Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Übelstände bei der Rentenbewilligung

finden, die sich gelegentlich lustig machen und polizeilich ausgewiesen werden
müssen. Sobald aber solche Ausweisungen einen politischen Umfang und
Charakter annehmen, greifen sie offenbar auf ein Gebiet hinüber, das wenigstens
bei uns in Deutschland zur Kompetenz weder eines Landrath, noch eines Re¬
gierungspräsidenten, noch selbst der Regierung eines einzelnen Bundesstaats
gehören sollte. Dieses Gebiet gehört zu der Vertretung des Reichs nach
außen hin. So berechtigt ein staatliches Einschreiten gegen dänische Gewalt¬
samkeiten in Nordschleswig gewesen sein mag, so hat es doch eine sehr reale
Wirkung auf das Verhältnis des Reichs zu einem benachbarten Staat, oder
kann diese Wirkung wenigstens haben. Wie Preußen gegen die Dünen ge¬
handelt hat, so kann man in andern Staaten gegen Österreicher, Schweizer,
Franzosen, Niederländer vorgehn, und vielleicht mit weniger Berechtigung.
Büreaukratischer Eifer ist oft geneigt zu gordischer Schneidigkeit, wo die größte
Behutsamkeit am Platze wäre. Daraus können internationale Spannungen
und Verwicklungen entstehn, die dem ganzen Reiche zur Last fallen. Daher
sollte dem Reichskanzler verfassungsmäßig die Entscheidung in Fällen zustehn,
wo es sich um notwendige Anwendung von Zwangsmitteln gegen fremde
Staatsangehörige handelt, die über die gewöhnlichen polizeilichen Maßregeln
gegen einzelne Personen hinausgehn.

Anmerkung der Redaktion.

Wir haben dem Verfasser, einem baltischen
Deutschen, der als solcher die Vergewaltigung nationaler Minderheiten besonders
schmerzlich empfindet, das Wort hier gegeben, weil sein Aufsatz vieles Gute
und Nichtige enthält, aber wir sind keineswegs durchweg mit ihm einverstanden.




Übelstände bei der Rentenbewilligung
Ernst Airchberg von (Schluß)

s ist kaum mehr eine friedliche Lösung der sozialen Frage für
die Invaliden der Arbeit, es ist ein Kampf auf der ganzen Linie.
Das erhellt am besten aus den alljährlichen Veröffentlichungen
des Reichsversicherungsamts über die Wirksamkeit der Schieds¬
gerichte und die Rechtsprechung beim Amte selbst. Die Zahl der
Fälle, in denen in Nentensachen gegen die Entscheidungen der Ver¬
sicherungsanstalten und Berufsgenossenschaften die höhern Instanzen, also in
zweiter Instanz die Schiedsgerichte, in dritter und letzter Instanz das Reichs-


Grenzbotm I 1899 89
Übelstände bei der Rentenbewilligung

finden, die sich gelegentlich lustig machen und polizeilich ausgewiesen werden
müssen. Sobald aber solche Ausweisungen einen politischen Umfang und
Charakter annehmen, greifen sie offenbar auf ein Gebiet hinüber, das wenigstens
bei uns in Deutschland zur Kompetenz weder eines Landrath, noch eines Re¬
gierungspräsidenten, noch selbst der Regierung eines einzelnen Bundesstaats
gehören sollte. Dieses Gebiet gehört zu der Vertretung des Reichs nach
außen hin. So berechtigt ein staatliches Einschreiten gegen dänische Gewalt¬
samkeiten in Nordschleswig gewesen sein mag, so hat es doch eine sehr reale
Wirkung auf das Verhältnis des Reichs zu einem benachbarten Staat, oder
kann diese Wirkung wenigstens haben. Wie Preußen gegen die Dünen ge¬
handelt hat, so kann man in andern Staaten gegen Österreicher, Schweizer,
Franzosen, Niederländer vorgehn, und vielleicht mit weniger Berechtigung.
Büreaukratischer Eifer ist oft geneigt zu gordischer Schneidigkeit, wo die größte
Behutsamkeit am Platze wäre. Daraus können internationale Spannungen
und Verwicklungen entstehn, die dem ganzen Reiche zur Last fallen. Daher
sollte dem Reichskanzler verfassungsmäßig die Entscheidung in Fällen zustehn,
wo es sich um notwendige Anwendung von Zwangsmitteln gegen fremde
Staatsangehörige handelt, die über die gewöhnlichen polizeilichen Maßregeln
gegen einzelne Personen hinausgehn.

