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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die strategische Bedeutung der schweizerischen Festungswerke

stufungen des Volkslebens, die keinen mächtigen Eindruck machen, und gegen
die Gemeinschaften, die sich selbständig neben dem Staat behaupten wollen.
Es ist das die Kehrseite, gleichsam der Schatten des außerordentlichen Staats¬
gefühls, das im alten Preußen lebte, und es hat sich dort als negative Volks¬
eigenschaft erhalten, nachdem das Staatsgefühl an Raum gewonnen, aber an
innerer Kraft verloren hat. In der sozial-wirtschaftlichen Frage hängt damit
die Überschätzung der Großbetriebe zusammen, und manches andre, das hier
nicht einmal angedeutet werden kann. Wie schwer konnte bei einer solchen
Sinnesart, unter den Beamten zumal, die Neigung aufkommen, einer Kirche
näher zu treten, die ihrerseits mit Herrschaftsansprüchen nicht geizt, deren seel¬
sorgerischer Wert so oft durch deren Hervorkehrung leidet! Dazu kam, daß
die rechtliche Parität, die Preußen mehr als irgend ein andrer Großstaat ge¬
handhabt hat, mit Undank und immer weitergehenden, unerfüllbaren Forde¬
rungen vergolten wurde. Unsre Ultramontanen möchten das gern in Ver¬
gessenheit bringen und wenden deshalb das Mittel an, ihrerseits anzuklagen,
aber sie tragen die Hauptschuld daran, daß es in Preußen nicht zu der höhern
Art von Parität gekommen ist. Denn das Schuldbuch des Staats weist nur
Fahrlässigkeitssünden auf, das ihrige dagegen solche, die auf bösem Willen
beruhen.

(Schluß folgt)




Die strategische Bedeutung der schweizerischen
Festungswerke
L> Miller von

wischen vier gewaltigen Großmächten, die zusammen über ein
Gebiet von rund zwei Millionen Quadratkilometern und über
eine Bevölkerung von hundertundsiebzig Millionen verfügen,
liegt, fast im buchstäblichen Sinne des Wortes, eingekeilt der
kleine, aber herrliche Fleck Erde, der alljährlich das ersehnte
Ziel unzähliger Reisender ist, die Schweiz. Sie umfaßt mir vierzigtausend
Quadratkilometer und wird von kaum drei Millionen Menschen bewohnt.
Lohnt es sich unter solchen Umständen überhaupt für das Land, an militä¬
rische Rüstungen zu denken und auch uur einen Pfennig für Wehrzwecke zu
opfern? Die Neutralität ist ihm ja verbürgt, sofern es selbst sie bewahrt, die
Verträge mit den Großmächten gewissenhaft beobachtet und nicht duldet, daß


Die strategische Bedeutung der schweizerischen Festungswerke

stufungen des Volkslebens, die keinen mächtigen Eindruck machen, und gegen
die Gemeinschaften, die sich selbständig neben dem Staat behaupten wollen.
Es ist das die Kehrseite, gleichsam der Schatten des außerordentlichen Staats¬
gefühls, das im alten Preußen lebte, und es hat sich dort als negative Volks¬
eigenschaft erhalten, nachdem das Staatsgefühl an Raum gewonnen, aber an
innerer Kraft verloren hat. In der sozial-wirtschaftlichen Frage hängt damit
die Überschätzung der Großbetriebe zusammen, und manches andre, das hier
nicht einmal angedeutet werden kann. Wie schwer konnte bei einer solchen
Sinnesart, unter den Beamten zumal, die Neigung aufkommen, einer Kirche
näher zu treten, die ihrerseits mit Herrschaftsansprüchen nicht geizt, deren seel¬
sorgerischer Wert so oft durch deren Hervorkehrung leidet! Dazu kam, daß
die rechtliche Parität, die Preußen mehr als irgend ein andrer Großstaat ge¬
handhabt hat, mit Undank und immer weitergehenden, unerfüllbaren Forde¬
rungen vergolten wurde. Unsre Ultramontanen möchten das gern in Ver¬
gessenheit bringen und wenden deshalb das Mittel an, ihrerseits anzuklagen,
aber sie tragen die Hauptschuld daran, daß es in Preußen nicht zu der höhern
Art von Parität gekommen ist. Denn das Schuldbuch des Staats weist nur
Fahrlässigkeitssünden auf, das ihrige dagegen solche, die auf bösem Willen
beruhen.

