Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Groß-Germanien

eine Dante-Eneyklopädie, bei der wir unsern Forschungstrieb beruhigen können.
Wenn wir dem Verfasser dieses Lob spenden, so hat er es dadurch erreicht,
was er an seinem erlauchten Vorgänger in der Danteforschung, an Philalethes,
preist: "durch die weise Auswahl des zu Erklärenden, durch die besonnene
Adolf Rosenberg Abmessung der entgegengesetzten Ansichten."




Groß-Germanien

er für das Angelsachsentum so günstige Beginn des spanisch¬
amerikanischen Krieges hat nicht nur in Amerika den Anlaß zu
starken Ausbrüchen der Volksseele auf politischem und merkan¬
tilem Gebiete gegeben, sondern auch die Wogen der seelischen
Erregung über den Ozean zum Mutterlande, wenn auch in ab¬
geschwächten Wellen, hinübergleiten lassen. Die Rede Chamberlains, die der
"kommende" Mann Englands in seiner Hauptfeste Birmingham vor wenigen
Tagen gehalten hat, steht ohne Zweifel unter dem Eindruck, den die allgemeine
Meinung durch den Sieg bei Manila, durch die angebliche Eroberung der
Philippinen und neuerdings von San Juan erhalten hatte. Nur so ist es
zu erklären, daß die englische Diplomatie schon jetzt nicht nur den in China
scharf gewordnen Gegensatz zur russischen Politik offen zugiebt, sondern auch
schon, was die Hauptsache ist, deu zukünftigen Krieg mit dem slawischen
Rivalen einer offnen Erörterung unterzieht. Denn der siegreiche Bruder jen¬
seits des Ozeans ist es, den Chamberlain als Retter und Genossen in dem
grimmen Wettstreite um die künftige Weltherrschaft anruft: "Das verbündete
Angelsachsentum gegen die Welt, die einigen Angelsachsen Herren der Welt,"
das ist der Grundzug seiner Auslassungen. Bezeichnend aber ist es, daß fast
zu derselben Zeit die Bruderseele jenseits des Ozeans durch den Mund des
Senators Hanna ganz ähnlichen Träumen Ausdruck verliehen hat, indem
dieser Politiker, den man als den Maschinisten der politischen Bühne der
Union bezeichnen kann, die Interessengemeinschaft Nordamerikas mit England
betont und eine Expansion der amerikanischen Kraft durch weitgehende Kolo¬
nisation befürwortet hat.

Nun wird man kaum einen Fehler begehen, wenn man diese Reden
lediglich als Ausgeburten diplomatischer Reizbarkeit und Aufgeregtheit ansieht
und demgemäß auf sich wirken läßt. Denn gesetzt auch, daß Nordamerika
wirklich als Sieger aus dem anscheinend so sehr ungleichen Kampfe hervor-


Groß-Germanien

eine Dante-Eneyklopädie, bei der wir unsern Forschungstrieb beruhigen können.
Wenn wir dem Verfasser dieses Lob spenden, so hat er es dadurch erreicht,
was er an seinem erlauchten Vorgänger in der Danteforschung, an Philalethes,
preist: „durch die weise Auswahl des zu Erklärenden, durch die besonnene
Adolf Rosenberg Abmessung der entgegengesetzten Ansichten."