Anmerkung der Redaktion.

Wir haben dem Verfasser, einem baltischen
Deutschen, der als solcher die Vergewaltigung nationaler Minderheiten besonders
schmerzlich empfindet, das Wort hier gegeben, weil sein Aufsatz vieles Gute
und Nichtige enthält, aber wir sind keineswegs durchweg mit ihm einverstanden.




Übelstände bei der Rentenbewilligung
Ernst Airchberg von (Schluß)

s ist kaum mehr eine friedliche Lösung der sozialen Frage für
die Invaliden der Arbeit, es ist ein Kampf auf der ganzen Linie.
Das erhellt am besten aus den alljährlichen Veröffentlichungen
des Reichsversicherungsamts über die Wirksamkeit der Schieds¬
gerichte und die Rechtsprechung beim Amte selbst. Die Zahl der
Fälle, in denen in Nentensachen gegen die Entscheidungen der Ver¬
sicherungsanstalten und Berufsgenossenschaften die höhern Instanzen, also in
zweiter Instanz die Schiedsgerichte, in dritter und letzter Instanz das Reichs-


Grenzbotm I 1899 89
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0713" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230399"/>
          <fw type="header" place="top"> Übelstände bei der Rentenbewilligung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3006" prev="#ID_3005"> finden, die sich gelegentlich lustig machen und polizeilich ausgewiesen werden<lb/>
müssen. Sobald aber solche Ausweisungen einen politischen Umfang und<lb/>
Charakter annehmen, greifen sie offenbar auf ein Gebiet hinüber, das wenigstens<lb/>
bei uns in Deutschland zur Kompetenz weder eines Landrath, noch eines Re¬<lb/>
gierungspräsidenten, noch selbst der Regierung eines einzelnen Bundesstaats<lb/>
gehören sollte. Dieses Gebiet gehört zu der Vertretung des Reichs nach<lb/>
außen hin. So berechtigt ein staatliches Einschreiten gegen dänische Gewalt¬<lb/>
samkeiten in Nordschleswig gewesen sein mag, so hat es doch eine sehr reale<lb/>
Wirkung auf das Verhältnis des Reichs zu einem benachbarten Staat, oder<lb/>
kann diese Wirkung wenigstens haben. Wie Preußen gegen die Dünen ge¬<lb/>
handelt hat, so kann man in andern Staaten gegen Österreicher, Schweizer,<lb/>
Franzosen, Niederländer vorgehn, und vielleicht mit weniger Berechtigung.<lb/>
Büreaukratischer Eifer ist oft geneigt zu gordischer Schneidigkeit, wo die größte<lb/>
Behutsamkeit am Platze wäre. Daraus können internationale Spannungen<lb/>
und Verwicklungen entstehn, die dem ganzen Reiche zur Last fallen. Daher<lb/>
sollte dem Reichskanzler verfassungsmäßig die Entscheidung in Fällen zustehn,<lb/>
wo es sich um notwendige Anwendung von Zwangsmitteln gegen fremde<lb/>
Staatsangehörige handelt, die über die gewöhnlichen polizeilichen Maßregeln<lb/>
gegen einzelne Personen hinausgehn.</p><lb/>
          <div n="2">
            <head> Anmerkung der Redaktion.</head>
            <p xml:id="ID_3007"> Wir haben dem Verfasser, einem baltischen<lb/>
Deutschen, der als solcher die Vergewaltigung nationaler Minderheiten besonders<lb/>
schmerzlich empfindet, das Wort hier gegeben, weil sein Aufsatz vieles Gute<lb/>
und Nichtige enthält, aber wir sind keineswegs durchweg mit ihm einverstanden.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Übelstände bei der Rentenbewilligung<lb/><note type="byline"> Ernst Airchberg</note> von (Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_3008" next="#ID_3009"> s ist kaum mehr eine friedliche Lösung der sozialen Frage für<lb/>
