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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Der goldne Engel
Luise Glaß Erzählung von1

le Sonne stand hinter Semle Barthelmä; stattlich hob sich die alte
Kirche mit ihrem turmhohen Dach vom Abendhimmel ub, und Line
Städel, die über den langen Markt auf die Kirche zu ging, mußte
blinzelnd die Augen schließen, denn eben jetzt kamen ein paar Strahlen
um den plumpen Anbau der Sakristei, und die ganze Markisette ent¬
lang blitzten und blendeten die Fenster der behäbigen Bürgerhäuser.

Das Mädchen mit dem eiligen WerleltagSschritt sah nicht rechts noch links.
Gewohnheit hatte ihr die besondern Schönheiten dieses Anblicks verwischt. Tag für
Tag eilte sie des Morgens hier herab, den Damen von Seukenberg mit ihren
Schneiderkiiusten zu dienen, und allabendlich kehrte sie, der Souue entgegen, nach
Hause zurück. Ihr Gesicht aber sah nicht sonneufroh aus, und je näher sie der
glanzverklärten Kirche kam, desto finstrer wurde es.

Sankt Barthelmn stand frei und hoch vor dem Abendhimmel; es war schon
lange her, daß man Thor und Mauern dort oben niedergelegt hatte, um den Kirch¬
platz frei zu mache". Aber die alte Apotheke zum goldnen Engel, zur rechten
das nächste Haus bei der Kirche, stützte sich noch heute fest auf das dauerhafte
Gemäuer.

Sie war das stattlichste Gebäude des Marktes; je und je hatten die
Brände, die mit dem Gerümpel der Stadt aufräumten, vor dem goldnen Engel
Halt gemacht.

Ihr Besitzer, der alte Nothnagel, erzählte gern, sein Haus habe ehemals
einem Kollegen des Doktor Faust gehört, der gerade so berühmt geworden wäre
wie dieser Teufelsbanner, wenn die Dichter ihn erwischt hätten statt des andern --
ungerechter Zufall, wie alles in der Welt."

Alt geung, diese Erzählung glaubhaft zu macheu, sah das Gebäude aus. Hoch
und steil war sein Dach, Erker und Türmchen, Bildwerk und Inschriften zierten
die Mnnern, breite Stufen mit schmiedeeisernen Geländer führten zu dem halbstock-
hoheu Laden hinnus, und die schmale Hausthür zu ebner Erde trug Eichenschnitzerei
im besten Nürnberger Geschmack, mit einem pausbäckigen Engel als Kronstück.

Auch über der Ladenthür, in der Höhe des ersten Stockwerks, thronte das
Wahrzeichen der Apotheke in einer spitzbogigen Nische, aber hier war es von neuer
geschmackloser Arbeit und wurde alljährlich frisch vergoldet. Um seines Glanzes willen




Der goldne Engel
Luise Glaß Erzählung von1

le Sonne stand hinter Semle Barthelmä; stattlich hob sich die alte
Kirche mit ihrem turmhohen Dach vom Abendhimmel ub, und Line
Städel, die über den langen Markt auf die Kirche zu ging, mußte
blinzelnd die Augen schließen, denn eben jetzt kamen ein paar Strahlen
um den plumpen Anbau der Sakristei, und die ganze Markisette ent¬
lang blitzten und blendeten die Fenster der behäbigen Bürgerhäuser.

Das Mädchen mit dem eiligen WerleltagSschritt sah nicht rechts noch links.
Gewohnheit hatte ihr die besondern Schönheiten dieses Anblicks verwischt. Tag für
Tag eilte sie des Morgens hier herab, den Damen von Seukenberg mit ihren
Schneiderkiiusten zu dienen, und allabendlich kehrte sie, der Souue entgegen, nach
Hause zurück. Ihr Gesicht aber sah nicht sonneufroh aus, und je näher sie der
glanzverklärten Kirche kam, desto finstrer wurde es.

Sankt Barthelmn stand frei und hoch vor dem Abendhimmel; es war schon
lange her, daß man Thor und Mauern dort oben niedergelegt hatte, um den Kirch¬
platz frei zu mache». Aber die alte Apotheke zum goldnen Engel, zur rechten
das nächste Haus bei der Kirche, stützte sich noch heute fest auf das dauerhafte
Gemäuer.

Sie war das stattlichste Gebäude des Marktes; je und je hatten die
Brände, die mit dem Gerümpel der Stadt aufräumten, vor dem goldnen Engel
Halt gemacht.

Ihr Besitzer, der alte Nothnagel, erzählte gern, sein Haus habe ehemals
einem Kollegen des Doktor Faust gehört, der gerade so berühmt geworden wäre
wie dieser Teufelsbanner, wenn die Dichter ihn erwischt hätten statt des andern —
ungerechter Zufall, wie alles in der Welt."

Alt geung, diese Erzählung glaubhaft zu macheu, sah das Gebäude aus. Hoch
und steil war sein Dach, Erker und Türmchen, Bildwerk und Inschriften zierten
die Mnnern, breite Stufen mit schmiedeeisernen Geländer führten zu dem halbstock-
hoheu Laden hinnus, und die schmale Hausthür zu ebner Erde trug Eichenschnitzerei
im besten Nürnberger Geschmack, mit einem pausbäckigen Engel als Kronstück.

Auch über der Ladenthür, in der Höhe des ersten Stockwerks, thronte das
Wahrzeichen der Apotheke in einer spitzbogigen Nische, aber hier war es von neuer
geschmackloser Arbeit und wurde alljährlich frisch vergoldet. Um seines Glanzes willen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/62>, abgerufen am 03.07.2024.