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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Doktor machte sich allerdings kein Gewissen daraus, einem Kollegen ins Gehege zu
kommen, aber trotzdem --

Es wurde zur Abfahrt geläutet, und der Leutnant erhob sich, aber es war
der Zug, der nach Süden ging. Er sah den Doktor auf den Bahnsteig hinaus¬
stürzen, von einem Wagen zum andern trippeln und mit der Hornbrille ganz nahe
an den Thüren nach einem Coupe erster Klasse suchen; endlich sah er ihn -- welch
eine Erleichterung das war! -- hineinkletteru und sich setzen.

Einen Augenblick besann sich der Leutnant, ob er den Doktor auf seinen
Irrtum aufmerksam machen sollte. Aber sein schlechteres Ich trug den Sieg davon,
er sah den Zug langsam nach Süden dahingleiten und ging dann hinein und tele-
graphirte an die Tante, daß er infolge unvorhergesehener Umstände erst in einigen
Tagen eintreffen könne -- wann, würde er später mitteilen.

Ein paar Minuten später fuhr er mit dem richtigen Zuge nach Norden und
versuchte unterwegs, sich selber einzureden, daß er wirklich großes historisches Inter¬
esse habe, und daß es im Grunde gar nicht die junge Dame, sondern das Manuskript
sei, das der Anziehungspunkt für ihn war.

Ja, kopfüber ins Mittelalter bin ich auf alle Fälle gekommen, sagte er, und
nach der ersten Eingebung handeln, das thue ich nun auch!

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der polizeiliche Beglanbigungsunfug.

"Für die Ausgabe von Monats¬
karten im Berliner Stadt- und Ringbahn- sowie im Vorortverkehr tritt mit dem
1. d. Mes. folgende Bestimmung in Kraft! Zur Erlangung von Nebenkarten ist
in der Regel eine Bescheinigung der Ortspolizeibehörde oder des Gemeindevorstands
nach dem vorgeschriebnen und bei den Fahrkartenausgabestellen kostenfrei erhältlichen
Formular darüber beizubringen, daß die Personen, für welche die Nebenkarten be¬
antragt worden, zu dem betreffenden Hausstande gehören, sowie, daß die als zum
Haushalt gehörig bezeichneten entferntem Verwandten aus Mitteln des Haushaltnngs-
vorstands unterhalten werden." Also las ich vor längerer Zeit in meiner in Berlin
erscheinenden Zeitung, und kopfschüttelnd murmelte ich leise mein dö-z-of ills <M
xroeul . . . nämlich der Reichshauptstadt. Mir, dem Gemeindeverwaltungsbeamten
in der Provinz, graut bei dem Gedanken, Gemeindevorsteher oder Polizeiverwalter
einer im Bannkreis von Berlin gelegnen Gemeinde zu sein, wo man seine kost¬
bare Zeit nnn auch noch gar mit derartigen unglückseligen Beglaubigungen ver¬
trödeln muß.

Nach der heutzutage bestehenden Übung bescheinigen die Polizeibehörden all¬
monatlich die Unterschriften der Unfall-, Invaliden- und Altersrentner, der Ruhe¬
gehalts-, Witwen- und Waisengeldempfcinger unter den Monatsquittungen und
müssen hierauf eine ungeheure Menge Zeit und Arbeit verwenden. Aus einem
besondern Anlaß ist unlängst auf Grund zuverlässiger Ermittlungen ausgerechnet
worden, daß in einer einzigen Preußischen Provinz alljährlich sechzehn bis siebzehn
Millionen derartiger Unterschriften zu beglaubigen sind. Es ist deshalb wohl nicht


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Doktor machte sich allerdings kein Gewissen daraus, einem Kollegen ins Gehege zu
kommen, aber trotzdem —

Es wurde zur Abfahrt geläutet, und der Leutnant erhob sich, aber es war
der Zug, der nach Süden ging. Er sah den Doktor auf den Bahnsteig hinaus¬
stürzen, von einem Wagen zum andern trippeln und mit der Hornbrille ganz nahe
an den Thüren nach einem Coupe erster Klasse suchen; endlich sah er ihn — welch
eine Erleichterung das war! — hineinkletteru und sich setzen.

Einen Augenblick besann sich der Leutnant, ob er den Doktor auf seinen
Irrtum aufmerksam machen sollte. Aber sein schlechteres Ich trug den Sieg davon,
er sah den Zug langsam nach Süden dahingleiten und ging dann hinein und tele-
graphirte an die Tante, daß er infolge unvorhergesehener Umstände erst in einigen
Tagen eintreffen könne — wann, würde er später mitteilen.

Ein paar Minuten später fuhr er mit dem richtigen Zuge nach Norden und
versuchte unterwegs, sich selber einzureden, daß er wirklich großes historisches Inter¬
esse habe, und daß es im Grunde gar nicht die junge Dame, sondern das Manuskript
sei, das der Anziehungspunkt für ihn war.

Ja, kopfüber ins Mittelalter bin ich auf alle Fälle gekommen, sagte er, und
nach der ersten Eingebung handeln, das thue ich nun auch!

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der polizeiliche Beglanbigungsunfug.

