkeit zu rächen, beschlossen sie, dem Grafen
Clary weder ein Budgetprovisorium noch die einzige vom Kabinett Thun-Kcnzl


Grenzboten I 1900 14


Der Ministerwechsel in Österreich

er Beweis für die Gleichwertigkeit zwar noch nicht des Tschechcn-
tmns mit dem Deutschtum, wohl aber der tschechischen mit der
deutschen Obstruktion ist nun glücklich erbracht worden. So wie
Graf Thun dem Widerstande der Deutschen, hat Graf Clary
dem der Tschechen weichen müssen, obwohl sich die Krone nach¬
drücklich für ihn und für die parlamentarische Erledigung der ein einen be¬
stimmten Termin, an das Ende des Jahres, gebundnen sogenannten Staats-
Notwendigkeiten einsetzte. Die mißbräuchliche Anwendung des Notparagraphen 14
der Verfassung durch die Grafen Badeni und Thun zur Überwindung der aus
dem tschechisch-deutschen Sprachenstrcit entsprungnen parlamentarischen Schwierig¬
keiten war als die Quelle der tiefgehenden Störung des konstitutionellen Lebens
in Österreich erkannt worden, und fast alle Parteien zeigten sich einig in der
Absicht, entweder durch gänzliche Abschaffung oder durch gründliche Abänderung
dieses schwachen Punkts der Verfassung eine Wiederholung der für das Ansehn
der Monarchie schädlichen Erscheinungen der verflossenen drei Jahre zu ver¬
hindern. In dem zur Abänderung der betreffenden Verfassnugsbesttmmung ein¬
gesetzten Ausschüsse traten neben den Deutschnationalen und den Sozialdemo¬
kraten auch die Jungtschechen für die Aufhebung des 14 ein, die dann auch,
im Widerspruch zu dem erhaltnen Mandat, nach dem Fallenlassen aller ge¬
mäßigtem Anträge zum Beschluß erhoben wurde. Vorher hatte aber schon
Graf Clary in offner Reichsratssitzung die Erklärung abgegeben, daß er sich
eines verfassungswidrigen Gebrauchs der nlliing. rs-dio ratloser Staatsmänner
enthalten werde. Diese von konstitutionellem Gefühl zeugende freiwillige Be¬
schränkung seiner Handlungsfreiheit machten sich nun die über die Aufhebung
der Sprachenverordnungen außer Rand und Band geratucn Jungtschechen
zu nutze. Um „die Beleidigung ihrer Nation," die Aberkennung ihrer mit
Leidenschaft angestrebten Gleichwertigkeit zu rächen, beschlossen sie, dem Grafen
Clary weder ein Budgetprovisorium noch die einzige vom Kabinett Thun-Kcnzl


Grenzboten I 1900 14
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[0113] [Abbildung] Der Ministerwechsel in Österreich er Beweis für die Gleichwertigkeit zwar noch nicht des Tschechcn- tmns mit dem Deutschtum, wohl aber der tschechischen mit der deutschen Obstruktion ist nun glücklich erbracht worden. So wie Graf Thun dem Widerstande der Deutschen, hat Graf Clary dem der Tschechen weichen müssen, obwohl sich die Krone nach¬ drücklich für ihn und für die parlamentarische Erledigung der ein einen be¬ stimmten Termin, an das Ende des Jahres, gebundnen sogenannten Staats- Notwendigkeiten einsetzte. Die mißbräuchliche Anwendung des Notparagraphen 14 der Verfassung durch die Grafen Badeni und Thun zur Überwindung der aus dem tschechisch-deutschen Sprachenstrcit entsprungnen parlamentarischen Schwierig¬ keiten war als die Quelle der tiefgehenden Störung des konstitutionellen Lebens in Österreich erkannt worden, und fast alle Parteien zeigten sich einig in der Absicht, entweder durch gänzliche Abschaffung oder durch gründliche Abänderung dieses schwachen Punkts der Verfassung eine Wiederholung der für das Ansehn der Monarchie schädlichen Erscheinungen der verflossenen drei Jahre zu ver¬ hindern. In dem zur Abänderung der betreffenden Verfassnugsbesttmmung ein¬ gesetzten Ausschüsse traten neben den Deutschnationalen und den Sozialdemo¬ kraten auch die Jungtschechen für die Aufhebung des 14 ein, die dann auch, im Widerspruch zu dem erhaltnen Mandat, nach dem Fallenlassen aller ge¬ mäßigtem Anträge zum Beschluß erhoben wurde. Vorher hatte aber schon Graf Clary in offner Reichsratssitzung die Erklärung abgegeben, daß er sich eines verfassungswidrigen Gebrauchs der nlliing. rs-dio ratloser Staatsmänner enthalten werde. Diese von konstitutionellem Gefühl zeugende freiwillige Be¬ schränkung seiner Handlungsfreiheit machten sich nun die über die Aufhebung der Sprachenverordnungen außer Rand und Band geratucn Jungtschechen zu nutze. Um „die Beleidigung ihrer Nation," die Aberkennung ihrer mit Leidenschaft angestrebten Gleichwertigkeit zu rächen, beschlossen sie, dem Grafen Clary weder ein Budgetprovisorium noch die einzige vom Kabinett Thun-Kcnzl Grenzboten I 1900 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/113>, abgerufen am 22.07.2024.