Groß-Germanien

er für das Angelsachsentum so günstige Beginn des spanisch¬
amerikanischen Krieges hat nicht nur in Amerika den Anlaß zu
starken Ausbrüchen der Volksseele auf politischem und merkan¬
tilem Gebiete gegeben, sondern auch die Wogen der seelischen
Erregung über den Ozean zum Mutterlande, wenn auch in ab¬
geschwächten Wellen, hinübergleiten lassen. Die Rede Chamberlains, die der
„kommende" Mann Englands in seiner Hauptfeste Birmingham vor wenigen
Tagen gehalten hat, steht ohne Zweifel unter dem Eindruck, den die allgemeine
Meinung durch den Sieg bei Manila, durch die angebliche Eroberung der
Philippinen und neuerdings von San Juan erhalten hatte. Nur so ist es
zu erklären, daß die englische Diplomatie schon jetzt nicht nur den in China
scharf gewordnen Gegensatz zur russischen Politik offen zugiebt, sondern auch
schon, was die Hauptsache ist, deu zukünftigen Krieg mit dem slawischen
Rivalen einer offnen Erörterung unterzieht. Denn der siegreiche Bruder jen¬
seits des Ozeans ist es, den Chamberlain als Retter und Genossen in dem
grimmen Wettstreite um die künftige Weltherrschaft anruft: „Das verbündete
Angelsachsentum gegen die Welt, die einigen Angelsachsen Herren der Welt,"
das ist der Grundzug seiner Auslassungen. Bezeichnend aber ist es, daß fast
zu derselben Zeit die Bruderseele jenseits des Ozeans durch den Mund des
Senators Hanna ganz ähnlichen Träumen Ausdruck verliehen hat, indem
dieser Politiker, den man als den Maschinisten der politischen Bühne der
Union bezeichnen kann, die Interessengemeinschaft Nordamerikas mit England
betont und eine Expansion der amerikanischen Kraft durch weitgehende Kolo¬
nisation befürwortet hat.

