Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Litteratur Erzählungen aus allerlei deutschen Gciuen. Die Grenzboten haben Litteratur Erzählungen aus allerlei deutschen Gciuen. Die Grenzboten haben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227738"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> </div> <div n="2"> <head> Erzählungen aus allerlei deutschen Gciuen.</head> <p xml:id="ID_255" next="#ID_256"> Die Grenzboten haben<lb/> immer der volkstümlichen Erzählungslitteratur, in der die landschaftliche Besonder¬<lb/> heit nach Stoff und Ausdrucksform zur Geltung kommt, ihre Aufmerksamkeit<lb/> zugewandt. Diese Litteratur ist das beste Gegengift gegen den ans Frankreich<lb/> und Norwegen hereingebrachten Roman, der in der ungesunden Luft der Gro߬<lb/> städte blüht und gedeiht. Unter diesem Gesichtspunkt seien über eine Anzahl<lb/> derartiger Bücher geringern Umfangs einige Anmerkungen zusammengestellt. —<lb/> Münsterländische Märchen, Sagen, Lieder und Gebräuche gesammelt und<lb/> herausgegeben vou Dr. G. Bahlmann (Münster, Seiling) enthalten zuerst die<lb/> dieser Landschaft angehörigen Grimmscheu Märchen mit Abänderungen und An¬<lb/> merkungen, sodann erzählende Gedichte sehr verschiedner neuerer Dichter aus dem<lb/> Gebiet der münsterlündischen Sage und Geschichte, deren poetischer Wert allerdings<lb/> durchweg weit zurücksteht hinter dem stofflichen Interesse, das sie ja für die ein-<lb/> gebornen Leser haben werden, ferner Volkslieder und Reime von größerer Be¬<lb/> deutung, darunter auch einiges nach mündlicher Überlieferung, endlich Aufsätze über<lb/> einheimische Gebräuche, worunter die über das „Vorgesicht" und das noch in der<lb/> ersten Hälfte unsers Jahrhunderts gebräuchliche „Kerbholz" am meisten interessiren<lb/> werden. — Ein in seiner Art ganz ausgezeichnetes Buch ist der zweite Jahrgang<lb/> der Landjugend von Heinrich Sohnrey (Berlin, Schoenfeldt, 1897). Es ent¬<lb/> hält belehrende Aufsätze der mannigfachsten Art und reizende kleine Gedichte sehr<lb/> verschiedner Schriftsteller. Aber den Preis müssen doch die gemütvollen Dorf¬<lb/> geschichten des Herausgebers erhalten; sie sind wahr und gehaltvoll und in der<lb/> Form so recht geeignet für einfache Leute. Sie müssen der norddeutschen Land¬<lb/> jugend, für die sie bestimmt sind, wohlthun; hoffentlich ist diese noch nicht zu<lb/> blasirt dafür. — Auf demselben Programm beruhen drei ähnlich ausgestattete kleine<lb/> Bücher (sämtlich Leipzig, Geo. Heinr. Meyer), von denen Der Bruderhof von<lb/> Sohnrey ohne Frage das beste ist. Sohnrey setzt uus in einer hübschen Einleitung<lb/> aus einander, wcirnm der Bauer die Zerstörung der dörflichen Landschaft infolge<lb/> der Verkopplung nicht bedaure und die poetischen Empfindungen, und denen sich der<lb/> Kulturhistoriker oder der gebildete Tourist in die Vergangenheit des ländlichen<lb/> Lebens zu versenken Pflegt, nicht teilen könne. Den Bauern hat die neuere Gesetz¬<lb/> gebung Vorteile gebracht; an den frühern Zustand dagegen bewahren die ältern<lb/> Leute nur bittre Erinnerungen. Das wird nun in Bezug auf die erst 1848 ab¬<lb/> geschaffte Meierpflichtigkeit der Höfe im Hildesheimischen in einer sehr schönen er¬<lb/> greifenden Geschichte gezeigt, die ins norddeutsche übertragen etwa dasselbe sagt<lb/> und bedeutet, wie Berthold Auerbachs Lehnhold für die Schwarzwaldlente. Sohnrey<lb/> hat sodann ein Buch: Schleswig-Holsteiner Landleute, Bilder aus dem<lb/> Volksleben von Helene Voigt, einer jungen Schleswigholsteinerin. mit einem em¬<lb/> pfehlenden Vorworte eingeführt. Es sind neun Geschichten, recht hübsch, natürlich<lb/> und gewandt geschildert (der Dialog Plattdeutsch), die Verfasserin hat ohne Frage<lb/> Beobachtung und Sprachgefühl, aber den meisten Stücken sieht man doch noch die<lb/> Anfängerin an, sodaß das Lob der Vorrede etwas gar reichlich gemessen scheint.<lb/> Das dritte Buch hat den Titel: Neue Spreewaldgeschichten von Max<lb/> Bittrich. In dem Anhange werden „Stimmen der Presse" mitgeteilt, darunter<lb/> Sohnreys eignes Urteil, der den jungen Dichter ein großes Talent nennt und ihn<lb/> mit Rosegger vergleicht, sowie das von H. Allmers, der vou „echten Idyllen"<lb/> spricht und sich bis zu dem Worte: „Er ist ein Dichter, nehmt alles nur in allem"<lb/> versteigt. Gegen soviel Paukenschall können wir nicht aufkommen; wollten wir<lb/> auch nach Kräften etwas anerkennendes zu sagen uns bemühen, der Verfasser würde<lb/> mit unserm Lobe nicht mehr zufrieden sein. Für unsern Geschmack sind diese Ge-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0102]
