Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.Spuren im Schnee Sophus Banditz Eine Winternovelle von Mathilde Mann Antorisirte Übersetzung von (Fortsetzung) 4 is der Leutnant an nächsten Morgen anfing aufzuwachen Da stand Fräulein Harriet, groß und kräftig, den Rücken ihm zugekehrt; es Höflich aber kalt und zurückhaltend erwiderte sie den Gruß des Leutnants, sie Jetzt könnte ich eigentlich gleich wieder abreisen, dachte der Leutnant, die Aber er blieb trotzdem. Teils weil er sich sagte, daß Fräulein Harriets Nicht¬ Spuren im Schnee Sophus Banditz Eine Winternovelle von Mathilde Mann Antorisirte Übersetzung von (Fortsetzung) 4 is der Leutnant an nächsten Morgen anfing aufzuwachen Da stand Fräulein Harriet, groß und kräftig, den Rücken ihm zugekehrt; es Höflich aber kalt und zurückhaltend erwiderte sie den Gruß des Leutnants, sie Jetzt könnte ich eigentlich gleich wieder abreisen, dachte der Leutnant, die Aber er blieb trotzdem. Teils weil er sich sagte, daß Fräulein Harriets Nicht¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0549" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/229498"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341867_228947/figures/grenzboten_341867_228947_229498_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Spuren im Schnee<lb/><note type="byline"> Sophus Banditz</note> Eine Winternovelle von<note type="byline"> Mathilde Mann</note> Antorisirte Übersetzung von<lb/> (Fortsetzung)</head><lb/> <div n="2"> <head> 4</head><lb/> <p xml:id="ID_1620"> is der Leutnant an nächsten Morgen anfing aufzuwachen<lb/> , dauerte es<lb/> eine ganze Weile, ehe er sich darauf besinnen konnte, wo er war,<lb/> und als er sich endlich klar darüber geworden war, konnte er sich<lb/> nicht eines Gefühls von Verlegenheit erwehren, und zwar aus ver-<lb/> schiednen Gründen — namentlich aber bei dem Gedanken an die<lb/> bevorstehende Ankunft des Doktors.<lb/> Er kam indessen schnell in die Kleider, ehe es noch ganz hell geworden war,<lb/> und ging hinunter in das Eßzimmer.</p><lb/> <p xml:id="ID_1621"> Da stand Fräulein Harriet, groß und kräftig, den Rücken ihm zugekehrt; es<lb/> lag Poesie über diesem Rücken! Sie wandte sich um — aber war sie es denn<lb/> wirklich? Ja, die Züge waren es, und schön mußte man sie nennen; aber wo war<lb/> der wunderbare Ausdruck strahlenden Lebensglücks, wo war der Blick, der einem<lb/> bis auf den Grund der Seele drang, und hinter dessen äußerstem Glanz einen<lb/> gleichsam etwas noch schöneres erwartete?</p><lb/> <p xml:id="ID_1622"> Höflich aber kalt und zurückhaltend erwiderte sie den Gruß des Leutnants, sie<lb/> beeilte sich, ihm zu sagen, daß ihre Schwester ihr schon erzählt habe, welchen Zweck<lb/> er mit seinem Besuch verfolge, und unterhielt ihn dann, zwar durchaus korrekt, aber<lb/> unverkennbar nur aus Pflichtgefühl.</p><lb/> <p xml:id="ID_1623"> Jetzt könnte ich eigentlich gleich wieder abreisen, dachte der Leutnant, die<lb/> Novelle hat einen jähen Abschluß gefunden!</p><lb/> <p xml:id="ID_1624"> Aber er blieb trotzdem. Teils weil er sich sagte, daß Fräulein Harriets Nicht¬<lb/> übereinstimmung mit dem Bilde, das er sich nach der Photographie von ihr gemacht<lb/> hatte, ja zufällig, momentan sein könne — vielleicht würde sie plötzlich diese Ver¬<lb/> kleidung abwerfen und eine ganz andre werden; teils weil er, ohne sich vielleicht<lb/> selber klar darüber zu sein, doch ein gewisses Interesse für das eingemauerte<lb/> Manuskript empfand — nicht das fachmännische Archivarinteresse, das der Doktor<lb/> hatte, sondern ein historisch-romantisches, das mit der Larsleisträde, mit dem<lb/> Mittelalter, den Spuren auf dem Boulevard, dem Jermerstnrm in Zusammen¬<lb/> hang stand.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0549]
[Abbildung]
Spuren im Schnee
Sophus Banditz Eine Winternovelle von Mathilde Mann Antorisirte Übersetzung von
(Fortsetzung)
4
is der Leutnant an nächsten Morgen anfing aufzuwachen
, dauerte es
eine ganze Weile, ehe er sich darauf besinnen konnte, wo er war,
und als er sich endlich klar darüber geworden war, konnte er sich
nicht eines Gefühls von Verlegenheit erwehren, und zwar aus ver-
schiednen Gründen — namentlich aber bei dem Gedanken an die
bevorstehende Ankunft des Doktors.
Er kam indessen schnell in die Kleider, ehe es noch ganz hell geworden war,
und ging hinunter in das Eßzimmer.
Da stand Fräulein Harriet, groß und kräftig, den Rücken ihm zugekehrt; es
lag Poesie über diesem Rücken! Sie wandte sich um — aber war sie es denn
wirklich? Ja, die Züge waren es, und schön mußte man sie nennen; aber wo war
der wunderbare Ausdruck strahlenden Lebensglücks, wo war der Blick, der einem
bis auf den Grund der Seele drang, und hinter dessen äußerstem Glanz einen
gleichsam etwas noch schöneres erwartete?
Höflich aber kalt und zurückhaltend erwiderte sie den Gruß des Leutnants, sie
beeilte sich, ihm zu sagen, daß ihre Schwester ihr schon erzählt habe, welchen Zweck
er mit seinem Besuch verfolge, und unterhielt ihn dann, zwar durchaus korrekt, aber
unverkennbar nur aus Pflichtgefühl.
Jetzt könnte ich eigentlich gleich wieder abreisen, dachte der Leutnant, die
Novelle hat einen jähen Abschluß gefunden!
Aber er blieb trotzdem. Teils weil er sich sagte, daß Fräulein Harriets Nicht¬
übereinstimmung mit dem Bilde, das er sich nach der Photographie von ihr gemacht
hatte, ja zufällig, momentan sein könne — vielleicht würde sie plötzlich diese Ver¬
kleidung abwerfen und eine ganz andre werden; teils weil er, ohne sich vielleicht
selber klar darüber zu sein, doch ein gewisses Interesse für das eingemauerte
Manuskript empfand — nicht das fachmännische Archivarinteresse, das der Doktor
hatte, sondern ein historisch-romantisches, das mit der Larsleisträde, mit dem
Mittelalter, den Spuren auf dem Boulevard, dem Jermerstnrm in Zusammen¬
hang stand.
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