die Invaliden der Arbeit, es ist ein Kampf auf der ganzen Linie.<lb/>
Das erhellt am besten aus den alljährlichen Veröffentlichungen<lb/>
des Reichsversicherungsamts über die Wirksamkeit der Schieds¬<lb/>
gerichte und die Rechtsprechung beim Amte selbst. Die Zahl der<lb/>
Fälle, in denen in Nentensachen gegen die Entscheidungen der Ver¬<lb/>
sicherungsanstalten und Berufsgenossenschaften die höhern Instanzen, also in<lb/>
zweiter Instanz die Schiedsgerichte, in dritter und letzter Instanz das Reichs-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotm I 1899 89</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0713] Übelstände bei der Rentenbewilligung finden, die sich gelegentlich lustig machen und polizeilich ausgewiesen werden müssen. Sobald aber solche Ausweisungen einen politischen Umfang und Charakter annehmen, greifen sie offenbar auf ein Gebiet hinüber, das wenigstens bei uns in Deutschland zur Kompetenz weder eines Landrath, noch eines Re¬ gierungspräsidenten, noch selbst der Regierung eines einzelnen Bundesstaats gehören sollte. Dieses Gebiet gehört zu der Vertretung des Reichs nach außen hin. So berechtigt ein staatliches Einschreiten gegen dänische Gewalt¬ samkeiten in Nordschleswig gewesen sein mag, so hat es doch eine sehr reale Wirkung auf das Verhältnis des Reichs zu einem benachbarten Staat, oder kann diese Wirkung wenigstens haben. Wie Preußen gegen die Dünen ge¬ handelt hat, so kann man in andern Staaten gegen Österreicher, Schweizer, Franzosen, Niederländer vorgehn, und vielleicht mit weniger Berechtigung. Büreaukratischer Eifer ist oft geneigt zu gordischer Schneidigkeit, wo die größte Behutsamkeit am Platze wäre. Daraus können internationale Spannungen und Verwicklungen entstehn, die dem ganzen Reiche zur Last fallen. Daher sollte dem Reichskanzler verfassungsmäßig die Entscheidung in Fällen zustehn, wo es sich um notwendige Anwendung von Zwangsmitteln gegen fremde Staatsangehörige handelt, die über die gewöhnlichen polizeilichen Maßregeln gegen einzelne Personen hinausgehn. Anmerkung der Redaktion. Wir haben dem Verfasser, einem baltischen Deutschen, der als solcher die Vergewaltigung nationaler Minderheiten besonders schmerzlich empfindet, das Wort hier gegeben, weil sein Aufsatz vieles Gute und Nichtige enthält, aber wir sind keineswegs durchweg mit ihm einverstanden. Übelstände bei der Rentenbewilligung Ernst Airchberg von (Schluß) s ist kaum mehr eine friedliche Lösung der sozialen Frage für die Invaliden der Arbeit, es ist ein Kampf auf der ganzen Linie. Das erhellt am besten aus den alljährlichen Veröffentlichungen des Reichsversicherungsamts über die Wirksamkeit der Schieds¬ gerichte und die Rechtsprechung beim Amte selbst. Die Zahl der Fälle, in denen in Nentensachen gegen die Entscheidungen der Ver¬ sicherungsanstalten und Berufsgenossenschaften die höhern Instanzen, also in zweiter Instanz die Schiedsgerichte, in dritter und letzter Instanz das Reichs- Grenzbotm I 1899 89

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/713
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/713>, abgerufen am 23.07.2024.