Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Bei solcher elenden Nahrung in normalen Jahren muß ein Volk nicht nur L, von der Brüg gen Idealistische Kaufleute. Wir habe" wiederholt auf die Nationalökonomen Bei solcher elenden Nahrung in normalen Jahren muß ein Volk nicht nur L, von der Brüg gen Idealistische Kaufleute. Wir habe» wiederholt auf die Nationalökonomen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227686"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_114"> Bei solcher elenden Nahrung in normalen Jahren muß ein Volk nicht nur<lb/> geschwächt werden, sondern allmählich verhungern. Und wenn es die Mittel hätte,<lb/> sich genügend mit Brot zu versehen, so dürfte auch in guten Erntejahren wenig<lb/> Korn zur Ausfuhr übrig bleiben. Diese Ausfuhr ist also eine Folge nicht des<lb/> Reichtums, sondern der Armut des Volkes. Man meint oft, der russische Bauer<lb/> habe wenig zu essen, weil er zu viel trinke. Aber anch das ist nicht ganz richtig.<lb/> Der Engländer z. B. vertrinkt weit mehr als der Russe, und wenn der russische<lb/> Bauer genug zu essen hätte, so dürfte er sich den Branntwein, den er zu sich<lb/> nimmt, ohne Schaden gönnen. Der russische Landbau ist eben in einer äußerst<lb/> schlimmen Lage, woran der blühende Zustand der staatlichen Finanzen nichts ändert,<lb/> woran er vielmehr zum Teil selbst schuld ist. Es ist ein böser Widerspruch, der<lb/> darin liegt, daß hier der Minister von Erstarkung der Landwirtschaft und von<lb/> blühenden Finanzen redet, und dort die durch Nahrungsmangel hervorgebrachte<lb/> „physische Degeneration des russischen Volkes" beklagt wird.</p><lb/> <note type="byline"> L, von der Brüg gen</note><lb/> </div> <div n="2"> <head> Idealistische Kaufleute.</head> <p xml:id="ID_115" next="#ID_116"> Wir habe» wiederholt auf die Nationalökonomen<lb/> proudhonistischer Richtung hingewiesen, die den Fehler des bestehenden wirtschaft¬<lb/> lichen Zustands weder im Privaten Kapital- und Grundbesitz, noch in der allzu¬<lb/> großen Ungleichheit der Einkommen, noch in der „anarchistischen" Produktion,<lb/> noch in der relativen Übervölkerung und dem Bodenmangel sehen, sondern in der<lb/> ihrer Ansicht nach falschen Organisation des Handels, die eine Menge von<lb/> Schmarotzern schaffe und das Einkommen der übrigen Stände um 25 bis 50 Prozent<lb/> verkürze. Wir haben bei solchen Gelegenheiten immer bemerkt, daß wir gegen<lb/> solche einseitigen Auffassungen nichts einzuwenden hätten, wenn sie zu wirklichen<lb/> Reformen in einem bestimmten Gebiet führten, und das thue ja diese Bewegung<lb/> durch Förderung der Konsumvereine. Einer ihrer Vertreter nun, der Hamburger<lb/> Kaufmann Max Rieck, der vorm Jahre seine Gedanken über den Gegenstand in<lb/> dem Buche: „Deutscher Kaiser und deutsches Volksvermögen" ausgesprochen hat,<lb/> veröffentlicht jetzt in demselben Verlage (Freund und Wittig in Leipzig) das<lb/> Manuskript eines verstorbnen Freundes, der ebenfalls Kaufmann war: Der<lb/> Handel auf altruistischer Grundlage von P. Bleicken. Bleicken ist ent-<lb/> schiedner Gegner der Sozialdemokratie, obwohl er sie entschuldigt, und auch des<lb/> Staatssozialismus, obwohl er, wie Rieck, die Hoffnung hegt, daß der Kaiser die<lb/> von ihm geplante Reform fördern werde. Er hat einen förmlichen Plan aus¬<lb/> gearbeitet, nach dem sich die Konsumenten allerorten als „Herren des Marktes"<lb/> organisiren, den Zwischenhandel durch Voykott totmachen und sich in einem Welt¬<lb/> syndikat zusammenschließen sollen, das sich in „vier Systeme" gliedern würde:<lb/> West- und Mitteleuropa, das britische Weltreich, Amerika, Rußland (mit einem<lb/> Hafen am Weltmeer, etwa am Persischen Golf, bemerkt er dazu). Das europäische<lb/> System wird seinen Sitz natürlich in Hamburg haben, und Hamburg wird die<lb/> Königin aller Weltsysteme sein. Bleicken legt die großartige Weltstellung dar, die<lb/> Hamburg schon seit langem einnimmt, und erzählt, als er 1847 als Korrespondent<lb/> eines großen Hanfes in Hull gelebt habe, sei er von einem Lehrling gefragt<lb/> worden, was größer sei, Hamburg oder Deutschland. Es gebe kein Land, kein<lb/> Volk und keine Stadt, deren Namen in fremden Ländern und Weltteilen einen so<lb/> guten Klang habe. „Und nichts ist begreiflicher als dies. Alle andern Völker<lb/> haben als Kolonisatoren ihre Fahnen in das Blut der Volker getaucht, die sie auf<lb/> die unmenschlichste Weise bekämpft, auf die empörendste Weise unterdrückt und aus-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0050]
Bei solcher elenden Nahrung in normalen Jahren muß ein Volk nicht nur
geschwächt werden, sondern allmählich verhungern. Und wenn es die Mittel hätte,
sich genügend mit Brot zu versehen, so dürfte auch in guten Erntejahren wenig
Korn zur Ausfuhr übrig bleiben. Diese Ausfuhr ist also eine Folge nicht des
Reichtums, sondern der Armut des Volkes. Man meint oft, der russische Bauer
habe wenig zu essen, weil er zu viel trinke. Aber anch das ist nicht ganz richtig.
