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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Pessimismus und Optimismus bleiben, sobald sie da sind, für alle Zeiten lebendig.
Nicht von der Logik, sondern von der Gemütsanlage hängt es ab, für welches
System sich der Einzelne entscheidet. In einer Zeitschrift lasen wir neulich! Plato
und Aristoteles seien doch nur Bilder im Ahnensaal; bei Darwin und Häckel fühle
man sich nnter lebendigen Menschen. Uns geht es gerade umgekehrt; wenn wir
den Phcidon lesen, finden wir uus uuter Menschen, die fühlen wie wir, und die
die höchsten Interessen mit uns gemein haben. Darwin, der den Sinn für Musik
verloren hatte und dem Shakespeare nichts als Unsinn zu sagen schien, könnten wir
höchstens um Würmer und Affen befragen, die uns wenig am Herzen liegen, und
die wir auch im Konversationslexikon finden. Es freut uus, das; Falckenberg auch
Eduard von Hartmann, den die Zünftigen sonst immer noch zu ignorieren ver¬
suchen, mit vier Seiten gerecht wird; noch mehr aber freut es uus, daß er Lotze,
den Hartmann so tief verachtet, für den Philosophen erklärt, dessen System unter
den nachhegelschen das bedeutendste sei und die lebenskräftigsten Zukunftskeime ent¬
halte. -- Einen, wie Paulsen hervorhebt, echt kantischen Gedanken, daß gerade die
mechanische Weltbetrachtung zu Gott führt, hat Professor Dr, Günther Thiele
in Berlin sehr schon in seiner Antrittsvorlesung ausgesponnen, die er unter dem
Titel: Kosmogenie und Religion (Berlin, Konrad Skopnik, 1393) herausgegeben
hat. -- Die Psychologie der Verändernngsauffassung von L. William
Stern (Breslau, Preuß und Jünger, 1898) enthält Untersuchungen der Art, die
man als Feinmechanik der Seelenkunde bezeichnen könnte. S. 164--165 wird
u. a. gelehrt, daß warm und kalt nicht qualitativ, sondern nur quantitativ verschieden
seien; wie es nun dennoch kommt, daß wir bei einer unter Null sinkenden Tem¬
peratur nicht immer schwächer sondern stärker empfinden, das glauben wir in einem
der Nietzscheartikel (Jahrgang 1398 der Grenzboten, 2. Band, S. 479) befriedigender
erklärt zu haben als Stern.


Berichtigung."

In dem Artikel: "Die Deportationssrage vor dem deutschen
Juristentage in Posen habe ich (1898, IV, S. 571) Herrn Rechtsanwalt Dr. Scherer
(Leipzig) auf Grund der dort zitierten ihm in den Zeitungsberichten in den Mund
gelegten Äußerungen als Gegner der Deportation bezeichnet. Nachdem nunmehr
die offizielle" Verhandlungen des deutscheu Juristeutages (Berlin, Gutteutng, 1898)
erschienen sind, habe ich mich überzeugt, daß Herr Scherer gerade das Gegenteil
gesagt hat.

Im übrigen muß ich mein Urteil über die Behandlung der Deportationsfrage
auch nach Kenntnisnahme der offiziellen Protokolle leider aufrecht erhalten.


Prof. Felix Friedlich Brück




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Pessimismus und Optimismus bleiben, sobald sie da sind, für alle Zeiten lebendig.
Nicht von der Logik, sondern von der Gemütsanlage hängt es ab, für welches
System sich der Einzelne entscheidet. In einer Zeitschrift lasen wir neulich! Plato
und Aristoteles seien doch nur Bilder im Ahnensaal; bei Darwin und Häckel fühle
man sich nnter lebendigen Menschen. Uns geht es gerade umgekehrt; wenn wir
den Phcidon lesen, finden wir uus uuter Menschen, die fühlen wie wir, und die
die höchsten Interessen mit uns gemein haben. Darwin, der den Sinn für Musik
verloren hatte und dem Shakespeare nichts als Unsinn zu sagen schien, könnten wir
höchstens um Würmer und Affen befragen, die uns wenig am Herzen liegen, und
die wir auch im Konversationslexikon finden. Es freut uus, das; Falckenberg auch
Eduard von Hartmann, den die Zünftigen sonst immer noch zu ignorieren ver¬
suchen, mit vier Seiten gerecht wird; noch mehr aber freut es uus, daß er Lotze,
den Hartmann so tief verachtet, für den Philosophen erklärt, dessen System unter
den nachhegelschen das bedeutendste sei und die lebenskräftigsten Zukunftskeime ent¬
halte. — Einen, wie Paulsen hervorhebt, echt kantischen Gedanken, daß gerade die
mechanische Weltbetrachtung zu Gott führt, hat Professor Dr, Günther Thiele
in Berlin sehr schon in seiner Antrittsvorlesung ausgesponnen, die er unter dem
Titel: Kosmogenie und Religion (Berlin, Konrad Skopnik, 1393) herausgegeben
hat. — Die Psychologie der Verändernngsauffassung von L. William
Stern (Breslau, Preuß und Jünger, 1898) enthält Untersuchungen der Art, die
man als Feinmechanik der Seelenkunde bezeichnen könnte. S. 164—165 wird
u. a. gelehrt, daß warm und kalt nicht qualitativ, sondern nur quantitativ verschieden
seien; wie es nun dennoch kommt, daß wir bei einer unter Null sinkenden Tem¬
peratur nicht immer schwächer sondern stärker empfinden, das glauben wir in einem
der Nietzscheartikel (Jahrgang 1398 der Grenzboten, 2. Band, S. 479) befriedigender
erklärt zu haben als Stern.