(Schluß folgt)




Die strategische Bedeutung der schweizerischen
Festungswerke
L> Miller von

wischen vier gewaltigen Großmächten, die zusammen über ein
Gebiet von rund zwei Millionen Quadratkilometern und über
eine Bevölkerung von hundertundsiebzig Millionen verfügen,
liegt, fast im buchstäblichen Sinne des Wortes, eingekeilt der
kleine, aber herrliche Fleck Erde, der alljährlich das ersehnte
Ziel unzähliger Reisender ist, die Schweiz. Sie umfaßt mir vierzigtausend
Quadratkilometer und wird von kaum drei Millionen Menschen bewohnt.
Lohnt es sich unter solchen Umständen überhaupt für das Land, an militä¬
rische Rüstungen zu denken und auch uur einen Pfennig für Wehrzwecke zu
opfern? Die Neutralität ist ihm ja verbürgt, sofern es selbst sie bewahrt, die
Verträge mit den Großmächten gewissenhaft beobachtet und nicht duldet, daß


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[0186] Die strategische Bedeutung der schweizerischen Festungswerke stufungen des Volkslebens, die keinen mächtigen Eindruck machen, und gegen die Gemeinschaften, die sich selbständig neben dem Staat behaupten wollen. Es ist das die Kehrseite, gleichsam der Schatten des außerordentlichen Staats¬ gefühls, das im alten Preußen lebte, und es hat sich dort als negative Volks¬ eigenschaft erhalten, nachdem das Staatsgefühl an Raum gewonnen, aber an innerer Kraft verloren hat. In der sozial-wirtschaftlichen Frage hängt damit die Überschätzung der Großbetriebe zusammen, und manches andre, das hier nicht einmal angedeutet werden kann. Wie schwer konnte bei einer solchen Sinnesart, unter den Beamten zumal, die Neigung aufkommen, einer Kirche näher zu treten, die ihrerseits mit Herrschaftsansprüchen nicht geizt, deren seel¬ sorgerischer Wert so oft durch deren Hervorkehrung leidet! Dazu kam, daß die rechtliche Parität, die Preußen mehr als irgend ein andrer Großstaat ge¬ handhabt hat, mit Undank und immer weitergehenden, unerfüllbaren Forde¬ rungen vergolten wurde. Unsre Ultramontanen möchten das gern in Ver¬ gessenheit bringen und wenden deshalb das Mittel an, ihrerseits anzuklagen, aber sie tragen die Hauptschuld daran, daß es in Preußen nicht zu der höhern Art von Parität gekommen ist. Denn das Schuldbuch des Staats weist nur Fahrlässigkeitssünden auf, das ihrige dagegen solche, die auf bösem Willen beruhen. (Schluß folgt) Die strategische Bedeutung der schweizerischen Festungswerke L> Miller von wischen vier gewaltigen Großmächten, die zusammen über ein Gebiet von rund zwei Millionen Quadratkilometern und über eine Bevölkerung von hundertundsiebzig Millionen verfügen, liegt, fast im buchstäblichen Sinne des Wortes, eingekeilt der kleine, aber herrliche Fleck Erde, der alljährlich das ersehnte Ziel unzähliger Reisender ist, die Schweiz. Sie umfaßt mir vierzigtausend Quadratkilometer und wird von kaum drei Millionen Menschen bewohnt. Lohnt es sich unter solchen Umständen überhaupt für das Land, an militä¬ rische Rüstungen zu denken und auch uur einen Pfennig für Wehrzwecke zu opfern? Die Neutralität ist ihm ja verbürgt, sofern es selbst sie bewahrt, die Verträge mit den Großmächten gewissenhaft beobachtet und nicht duldet, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/186>, abgerufen am 12.12.2024.