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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Viel Neues und Interessantes namentlich ans entlegner" Gebieten des histo¬
rischen Wissens bringen; dafür bürgt schon Konrad Häblers Geschichte von
Amerika, die einen ungeheuern Stoff in lichtvoller Darstellung zusammenfaßt,
wie sie in dieser Form wohl kaum schon irgendwo geboten worden ist; aber
die eigentliche Aufgabe der Weltgeschichte kann es seiner ganzen Anlage nach
nicht lösen. Der an sich interessante und geistvolle Versuch ist doch nur ein
neuer Einbruch der naturwissenschaftlichen Methode in das Gebiet der Geschichte;
er wird die Historiker anregen, die Grundlagen ihrer Arbeit erneut zu prüfen,
und wird sie jedenfalls dazu führen, die Grenzen ihrer Forschung und Dar¬
stellung dauernd zu erweitern, aber an der natürlichen Methode wird er nichts
ändern können, ebenso wenig wie sich die Historiker dem Versuche unterworfen
^ haben, ihrem Stoffe mechanische Naturgesetze aufzuzwingen.




Der Römerstaat
2. soziale Aämpfe

oll es zu der Bildung eines bedeutenden Staates kommen, so ist
erstens ein geeignetes Land erforderlich -- diese geographische Be¬
dingung lassen wir in unsern Betrachtungen beiseite --, zweitens
ein tüchtiges Volk. In naiven Zeiten offenbart sich der Charakter
eines Volks deutlich in seiner Religion, und an ihrer Religion
haben wir die Römer charakterisiert. Drittens gehört zur Staatenbildung eine
Fülle von Gegensätzen; denn bei völliger Gleichartigkeit der Gesinnungen und
Stimmungen, der Bildung und der sozialen Lage, und wenn Interessenkonflikte
fehlen, ist weder für Gesetzgebung und Entwicklung von Verfassungen noch für'
auswärtige Unternehmungen eine Veranlassung vorhanden. Es kommt dann
zu keinem politischen Leben, zu keinem Staat; ein solches Volk lebt als friedlich
weidende Herde, oder als friedlich fischende; denn die Eskimos dürften diesem
Kulturideal am nächsten kommen. Mommsen schreibt vom patrizischen Adel
Roms: "Hätte er es vermocht, die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller
Rechtsgleichheit zuzulassen, so mochten beide noch lange ungestraft regieren und
spekulieren. Allein die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, welche die eigentlichen
und unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums sind, verleugneten sich
auch in Rom nicht und zerrissen die mächtige Gemeinde in nutz-, zick- und
ruhmlosen Hader." Ich erlaube mir, abweichend von dem zweitgrößten aller
Verfasser einer römischen Geschichte, diesen Hader keineswegs für nutzlos zu


Der Römerstaat

Viel Neues und Interessantes namentlich ans entlegner» Gebieten des histo¬
rischen Wissens bringen; dafür bürgt schon Konrad Häblers Geschichte von
Amerika, die einen ungeheuern Stoff in lichtvoller Darstellung zusammenfaßt,
wie sie in dieser Form wohl kaum schon irgendwo geboten worden ist; aber
die eigentliche Aufgabe der Weltgeschichte kann es seiner ganzen Anlage nach
nicht lösen. Der an sich interessante und geistvolle Versuch ist doch nur ein
neuer Einbruch der naturwissenschaftlichen Methode in das Gebiet der Geschichte;
er wird die Historiker anregen, die Grundlagen ihrer Arbeit erneut zu prüfen,
und wird sie jedenfalls dazu führen, die Grenzen ihrer Forschung und Dar¬
stellung dauernd zu erweitern, aber an der natürlichen Methode wird er nichts
ändern können, ebenso wenig wie sich die Historiker dem Versuche unterworfen
^ haben, ihrem Stoffe mechanische Naturgesetze aufzuzwingen.