Litteratur
Erzählungen aus allerlei deutschen Gciuen. Die Grenzboten haben
immer der volkstümlichen Erzählungslitteratur, in der die landschaftliche Besonder¬
heit nach Stoff und Ausdrucksform zur Geltung kommt, ihre Aufmerksamkeit
zugewandt. Diese Litteratur ist das beste Gegengift gegen den ans Frankreich
und Norwegen hereingebrachten Roman, der in der ungesunden Luft der Gro߬
städte blüht und gedeiht. Unter diesem Gesichtspunkt seien über eine Anzahl
derartiger Bücher geringern Umfangs einige Anmerkungen zusammengestellt. —
Münsterländische Märchen, Sagen, Lieder und Gebräuche gesammelt und
herausgegeben vou Dr. G. Bahlmann (Münster, Seiling) enthalten zuerst die
dieser Landschaft angehörigen Grimmscheu Märchen mit Abänderungen und An¬
merkungen, sodann erzählende Gedichte sehr verschiedner neuerer Dichter aus dem
Gebiet der münsterlündischen Sage und Geschichte, deren poetischer Wert allerdings
durchweg weit zurücksteht hinter dem stofflichen Interesse, das sie ja für die ein-
gebornen Leser haben werden, ferner Volkslieder und Reime von größerer Be¬
deutung, darunter auch einiges nach mündlicher Überlieferung, endlich Aufsätze über
einheimische Gebräuche, worunter die über das „Vorgesicht" und das noch in der
ersten Hälfte unsers Jahrhunderts gebräuchliche „Kerbholz" am meisten interessiren
werden. — Ein in seiner Art ganz ausgezeichnetes Buch ist der zweite Jahrgang
der Landjugend von Heinrich Sohnrey (Berlin, Schoenfeldt, 1897). Es ent¬
hält belehrende Aufsätze der mannigfachsten Art und reizende kleine Gedichte sehr
verschiedner Schriftsteller. Aber den Preis müssen doch die gemütvollen Dorf¬
geschichten des Herausgebers erhalten; sie sind wahr und gehaltvoll und in der
Form so recht geeignet für einfache Leute. Sie müssen der norddeutschen Land¬
jugend, für die sie bestimmt sind, wohlthun; hoffentlich ist diese noch nicht zu
blasirt dafür. — Auf demselben Programm beruhen drei ähnlich ausgestattete kleine
Bücher (sämtlich Leipzig, Geo. Heinr. Meyer), von denen Der Bruderhof von
Sohnrey ohne Frage das beste ist. Sohnrey setzt uus in einer hübschen Einleitung
aus einander, wcirnm der Bauer die Zerstörung der dörflichen Landschaft infolge
der Verkopplung nicht bedaure und die poetischen Empfindungen, und denen sich der
Kulturhistoriker oder der gebildete Tourist in die Vergangenheit des ländlichen
Lebens zu versenken Pflegt, nicht teilen könne. Den Bauern hat die neuere Gesetz¬
gebung Vorteile gebracht; an den frühern Zustand dagegen bewahren die ältern
Leute nur bittre Erinnerungen. Das wird nun in Bezug auf die erst 1848 ab¬
geschaffte Meierpflichtigkeit der Höfe im Hildesheimischen in einer sehr schönen er¬
greifenden Geschichte gezeigt, die ins norddeutsche übertragen etwa dasselbe sagt
und bedeutet, wie Berthold Auerbachs Lehnhold für die Schwarzwaldlente. Sohnrey
hat sodann ein Buch: Schleswig-Holsteiner Landleute, Bilder aus dem
Volksleben von Helene Voigt, einer jungen Schleswigholsteinerin. mit einem em¬
pfehlenden Vorworte eingeführt. Es sind neun Geschichten, recht hübsch, natürlich
und gewandt geschildert (der Dialog Plattdeutsch), die Verfasserin hat ohne Frage
Beobachtung und Sprachgefühl, aber den meisten Stücken sieht man doch noch die
Anfängerin an, sodaß das Lob der Vorrede etwas gar reichlich gemessen scheint.
Das dritte Buch hat den Titel: Neue Spreewaldgeschichten von Max
Bittrich. In dem Anhange werden „Stimmen der Presse" mitgeteilt, darunter
Sohnreys eignes Urteil, der den jungen Dichter ein großes Talent nennt und ihn
mit Rosegger vergleicht, sowie das von H. Allmers, der vou „echten Idyllen"
spricht und sich bis zu dem Worte: „Er ist ein Dichter, nehmt alles nur in allem"
versteigt. Gegen soviel Paukenschall können wir nicht aufkommen; wollten wir
auch nach Kräften etwas anerkennendes zu sagen uns bemühen, der Verfasser würde
mit unserm Lobe nicht mehr zufrieden sein. Für unsern Geschmack sind diese Ge-
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