Berichtigung."

In dem Artikel: „Die Deportationssrage vor dem deutschen
Juristentage in Posen habe ich (1898, IV, S. 571) Herrn Rechtsanwalt Dr. Scherer
(Leipzig) auf Grund der dort zitierten ihm in den Zeitungsberichten in den Mund
gelegten Äußerungen als Gegner der Deportation bezeichnet. Nachdem nunmehr
die offizielle» Verhandlungen des deutscheu Juristeutages (Berlin, Gutteutng, 1898)
erschienen sind, habe ich mich überzeugt, daß Herr Scherer gerade das Gegenteil
gesagt hat.

Im übrigen muß ich mein Urteil über die Behandlung der Deportationsfrage
auch nach Kenntnisnahme der offiziellen Protokolle leider aufrecht erhalten.


Prof. Felix Friedlich Brück




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0240] Maßgebliches und Unmaßgebliches Pessimismus und Optimismus bleiben, sobald sie da sind, für alle Zeiten lebendig. Nicht von der Logik, sondern von der Gemütsanlage hängt es ab, für welches System sich der Einzelne entscheidet. In einer Zeitschrift lasen wir neulich! Plato und Aristoteles seien doch nur Bilder im Ahnensaal; bei Darwin und Häckel fühle man sich nnter lebendigen Menschen. Uns geht es gerade umgekehrt; wenn wir den Phcidon lesen, finden wir uus uuter Menschen, die fühlen wie wir, und die die höchsten Interessen mit uns gemein haben. Darwin, der den Sinn für Musik verloren hatte und dem Shakespeare nichts als Unsinn zu sagen schien, könnten wir höchstens um Würmer und Affen befragen, die uns wenig am Herzen liegen, und die wir auch im Konversationslexikon finden. Es freut uus, das; Falckenberg auch Eduard von Hartmann, den die Zünftigen sonst immer noch zu ignorieren ver¬ suchen, mit vier Seiten gerecht wird; noch mehr aber freut es uus, daß er Lotze, den Hartmann so tief verachtet, für den Philosophen erklärt, dessen System unter den nachhegelschen das bedeutendste sei und die lebenskräftigsten Zukunftskeime ent¬ halte. — Einen, wie Paulsen hervorhebt, echt kantischen Gedanken, daß gerade die mechanische Weltbetrachtung zu Gott führt, hat Professor Dr, Günther Thiele in Berlin sehr schon in seiner Antrittsvorlesung ausgesponnen, die er unter dem Titel: Kosmogenie und Religion (Berlin, Konrad Skopnik, 1393) herausgegeben hat. — Die Psychologie der Verändernngsauffassung von L. William Stern (Breslau, Preuß und Jünger, 1898) enthält Untersuchungen der Art, die man als Feinmechanik der Seelenkunde bezeichnen könnte. S. 164—165 wird u. a. gelehrt, daß warm und kalt nicht qualitativ, sondern nur quantitativ verschieden seien; wie es nun dennoch kommt, daß wir bei einer unter Null sinkenden Tem¬ peratur nicht immer schwächer sondern stärker empfinden, das glauben wir in einem der Nietzscheartikel (Jahrgang 1398 der Grenzboten, 2. Band, S. 479) befriedigender erklärt zu haben als Stern. Berichtigung." In dem Artikel: „Die Deportationssrage vor dem deutschen Juristentage in Posen habe ich (1898, IV, S. 571) Herrn Rechtsanwalt Dr. Scherer (Leipzig) auf Grund der dort zitierten ihm in den Zeitungsberichten in den Mund gelegten Äußerungen als Gegner der Deportation bezeichnet. Nachdem nunmehr die offizielle» Verhandlungen des deutscheu Juristeutages (Berlin, Gutteutng, 1898) erschienen sind, habe ich mich überzeugt, daß Herr Scherer gerade das Gegenteil gesagt hat. Im übrigen muß ich mein Urteil über die Behandlung der Deportationsfrage auch nach Kenntnisnahme der offiziellen Protokolle leider aufrecht erhalten. Prof. Felix Friedlich Brück Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/240>, abgerufen am 23.07.2024.