Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.Der Römerstaat der zu ihrer Schlichtung nicht das Rüstzeug besitzt, nicht ein, sondern nimmt ^. Religion Wenn Paulus früher nach Rom gekommen wäre als nach Athen, so würde Der Römerstaat der zu ihrer Schlichtung nicht das Rüstzeug besitzt, nicht ein, sondern nimmt ^. Religion Wenn Paulus früher nach Rom gekommen wäre als nach Athen, so würde <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0131" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230563"/> <fw type="header" place="top"> Der Römerstaat</fw><lb/> <p xml:id="ID_425" prev="#ID_424"> der zu ihrer Schlichtung nicht das Rüstzeug besitzt, nicht ein, sondern nimmt<lb/> das, was die neuern Darstellungen bieten, als zuverlässige Grundlage. Und<lb/> diese neuern, aus den Ergebnissen der Kritik aufgebauten Bilder des alten<lb/> Rom unterscheiden sich nicht so gar sehr von den ältern Darstellungen, die<lb/> unbefangen den römischen und griechischen Geschichtschreibern folgten. Geht<lb/> es doch bei der Geschichtsforschung nicht viel anders zu als bei einem Zivil-<lb/> Prozeß: die zweite Instanz stößt das Urteil der ersten um, die dritte stellt es<lb/> wieder her. Der Hauptsache nach sieht die römische Geschichte bei Rösiger<lb/> und Schmidt (in Spamers Illustrierter Weltgeschichte) nicht viel anders aus<lb/> als bei Livius. Auch die übel berufnen Reden wollen wir uns nicht scheuen<lb/> fleißig zu benutzen. Daß Veturia ihrem Sohne Coriolan nicht auf offnem<lb/> Felde eine Rede wird gehalten haben, die an Länge mit einer Bebelschen Reichs¬<lb/> tagsrede und mit den Predigten der geflohcnsten Pastoren wetteifert iDionhs<lb/> von Halikarnaß VIII. Buch. Kap. 48 bis 53), das versteht sich von selbst,<lb/> aber irgend etwas muß sie doch gesagt, oder wenigstens weinend und schluchzend<lb/> gedacht haben, und das wird nichts andres gewesen sein, als was der red¬<lb/> selige Historiker breit ausspinnt. So haben auch die Senatoren nicht schweigend<lb/> beisammcngesessen und die Tribunen und Demagogen in den Volksversamm¬<lb/> lungen keine stummen Figuren gespielt; und hat Valerius nicht gesagt, was<lb/> ihn Dionys sagen läßt, so ists vielleicht Horatius gewesen, und ists nicht<lb/> gerade im Jahre 492 vor Christus gesagt worden, so doch vielleicht hundert Jahre<lb/> später einmal. Wenn Livius und Dionhsius nicht wenigstens den Hauptinhalt<lb/> dieser Reden in der mlindlichen oder schriftlichen Überlieferung vorgefunden,<lb/> sondern sie geradezu erdichtet hätten, dann müßte man sie als Dichter vom<lb/> Range Shakespeares preisen, denn diese Reden entsprechen nicht allein auf das<lb/> genauste der jedesmaligen Lage, sondern stellen uns diese Lage und die<lb/> handelnden Personen leibhaftig vor Augen. Die Divinationsgabe dieser<lb/> Autoren wäre um so mehr zu bewundern, da zu ihren Lebzeiten die Klassen¬<lb/> kämpfe längst vorüber waren; ihnen mußte es weit schwerer fallen, solche<lb/> Kämpfe zu verstehen, als uns heutigen, die wir welche erleben.</p><lb/> <div n="2"> <head> ^. Religion</head><lb/> <p xml:id="ID_426" next="#ID_427"> Wenn Paulus früher nach Rom gekommen wäre als nach Athen, so würde<lb/> er nicht die Athener, sondern die Römer die gottesfürchtigsten — oder aber¬<lb/> gläubischsten — aller Menschen genannt haben. Die Religion der Römer war,<lb/> wie jede ursprüngliche Religion, Naturreligion, d. h. man ehrte die Gottheit<lb/> in ihren physikalischen Kundgebungen. Von der griechischen unterschied sie sich<lb/> dadurch, daß die Römer, denen die lebhafte Phantasie und der Schönheitsdurst<lb/> der Grieche» abging, ihre Götter nicht zu lebenswahren und lebenswarmen<lb/> Menschengestalten fortbildeten, von denen man Geschichten erzählen, denen man<lb/> Abenteuer andichten, die man durch Liebschaften, Heiraten und Kinderzeugung</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0131]