Nun wird man kaum einen Fehler begehen, wenn man diese Reden
lediglich als Ausgeburten diplomatischer Reizbarkeit und Aufgeregtheit ansieht
und demgemäß auf sich wirken läßt. Denn gesetzt auch, daß Nordamerika
wirklich als Sieger aus dem anscheinend so sehr ungleichen Kampfe hervor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0504" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228140"/>
          <fw type="header" place="top"> Groß-Germanien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1375" prev="#ID_1374"> eine Dante-Eneyklopädie, bei der wir unsern Forschungstrieb beruhigen können.<lb/>
Wenn wir dem Verfasser dieses Lob spenden, so hat er es dadurch erreicht,<lb/>
was er an seinem erlauchten Vorgänger in der Danteforschung, an Philalethes,<lb/>
preist: &#x201E;durch die weise Auswahl des zu Erklärenden, durch die besonnene<lb/><note type="byline"> Adolf Rosenberg</note> Abmessung der entgegengesetzten Ansichten." </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Groß-Germanien</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1376"> er für das Angelsachsentum so günstige Beginn des spanisch¬<lb/>
amerikanischen Krieges hat nicht nur in Amerika den Anlaß zu<lb/>
starken Ausbrüchen der Volksseele auf politischem und merkan¬<lb/>
tilem Gebiete gegeben, sondern auch die Wogen der seelischen<lb/>
Erregung über den Ozean zum Mutterlande, wenn auch in ab¬<lb/>
geschwächten Wellen, hinübergleiten lassen. Die Rede Chamberlains, die der<lb/>
&#x201E;kommende" Mann Englands in seiner Hauptfeste Birmingham vor wenigen<lb/>
Tagen gehalten hat, steht ohne Zweifel unter dem Eindruck, den die allgemeine<lb/>
Meinung durch den Sieg bei Manila, durch die angebliche Eroberung der<lb/>
Philippinen und neuerdings von San Juan erhalten hatte. Nur so ist es<lb/>
zu erklären, daß die englische Diplomatie schon jetzt nicht nur den in China<lb/>
scharf gewordnen Gegensatz zur russischen Politik offen zugiebt, sondern auch<lb/>
schon, was die Hauptsache ist, deu zukünftigen Krieg mit dem slawischen<lb/>
Rivalen einer offnen Erörterung unterzieht. Denn der siegreiche Bruder jen¬<lb/>
seits des Ozeans ist es, den Chamberlain als Retter und Genossen in dem<lb/>
grimmen Wettstreite um die künftige Weltherrschaft anruft: &#x201E;Das verbündete<lb/>
Angelsachsentum gegen die Welt, die einigen Angelsachsen Herren der Welt,"<lb/>
das ist der Grundzug seiner Auslassungen. Bezeichnend aber ist es, daß fast<lb/>
zu derselben Zeit die Bruderseele jenseits des Ozeans durch den Mund des<lb/>
Senators Hanna ganz ähnlichen Träumen Ausdruck verliehen hat, indem<lb/>
dieser Politiker, den man als den Maschinisten der politischen Bühne der<lb/>
Union bezeichnen kann, die Interessengemeinschaft Nordamerikas mit England<lb/>
betont und eine Expansion der amerikanischen Kraft durch weitgehende Kolo¬<lb/>
nisation befürwortet hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1377" next="#ID_1378"> Nun wird man kaum einen Fehler begehen, wenn man diese Reden<lb/>
lediglich als Ausgeburten diplomatischer Reizbarkeit und Aufgeregtheit ansieht<lb/>
und demgemäß auf sich wirken läßt. Denn gesetzt auch, daß Nordamerika<lb/>
wirklich als Sieger aus dem anscheinend so sehr ungleichen Kampfe hervor-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0504] Groß-Germanien eine Dante-Eneyklopädie, bei der wir unsern Forschungstrieb beruhigen können. Wenn wir dem Verfasser dieses Lob spenden, so hat er es dadurch erreicht, was er an seinem erlauchten Vorgänger in der Danteforschung, an Philalethes, preist: „durch die weise Auswahl des zu Erklärenden, durch die besonnene Adolf Rosenberg Abmessung der entgegengesetzten Ansichten." Groß-Germanien er für das Angelsachsentum so günstige Beginn des spanisch¬ amerikanischen Krieges hat nicht nur in Amerika den Anlaß zu starken Ausbrüchen der Volksseele auf politischem und merkan¬ tilem Gebiete gegeben, sondern auch die Wogen der seelischen Erregung über den Ozean zum Mutterlande, wenn auch in ab¬ geschwächten Wellen, hinübergleiten lassen. Die Rede Chamberlains, die der „kommende" Mann Englands in seiner Hauptfeste Birmingham vor wenigen Tagen gehalten hat, steht ohne Zweifel unter dem Eindruck, den die allgemeine Meinung durch den Sieg bei Manila, durch die angebliche Eroberung der Philippinen und neuerdings von San Juan erhalten hatte. Nur so ist es zu erklären, daß die englische Diplomatie schon jetzt nicht nur den in China scharf gewordnen Gegensatz zur russischen Politik offen zugiebt, sondern auch schon, was die Hauptsache ist, deu zukünftigen Krieg mit dem slawischen Rivalen einer offnen Erörterung unterzieht. Denn der siegreiche Bruder jen¬ seits des Ozeans ist es, den Chamberlain als Retter und Genossen in dem grimmen Wettstreite um die künftige Weltherrschaft anruft: „Das verbündete Angelsachsentum gegen die Welt, die einigen Angelsachsen Herren der Welt," das ist der Grundzug seiner Auslassungen. Bezeichnend aber ist es, daß fast zu derselben Zeit die Bruderseele jenseits des Ozeans durch den Mund des Senators Hanna ganz ähnlichen Träumen Ausdruck verliehen hat, indem dieser Politiker, den man als den Maschinisten der politischen Bühne der Union bezeichnen kann, die Interessengemeinschaft Nordamerikas mit England betont und eine Expansion der amerikanischen Kraft durch weitgehende Kolo¬ nisation befürwortet hat. Nun wird man kaum einen Fehler begehen, wenn man diese Reden lediglich als Ausgeburten diplomatischer Reizbarkeit und Aufgeregtheit ansieht und demgemäß auf sich wirken läßt. Denn gesetzt auch, daß Nordamerika wirklich als Sieger aus dem anscheinend so sehr ungleichen Kampfe hervor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/504
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/504>, abgerufen am 26.12.2024.