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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr.

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Litteratur

so gebildet wie sola. Mit Holm! rief, wer an ein Flußufer gekommen war, den
Fährmann herüber. Hole! Hole mich! Hol über! -- dafür, rief man holaaa!,
wiederum, wie bei hoooch! um eine klangvolle Silbe zu haben, auf der man beim
Rufe verweilen kann. Ganz dasselbe wie sollt! ist halv! denn in beiden Formen,
als holen und als holen, kommt das Verbum in der ältern Sprache vor. Wer
das a im Stamme bewahrte, griff beim Zuruf in der Endung zum o, wie auch
in Feurio! Zetermordio! Für gewöhnlich aber wurde ein langgedehntes a zur
Bildung solcher Rufe verwendet, wie in trink"., trino -- nu novru., clsAsn Kore --
bei Walther von der Vogelweide: bsKsrS, älen, b"Mro usw. Genau so ist Hurra
aus einem Verbalstamm gebildet, der -- nun was denn bedeutet? Braucht man
es wirklich noch zu sagen? Frage sich doch jeder, wo im Leben wirklich ein
sinnvolles Hurra! gerufen wird. Wo anders als beim Eilen, Vorwärtsstünnen,
Draufgehen! Und dort gehört es hin, nirgends anders. Mit Hurre, dürre,
dürre, Schnurre, Rädchen, Schnurre malt Bürger die rasche Bewegung des Spinn¬
rades. Und Hurre, dürre, hopp hopp hopp! gings fort in sausendem Galopp --
heißt es in seiner "Lenore." Das hat Sinn. Wenn aber ein hoher Herr,
friedlich in seinem Wagen sitzend, in eine Stadt einfährt, und das Volk schreit
ihm überall Hurra! entgegen, so möchte ihm doch angst und bange werden.
Und vollends wenn eine Tischgesellschaft einen ans ihrer Mitte ehren und feiern
Will, und sie nennt seinen Namen und schreit dann: Hurra, Hurra, Hurra! so
kann doch der also "Gefeierte," wenn er noch einiges Sprachgefühl im Leibe
hat, nicht anders denken als: Um Gottes willen! Jetzt kommt die ganze Bande
über Tische und Stühle, Teller und Gläser ans mich losgestürzt! Es ist aber
auch grammatisch anstößig. Denn der Name des Gefeierten wird doch in der
dritten Person genannt, mit dem Ruf Hurra! aber feuert man sich selbst und
seine Genossen zur Eile an. Es fehlt also jedes Prädikat.

Wenn dieses Hurrarufen in Trinksprüchen keine geschmacklose Mode ist, dann
giebt es keine. Woher sie stammt? Doch wohl aus militärischen Kreisen, dort
hat sie auch die meiste Verbreitung, sie macht aber auch in bürgerlichen Kreise"
schon Fortschritte -- natürlich, wer will denn gern zurückbleiben! -- Möchten
doch die "Maßgebenden" die häßliche, wirklich barbarische Mode recht bald wieder
fallen lassen.




Litteratur
nationalökonomische Schriften. Über die wirkliche Entstehung
der Kapitalien

will uns Dr. Mr. Oscar Jurnitschek in einer 1897 bei
Puttkammer und Mühlbrecht in Berlin erschienenen Schrift belehren. Zwar be¬
zeichnet er sie im Untertitel nur bescheidentlich als "Vorarbeiten*) zur Entkräftung
sozialistischer Theoreme," aber die Darstellung ist doch so gehalten, daß man sieht,



*) Die Mehrzahl scheint anzudeuten, das; dieser Schrift noch mehrere ähnliche folgen
sollen.
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so gebildet wie sola. Mit Holm! rief, wer an ein Flußufer gekommen war, den
Fährmann herüber. Hole! Hole mich! Hol über! — dafür, rief man holaaa!,
wiederum, wie bei hoooch! um eine klangvolle Silbe zu haben, auf der man beim
Rufe verweilen kann. Ganz dasselbe wie sollt! ist halv! denn in beiden Formen,
als holen und als holen, kommt das Verbum in der ältern Sprache vor. Wer
das a im Stamme bewahrte, griff beim Zuruf in der Endung zum o, wie auch
in Feurio! Zetermordio! Für gewöhnlich aber wurde ein langgedehntes a zur
Bildung solcher Rufe verwendet, wie in trink»., trino — nu novru., clsAsn Kore —
bei Walther von der Vogelweide: bsKsrS, älen, b«Mro usw. Genau so ist Hurra
aus einem Verbalstamm gebildet, der — nun was denn bedeutet? Braucht man
es wirklich noch zu sagen? Frage sich doch jeder, wo im Leben wirklich ein
sinnvolles Hurra! gerufen wird. Wo anders als beim Eilen, Vorwärtsstünnen,
Draufgehen! Und dort gehört es hin, nirgends anders. Mit Hurre, dürre,
dürre, Schnurre, Rädchen, Schnurre malt Bürger die rasche Bewegung des Spinn¬
rades. Und Hurre, dürre, hopp hopp hopp! gings fort in sausendem Galopp —
heißt es in seiner „Lenore." Das hat Sinn. Wenn aber ein hoher Herr,
friedlich in seinem Wagen sitzend, in eine Stadt einfährt, und das Volk schreit
ihm überall Hurra! entgegen, so möchte ihm doch angst und bange werden.
Und vollends wenn eine Tischgesellschaft einen ans ihrer Mitte ehren und feiern
Will, und sie nennt seinen Namen und schreit dann: Hurra, Hurra, Hurra! so
kann doch der also „Gefeierte," wenn er noch einiges Sprachgefühl im Leibe
hat, nicht anders denken als: Um Gottes willen! Jetzt kommt die ganze Bande
über Tische und Stühle, Teller und Gläser ans mich losgestürzt! Es ist aber
auch grammatisch anstößig. Denn der Name des Gefeierten wird doch in der
dritten Person genannt, mit dem Ruf Hurra! aber feuert man sich selbst und
seine Genossen zur Eile an. Es fehlt also jedes Prädikat.

Wenn dieses Hurrarufen in Trinksprüchen keine geschmacklose Mode ist, dann
giebt es keine. Woher sie stammt? Doch wohl aus militärischen Kreisen, dort
hat sie auch die meiste Verbreitung, sie macht aber auch in bürgerlichen Kreise»
schon Fortschritte — natürlich, wer will denn gern zurückbleiben! — Möchten
doch die „Maßgebenden" die häßliche, wirklich barbarische Mode recht bald wieder
fallen lassen.




Litteratur
nationalökonomische Schriften. Über die wirkliche Entstehung
der Kapitalien

will uns Dr. Mr. Oscar Jurnitschek in einer 1897 bei
Puttkammer und Mühlbrecht in Berlin erschienenen Schrift belehren. Zwar be¬
zeichnet er sie im Untertitel nur bescheidentlich als „Vorarbeiten*) zur Entkräftung
sozialistischer Theoreme," aber die Darstellung ist doch so gehalten, daß man sieht,



*) Die Mehrzahl scheint anzudeuten, das; dieser Schrift noch mehrere ähnliche folgen
sollen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_226231/106>, abgerufen am 22.07.2024.