Der Römerstaat
der zu ihrer Schlichtung nicht das Rüstzeug besitzt, nicht ein, sondern nimmt
das, was die neuern Darstellungen bieten, als zuverlässige Grundlage. Und
diese neuern, aus den Ergebnissen der Kritik aufgebauten Bilder des alten
Rom unterscheiden sich nicht so gar sehr von den ältern Darstellungen, die
unbefangen den römischen und griechischen Geschichtschreibern folgten. Geht
es doch bei der Geschichtsforschung nicht viel anders zu als bei einem Zivil-
Prozeß: die zweite Instanz stößt das Urteil der ersten um, die dritte stellt es
wieder her. Der Hauptsache nach sieht die römische Geschichte bei Rösiger
und Schmidt (in Spamers Illustrierter Weltgeschichte) nicht viel anders aus
als bei Livius. Auch die übel berufnen Reden wollen wir uns nicht scheuen
fleißig zu benutzen. Daß Veturia ihrem Sohne Coriolan nicht auf offnem
Felde eine Rede wird gehalten haben, die an Länge mit einer Bebelschen Reichs¬
tagsrede und mit den Predigten der geflohcnsten Pastoren wetteifert iDionhs
von Halikarnaß VIII. Buch. Kap. 48 bis 53), das versteht sich von selbst,
aber irgend etwas muß sie doch gesagt, oder wenigstens weinend und schluchzend
gedacht haben, und das wird nichts andres gewesen sein, als was der red¬
selige Historiker breit ausspinnt. So haben auch die Senatoren nicht schweigend
beisammcngesessen und die Tribunen und Demagogen in den Volksversamm¬
lungen keine stummen Figuren gespielt; und hat Valerius nicht gesagt, was
ihn Dionys sagen läßt, so ists vielleicht Horatius gewesen, und ists nicht
gerade im Jahre 492 vor Christus gesagt worden, so doch vielleicht hundert Jahre
später einmal. Wenn Livius und Dionhsius nicht wenigstens den Hauptinhalt
dieser Reden in der mlindlichen oder schriftlichen Überlieferung vorgefunden,
sondern sie geradezu erdichtet hätten, dann müßte man sie als Dichter vom
Range Shakespeares preisen, denn diese Reden entsprechen nicht allein auf das
genauste der jedesmaligen Lage, sondern stellen uns diese Lage und die
handelnden Personen leibhaftig vor Augen. Die Divinationsgabe dieser
Autoren wäre um so mehr zu bewundern, da zu ihren Lebzeiten die Klassen¬
kämpfe längst vorüber waren; ihnen mußte es weit schwerer fallen, solche
Kämpfe zu verstehen, als uns heutigen, die wir welche erleben.
^. Religion
Wenn Paulus früher nach Rom gekommen wäre als nach Athen, so würde
er nicht die Athener, sondern die Römer die gottesfürchtigsten — oder aber¬
gläubischsten — aller Menschen genannt haben. Die Religion der Römer war,
wie jede ursprüngliche Religion, Naturreligion, d. h. man ehrte die Gottheit
in ihren physikalischen Kundgebungen. Von der griechischen unterschied sie sich
dadurch, daß die Römer, denen die lebhafte Phantasie und der Schönheitsdurst
der Grieche» abging, ihre Götter nicht zu lebenswahren und lebenswarmen
Menschengestalten fortbildeten, von denen man Geschichten erzählen, denen man
Abenteuer andichten, die man durch Liebschaften, Heiraten und Kinderzeugung
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