Der Engländer z. B. vertrinkt weit mehr als der Russe, und wenn der russische
Bauer genug zu essen hätte, so dürfte er sich den Branntwein, den er zu sich
nimmt, ohne Schaden gönnen. Der russische Landbau ist eben in einer äußerst
schlimmen Lage, woran der blühende Zustand der staatlichen Finanzen nichts ändert,
woran er vielmehr zum Teil selbst schuld ist. Es ist ein böser Widerspruch, der
darin liegt, daß hier der Minister von Erstarkung der Landwirtschaft und von
blühenden Finanzen redet, und dort die durch Nahrungsmangel hervorgebrachte
„physische Degeneration des russischen Volkes" beklagt wird.
L, von der Brüg gen
Idealistische Kaufleute. Wir habe» wiederholt auf die Nationalökonomen
proudhonistischer Richtung hingewiesen, die den Fehler des bestehenden wirtschaft¬
lichen Zustands weder im Privaten Kapital- und Grundbesitz, noch in der allzu¬
großen Ungleichheit der Einkommen, noch in der „anarchistischen" Produktion,
noch in der relativen Übervölkerung und dem Bodenmangel sehen, sondern in der
ihrer Ansicht nach falschen Organisation des Handels, die eine Menge von
Schmarotzern schaffe und das Einkommen der übrigen Stände um 25 bis 50 Prozent
verkürze. Wir haben bei solchen Gelegenheiten immer bemerkt, daß wir gegen
solche einseitigen Auffassungen nichts einzuwenden hätten, wenn sie zu wirklichen
Reformen in einem bestimmten Gebiet führten, und das thue ja diese Bewegung
durch Förderung der Konsumvereine. Einer ihrer Vertreter nun, der Hamburger
Kaufmann Max Rieck, der vorm Jahre seine Gedanken über den Gegenstand in
dem Buche: „Deutscher Kaiser und deutsches Volksvermögen" ausgesprochen hat,
veröffentlicht jetzt in demselben Verlage (Freund und Wittig in Leipzig) das
Manuskript eines verstorbnen Freundes, der ebenfalls Kaufmann war: Der
Handel auf altruistischer Grundlage von P. Bleicken. Bleicken ist ent-
schiedner Gegner der Sozialdemokratie, obwohl er sie entschuldigt, und auch des
Staatssozialismus, obwohl er, wie Rieck, die Hoffnung hegt, daß der Kaiser die
von ihm geplante Reform fördern werde. Er hat einen förmlichen Plan aus¬
gearbeitet, nach dem sich die Konsumenten allerorten als „Herren des Marktes"
organisiren, den Zwischenhandel durch Voykott totmachen und sich in einem Welt¬
syndikat zusammenschließen sollen, das sich in „vier Systeme" gliedern würde:
West- und Mitteleuropa, das britische Weltreich, Amerika, Rußland (mit einem
Hafen am Weltmeer, etwa am Persischen Golf, bemerkt er dazu). Das europäische
System wird seinen Sitz natürlich in Hamburg haben, und Hamburg wird die
Königin aller Weltsysteme sein. Bleicken legt die großartige Weltstellung dar, die
Hamburg schon seit langem einnimmt, und erzählt, als er 1847 als Korrespondent
eines großen Hanfes in Hull gelebt habe, sei er von einem Lehrling gefragt
worden, was größer sei, Hamburg oder Deutschland. Es gebe kein Land, kein
Volk und keine Stadt, deren Namen in fremden Ländern und Weltteilen einen so
guten Klang habe. „Und nichts ist begreiflicher als dies. Alle andern Völker
haben als Kolonisatoren ihre Fahnen in das Blut der Volker getaucht, die sie auf
die unmenschlichste Weise bekämpft, auf die empörendste Weise unterdrückt und aus-
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