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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Zuschriften über die Kriegervereine

dünken, einig müssen wir sein, einig zum Guten und Starken, einig zu dem.
was die Grundlage der Staatsordnung ist, soll für die Folge der königs¬
treue Sinn unter der Fahne der Kriegervereine nicht Schein, sondern Wirklich¬
S. M. keit sein!

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Erfreulich und anerkennenswert ist es, daß die staatlichen Behörden kräftig
und nachdrücklich gegen die sozialdemokratischen Bestrebungen vorgehen, soweit
sie von Personen gezeigt werden, die als Beamte oder als Arbeiter im öffent¬
lichen Dienste stehen. Denn die ausgesprochnen und unausgesprochnen Ziele
der bewußten Sozialdemokraten liegen außerhalb der staatlichen Ordnung, be¬
kämpfen sie und wollen sie vernichten. Deshalb Unterdrückung der Führer
der Bewegung, der Rufer im Streit! Hier ist auch polizeiliches Einschreiten,
hier die Entziehung der äußern Lebensbedingungen gerechtfertigt, und vielleicht
bringt es Erfolge. Aber gehören alle die. die bei den Wahlen sozialdemokra-
tische Stimmzettel in die Urne legen, zu den Umstürzlern? Nein, sie wollen
die Besitzenden im Genuß ihrer rechtmäßig erworbnen Güter lassen, sie wollen
nur ihre eigne Lage verbessern und glauben, befangen in süßer Täuschung, im
Vertrauen auf die Möglichkeit größerer Glückseligkeit den Versprechungen der
Volksverführer, die ihre letzten Ziele und ihren ganzen Eigennutz, ihre politische
Herrschsucht zu verbergen wissen. Sie hören ja meist auch von den Vertretern
der andern politischen Parteien nur Schlagworte, laute Klagen und lebhafte
Versprechungen, wie der Mittelstand erhalten und gehoben, wie dem landwirt¬
schaftlichen Notstände abgeholfen werden solle und könne usw., hier so wenig
wie dort finden sie Belehrung, sie hören dahin, wo die Sirenengesänge am
süßesten zu locken wissen. Ob es da richtig ist, die Kriegervereine zu nötigen,
jeden, der einmal svzialdemokratisch gewählt hat. auszuschließen, ihn dem sonst
(und nicht mit Unrecht) so gerühmten Einfluß des Kriegervereins zu entziehen?
Ist es nicht bedenklich, damit mittelbar die erziehende, werbende Kraft der
Kriegervereine zu leugnen, aber die Kraft der sozialdemokratischen Ideen, die
in dem Wähler noch gar nicht einmal Fleisch und Blut geworden sind, zu
überschätzen? Ist es nicht noch bedenklicher, mühsam auskundschaften zu wollen,
welche Personen sich unter dem Schutz des allgemeinen Wahlrechts für den
Sozialdemokraten erklärt haben, aber doch noch nicht für den Umsturz der
heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung? Ist das nicht gefährlich, weil es
zum Sykophantentum führt, zu der Untergrabung alles Vertrauens, zu der
Überzeugung, es liege ein Staatsstreich in der Luft?

Ist nicht die scheinbare Furcht vor der Sozialdemokratie allzugroß?
Muß diese Furcht nicht den Führern der staatsfeindlichen Parteien eine Ver¬
stärkung ihres Einflusses bringen, neue Kampflust und Siegeszuversicht? Und
was geschieht, um die bethörten Massen zurückzugewinnen? Es ist doch herzlich


Zwei Zuschriften über die Kriegervereine

dünken, einig müssen wir sein, einig zum Guten und Starken, einig zu dem.
was die Grundlage der Staatsordnung ist, soll für die Folge der königs¬
treue Sinn unter der Fahne der Kriegervereine nicht Schein, sondern Wirklich¬
S. M. keit sein!

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Erfreulich und anerkennenswert ist es, daß die staatlichen Behörden kräftig
und nachdrücklich gegen die sozialdemokratischen Bestrebungen vorgehen, soweit
sie von Personen gezeigt werden, die als Beamte oder als Arbeiter im öffent¬
lichen Dienste stehen. Denn die ausgesprochnen und unausgesprochnen Ziele
der bewußten Sozialdemokraten liegen außerhalb der staatlichen Ordnung, be¬
kämpfen sie und wollen sie vernichten. Deshalb Unterdrückung der Führer
der Bewegung, der Rufer im Streit! Hier ist auch polizeiliches Einschreiten,
hier die Entziehung der äußern Lebensbedingungen gerechtfertigt, und vielleicht
bringt es Erfolge. Aber gehören alle die. die bei den Wahlen sozialdemokra-
tische Stimmzettel in die Urne legen, zu den Umstürzlern? Nein, sie wollen
die Besitzenden im Genuß ihrer rechtmäßig erworbnen Güter lassen, sie wollen
nur ihre eigne Lage verbessern und glauben, befangen in süßer Täuschung, im
Vertrauen auf die Möglichkeit größerer Glückseligkeit den Versprechungen der
Volksverführer, die ihre letzten Ziele und ihren ganzen Eigennutz, ihre politische
Herrschsucht zu verbergen wissen. Sie hören ja meist auch von den Vertretern
der andern politischen Parteien nur Schlagworte, laute Klagen und lebhafte
Versprechungen, wie der Mittelstand erhalten und gehoben, wie dem landwirt¬
schaftlichen Notstände abgeholfen werden solle und könne usw., hier so wenig
wie dort finden sie Belehrung, sie hören dahin, wo die Sirenengesänge am
süßesten zu locken wissen. Ob es da richtig ist, die Kriegervereine zu nötigen,
jeden, der einmal svzialdemokratisch gewählt hat. auszuschließen, ihn dem sonst
(und nicht mit Unrecht) so gerühmten Einfluß des Kriegervereins zu entziehen?
Ist es nicht bedenklich, damit mittelbar die erziehende, werbende Kraft der
Kriegervereine zu leugnen, aber die Kraft der sozialdemokratischen Ideen, die
in dem Wähler noch gar nicht einmal Fleisch und Blut geworden sind, zu
überschätzen? Ist es nicht noch bedenklicher, mühsam auskundschaften zu wollen,
welche Personen sich unter dem Schutz des allgemeinen Wahlrechts für den
Sozialdemokraten erklärt haben, aber doch noch nicht für den Umsturz der
heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung? Ist das nicht gefährlich, weil es
zum Sykophantentum führt, zu der Untergrabung alles Vertrauens, zu der
Überzeugung, es liege ein Staatsstreich in der Luft?