Der Römerstaat
2. soziale Aämpfe

oll es zu der Bildung eines bedeutenden Staates kommen, so ist
erstens ein geeignetes Land erforderlich — diese geographische Be¬
dingung lassen wir in unsern Betrachtungen beiseite —, zweitens
ein tüchtiges Volk. In naiven Zeiten offenbart sich der Charakter
eines Volks deutlich in seiner Religion, und an ihrer Religion
haben wir die Römer charakterisiert. Drittens gehört zur Staatenbildung eine
Fülle von Gegensätzen; denn bei völliger Gleichartigkeit der Gesinnungen und
Stimmungen, der Bildung und der sozialen Lage, und wenn Interessenkonflikte
fehlen, ist weder für Gesetzgebung und Entwicklung von Verfassungen noch für'
auswärtige Unternehmungen eine Veranlassung vorhanden. Es kommt dann
zu keinem politischen Leben, zu keinem Staat; ein solches Volk lebt als friedlich
weidende Herde, oder als friedlich fischende; denn die Eskimos dürften diesem
Kulturideal am nächsten kommen. Mommsen schreibt vom patrizischen Adel
Roms: „Hätte er es vermocht, die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller
Rechtsgleichheit zuzulassen, so mochten beide noch lange ungestraft regieren und
spekulieren. Allein die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, welche die eigentlichen
und unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums sind, verleugneten sich
auch in Rom nicht und zerrissen die mächtige Gemeinde in nutz-, zick- und
ruhmlosen Hader." Ich erlaube mir, abweichend von dem zweitgrößten aller
Verfasser einer römischen Geschichte, diesen Hader keineswegs für nutzlos zu


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[0263] Der Römerstaat Viel Neues und Interessantes namentlich ans entlegner» Gebieten des histo¬ rischen Wissens bringen; dafür bürgt schon Konrad Häblers Geschichte von Amerika, die einen ungeheuern Stoff in lichtvoller Darstellung zusammenfaßt, wie sie in dieser Form wohl kaum schon irgendwo geboten worden ist; aber die eigentliche Aufgabe der Weltgeschichte kann es seiner ganzen Anlage nach nicht lösen. Der an sich interessante und geistvolle Versuch ist doch nur ein neuer Einbruch der naturwissenschaftlichen Methode in das Gebiet der Geschichte; er wird die Historiker anregen, die Grundlagen ihrer Arbeit erneut zu prüfen, und wird sie jedenfalls dazu führen, die Grenzen ihrer Forschung und Dar¬ stellung dauernd zu erweitern, aber an der natürlichen Methode wird er nichts ändern können, ebenso wenig wie sich die Historiker dem Versuche unterworfen ^ haben, ihrem Stoffe mechanische Naturgesetze aufzuzwingen. Der Römerstaat 2. soziale Aämpfe oll es zu der Bildung eines bedeutenden Staates kommen, so ist erstens ein geeignetes Land erforderlich — diese geographische Be¬ dingung lassen wir in unsern Betrachtungen beiseite —, zweitens ein tüchtiges Volk. In naiven Zeiten offenbart sich der Charakter eines Volks deutlich in seiner Religion, und an ihrer Religion haben wir die Römer charakterisiert. Drittens gehört zur Staatenbildung eine Fülle von Gegensätzen; denn bei völliger Gleichartigkeit der Gesinnungen und Stimmungen, der Bildung und der sozialen Lage, und wenn Interessenkonflikte fehlen, ist weder für Gesetzgebung und Entwicklung von Verfassungen noch für' auswärtige Unternehmungen eine Veranlassung vorhanden. Es kommt dann zu keinem politischen Leben, zu keinem Staat; ein solches Volk lebt als friedlich weidende Herde, oder als friedlich fischende; denn die Eskimos dürften diesem Kulturideal am nächsten kommen. Mommsen schreibt vom patrizischen Adel Roms: „Hätte er es vermocht, die reichen und ansehnlichen Plebejer zu voller Rechtsgleichheit zuzulassen, so mochten beide noch lange ungestraft regieren und spekulieren. Allein die Engherzigkeit und Kurzsichtigkeit, welche die eigentlichen und unverlierbaren Privilegien alles echten Junkertums sind, verleugneten sich auch in Rom nicht und zerrissen die mächtige Gemeinde in nutz-, zick- und ruhmlosen Hader." Ich erlaube mir, abweichend von dem zweitgrößten aller Verfasser einer römischen Geschichte, diesen Hader keineswegs für nutzlos zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/263>, abgerufen am 15.01.2025.