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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Zeitfragen
Linn Andr von
2. Elsaß-Lothringen den (Llsaß-Lothringern

u dem, was im Reichslande gern als Ausnahmezustand an¬
gegriffen wird, gehört außer dem Diktaturparagrapheu und
unserm besondern Preß- und Versammlmigsrecht auch der Um¬
stand, daß sehr viele Staatsstellen mit Altdeutschen besetzt sind;
die Agitation dagegen ist ebenso lebhaft und in den Mitteln
ebenso maßlos wie gegen das, wo der Stein des Anstoßes in der Gesetzgebung
liegen soll. Dabei weiß jeder, daß die Einheimischen xnr Wu^ von jeher in
jeder Beziehung bevorzugt worden sind, auch bei geringern Leistungen. Aber
die Thatsache, daß im deutscheu Reichslande die Leute, die sich rühmen, keinen
Tropfen "deutschen" Blutes in den Adern zu haben, den Amtsadel vorstellen,
genügt unserm Nativismus schon lauge nicht mehr, sondern er verlangt voll¬
ständige Ausschließung der Altdeutschen und führt sorgfältig Buch über die
nur noch seltnen Anstellungsfälle; der betreffende Fall macht dann die Runde
in allen zu der Fahne haltenden Zeitungen. Mit Vorliebe wird das Thema
von den Zeitungen behandelt, die die Verbindung mit Deutschland mit den¬
selben Augen ansehen wie der Neichstagsabgeordnete Preiß. In einer solchen
Zeitung wurde unter anderm vor einiger Zeit die Forderung erhoben, unsre
sämtlichen Kreisdirektoren sollten "Einheimische" sein; also die Beamten, in
denen sich die Befehlgewalt des Staats gleichsam verkörpert, die, denen es vor
allen andern zufällt, die Ordnung gegen den innern Feind zu wahren und
Staatsgesinnung zu verbreiten.

Dieselbe Richtung weist zwar die deutschen Männer, die im Dienst des
Landes ergraut siud, aus dem Kreise der Einheimischen aus, nicht weniger


Grenzboten I 1898 Isj


Reichsländische Zeitfragen
Linn Andr von
2. Elsaß-Lothringen den (Llsaß-Lothringern

u dem, was im Reichslande gern als Ausnahmezustand an¬
gegriffen wird, gehört außer dem Diktaturparagrapheu und
unserm besondern Preß- und Versammlmigsrecht auch der Um¬
stand, daß sehr viele Staatsstellen mit Altdeutschen besetzt sind;
die Agitation dagegen ist ebenso lebhaft und in den Mitteln
ebenso maßlos wie gegen das, wo der Stein des Anstoßes in der Gesetzgebung
liegen soll. Dabei weiß jeder, daß die Einheimischen xnr Wu^ von jeher in
jeder Beziehung bevorzugt worden sind, auch bei geringern Leistungen. Aber
die Thatsache, daß im deutscheu Reichslande die Leute, die sich rühmen, keinen
Tropfen „deutschen" Blutes in den Adern zu haben, den Amtsadel vorstellen,
genügt unserm Nativismus schon lauge nicht mehr, sondern er verlangt voll¬
ständige Ausschließung der Altdeutschen und führt sorgfältig Buch über die
nur noch seltnen Anstellungsfälle; der betreffende Fall macht dann die Runde
in allen zu der Fahne haltenden Zeitungen. Mit Vorliebe wird das Thema
von den Zeitungen behandelt, die die Verbindung mit Deutschland mit den¬
selben Augen ansehen wie der Neichstagsabgeordnete Preiß. In einer solchen
Zeitung wurde unter anderm vor einiger Zeit die Forderung erhoben, unsre
sämtlichen Kreisdirektoren sollten „Einheimische" sein; also die Beamten, in
denen sich die Befehlgewalt des Staats gleichsam verkörpert, die, denen es vor
allen andern zufällt, die Ordnung gegen den innern Feind zu wahren und
Staatsgesinnung zu verbreiten.

Dieselbe Richtung weist zwar die deutschen Männer, die im Dienst des
Landes ergraut siud, aus dem Kreise der Einheimischen aus, nicht weniger


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[0125] [Abbildung] Reichsländische Zeitfragen Linn Andr von 2. Elsaß-Lothringen den (Llsaß-Lothringern u dem, was im Reichslande gern als Ausnahmezustand an¬ gegriffen wird, gehört außer dem Diktaturparagrapheu und unserm besondern Preß- und Versammlmigsrecht auch der Um¬ stand, daß sehr viele Staatsstellen mit Altdeutschen besetzt sind; die Agitation dagegen ist ebenso lebhaft und in den Mitteln ebenso maßlos wie gegen das, wo der Stein des Anstoßes in der Gesetzgebung liegen soll. Dabei weiß jeder, daß die Einheimischen xnr Wu^ von jeher in jeder Beziehung bevorzugt worden sind, auch bei geringern Leistungen. Aber die Thatsache, daß im deutscheu Reichslande die Leute, die sich rühmen, keinen Tropfen „deutschen" Blutes in den Adern zu haben, den Amtsadel vorstellen, genügt unserm Nativismus schon lauge nicht mehr, sondern er verlangt voll¬ ständige Ausschließung der Altdeutschen und führt sorgfältig Buch über die nur noch seltnen Anstellungsfälle; der betreffende Fall macht dann die Runde in allen zu der Fahne haltenden Zeitungen. Mit Vorliebe wird das Thema von den Zeitungen behandelt, die die Verbindung mit Deutschland mit den¬ selben Augen ansehen wie der Neichstagsabgeordnete Preiß. In einer solchen Zeitung wurde unter anderm vor einiger Zeit die Forderung erhoben, unsre sämtlichen Kreisdirektoren sollten „Einheimische" sein; also die Beamten, in denen sich die Befehlgewalt des Staats gleichsam verkörpert, die, denen es vor allen andern zufällt, die Ordnung gegen den innern Feind zu wahren und Staatsgesinnung zu verbreiten. Dieselbe Richtung weist zwar die deutschen Männer, die im Dienst des Landes ergraut siud, aus dem Kreise der Einheimischen aus, nicht weniger Grenzboten I 1898 Isj

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/125>, abgerufen am 05.01.2025.