Ist nicht die scheinbare Furcht vor der Sozialdemokratie allzugroß?
Muß diese Furcht nicht den Führern der staatsfeindlichen Parteien eine Ver¬
stärkung ihres Einflusses bringen, neue Kampflust und Siegeszuversicht? Und
was geschieht, um die bethörten Massen zurückzugewinnen? Es ist doch herzlich


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[0147] Zwei Zuschriften über die Kriegervereine dünken, einig müssen wir sein, einig zum Guten und Starken, einig zu dem. was die Grundlage der Staatsordnung ist, soll für die Folge der königs¬ treue Sinn unter der Fahne der Kriegervereine nicht Schein, sondern Wirklich¬ S. M. keit sein! 2 Erfreulich und anerkennenswert ist es, daß die staatlichen Behörden kräftig und nachdrücklich gegen die sozialdemokratischen Bestrebungen vorgehen, soweit sie von Personen gezeigt werden, die als Beamte oder als Arbeiter im öffent¬ lichen Dienste stehen. Denn die ausgesprochnen und unausgesprochnen Ziele der bewußten Sozialdemokraten liegen außerhalb der staatlichen Ordnung, be¬ kämpfen sie und wollen sie vernichten. Deshalb Unterdrückung der Führer der Bewegung, der Rufer im Streit! Hier ist auch polizeiliches Einschreiten, hier die Entziehung der äußern Lebensbedingungen gerechtfertigt, und vielleicht bringt es Erfolge. Aber gehören alle die. die bei den Wahlen sozialdemokra- tische Stimmzettel in die Urne legen, zu den Umstürzlern? Nein, sie wollen die Besitzenden im Genuß ihrer rechtmäßig erworbnen Güter lassen, sie wollen nur ihre eigne Lage verbessern und glauben, befangen in süßer Täuschung, im Vertrauen auf die Möglichkeit größerer Glückseligkeit den Versprechungen der Volksverführer, die ihre letzten Ziele und ihren ganzen Eigennutz, ihre politische Herrschsucht zu verbergen wissen. Sie hören ja meist auch von den Vertretern der andern politischen Parteien nur Schlagworte, laute Klagen und lebhafte Versprechungen, wie der Mittelstand erhalten und gehoben, wie dem landwirt¬ schaftlichen Notstände abgeholfen werden solle und könne usw., hier so wenig wie dort finden sie Belehrung, sie hören dahin, wo die Sirenengesänge am süßesten zu locken wissen. Ob es da richtig ist, die Kriegervereine zu nötigen, jeden, der einmal svzialdemokratisch gewählt hat. auszuschließen, ihn dem sonst (und nicht mit Unrecht) so gerühmten Einfluß des Kriegervereins zu entziehen? Ist es nicht bedenklich, damit mittelbar die erziehende, werbende Kraft der Kriegervereine zu leugnen, aber die Kraft der sozialdemokratischen Ideen, die in dem Wähler noch gar nicht einmal Fleisch und Blut geworden sind, zu überschätzen? Ist es nicht noch bedenklicher, mühsam auskundschaften zu wollen, welche Personen sich unter dem Schutz des allgemeinen Wahlrechts für den Sozialdemokraten erklärt haben, aber doch noch nicht für den Umsturz der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung? Ist das nicht gefährlich, weil es zum Sykophantentum führt, zu der Untergrabung alles Vertrauens, zu der Überzeugung, es liege ein Staatsstreich in der Luft? Ist nicht die scheinbare Furcht vor der Sozialdemokratie allzugroß? Muß diese Furcht nicht den Führern der staatsfeindlichen Parteien eine Ver¬ stärkung ihres Einflusses bringen, neue Kampflust und Siegeszuversicht? Und was geschieht, um die bethörten Massen zurückzugewinnen? Es ist doch herzlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/147>, abgerufen am 04.07.2024.