„Für die Ausgabe von Monats¬
karten im Berliner Stadt- und Ringbahn- sowie im Vorortverkehr tritt mit dem
1. d. Mes. folgende Bestimmung in Kraft! Zur Erlangung von Nebenkarten ist
in der Regel eine Bescheinigung der Ortspolizeibehörde oder des Gemeindevorstands
nach dem vorgeschriebnen und bei den Fahrkartenausgabestellen kostenfrei erhältlichen
Formular darüber beizubringen, daß die Personen, für welche die Nebenkarten be¬
antragt worden, zu dem betreffenden Hausstande gehören, sowie, daß die als zum
Haushalt gehörig bezeichneten entferntem Verwandten aus Mitteln des Haushaltnngs-
vorstands unterhalten werden." Also las ich vor längerer Zeit in meiner in Berlin
erscheinenden Zeitung, und kopfschüttelnd murmelte ich leise mein dö-z-of ills <M
xroeul . . . nämlich der Reichshauptstadt. Mir, dem Gemeindeverwaltungsbeamten
in der Provinz, graut bei dem Gedanken, Gemeindevorsteher oder Polizeiverwalter
einer im Bannkreis von Berlin gelegnen Gemeinde zu sein, wo man seine kost¬
bare Zeit nnn auch noch gar mit derartigen unglückseligen Beglaubigungen ver¬
trödeln muß.

Nach der heutzutage bestehenden Übung bescheinigen die Polizeibehörden all¬
monatlich die Unterschriften der Unfall-, Invaliden- und Altersrentner, der Ruhe¬
gehalts-, Witwen- und Waisengeldempfcinger unter den Monatsquittungen und
müssen hierauf eine ungeheure Menge Zeit und Arbeit verwenden. Aus einem
besondern Anlaß ist unlängst auf Grund zuverlässiger Ermittlungen ausgerechnet
worden, daß in einer einzigen Preußischen Provinz alljährlich sechzehn bis siebzehn
Millionen derartiger Unterschriften zu beglaubigen sind. Es ist deshalb wohl nicht


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[0441] Maßgebliches und Unmaßgebliches Doktor machte sich allerdings kein Gewissen daraus, einem Kollegen ins Gehege zu kommen, aber trotzdem — Es wurde zur Abfahrt geläutet, und der Leutnant erhob sich, aber es war der Zug, der nach Süden ging. Er sah den Doktor auf den Bahnsteig hinaus¬ stürzen, von einem Wagen zum andern trippeln und mit der Hornbrille ganz nahe an den Thüren nach einem Coupe erster Klasse suchen; endlich sah er ihn — welch eine Erleichterung das war! — hineinkletteru und sich setzen. Einen Augenblick besann sich der Leutnant, ob er den Doktor auf seinen Irrtum aufmerksam machen sollte. Aber sein schlechteres Ich trug den Sieg davon, er sah den Zug langsam nach Süden dahingleiten und ging dann hinein und tele- graphirte an die Tante, daß er infolge unvorhergesehener Umstände erst in einigen Tagen eintreffen könne — wann, würde er später mitteilen. Ein paar Minuten später fuhr er mit dem richtigen Zuge nach Norden und versuchte unterwegs, sich selber einzureden, daß er wirklich großes historisches Inter¬ esse habe, und daß es im Grunde gar nicht die junge Dame, sondern das Manuskript sei, das der Anziehungspunkt für ihn war. Ja, kopfüber ins Mittelalter bin ich auf alle Fälle gekommen, sagte er, und nach der ersten Eingebung handeln, das thue ich nun auch! (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Der polizeiliche Beglanbigungsunfug. „Für die Ausgabe von Monats¬ karten im Berliner Stadt- und Ringbahn- sowie im Vorortverkehr tritt mit dem 1. d. Mes. folgende Bestimmung in Kraft! Zur Erlangung von Nebenkarten ist in der Regel eine Bescheinigung der Ortspolizeibehörde oder des Gemeindevorstands nach dem vorgeschriebnen und bei den Fahrkartenausgabestellen kostenfrei erhältlichen Formular darüber beizubringen, daß die Personen, für welche die Nebenkarten be¬ antragt worden, zu dem betreffenden Hausstande gehören, sowie, daß die als zum Haushalt gehörig bezeichneten entferntem Verwandten aus Mitteln des Haushaltnngs- vorstands unterhalten werden." Also las ich vor längerer Zeit in meiner in Berlin erscheinenden Zeitung, und kopfschüttelnd murmelte ich leise mein dö-z-of ills <M xroeul . . . nämlich der Reichshauptstadt. Mir, dem Gemeindeverwaltungsbeamten in der Provinz, graut bei dem Gedanken, Gemeindevorsteher oder Polizeiverwalter einer im Bannkreis von Berlin gelegnen Gemeinde zu sein, wo man seine kost¬ bare Zeit nnn auch noch gar mit derartigen unglückseligen Beglaubigungen ver¬ trödeln muß. Nach der heutzutage bestehenden Übung bescheinigen die Polizeibehörden all¬ monatlich die Unterschriften der Unfall-, Invaliden- und Altersrentner, der Ruhe¬ gehalts-, Witwen- und Waisengeldempfcinger unter den Monatsquittungen und müssen hierauf eine ungeheure Menge Zeit und Arbeit verwenden. Aus einem besondern Anlaß ist unlängst auf Grund zuverlässiger Ermittlungen ausgerechnet worden, daß in einer einzigen Preußischen Provinz alljährlich sechzehn bis siebzehn Millionen derartiger Unterschriften zu beglaubigen sind. Es ist deshalb wohl nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/441>, abgerufen am 12.12.2024.