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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Personenwechsel in den Reichsämtern

s ist ein Irrtum, den Personenwechsel in den Neichsämtern des
Auswärtigen und des Innern als einen Sieg der preußischen
Agrarier, der Reaktion, der "Bismarckschen Fronde" zu bezeichnen
und zu beklagen. Weder der Ersatz des Freiherrn von Marschall
durch Herrn von Bülow, noch der des Herrn von Bötticher durch
den Grafen Posadowski ist, mit ruhigem Blute betrachtet, so zu deuten. Man
sollte den Agrariern nicht den Gefallen thun, ihren Jubel über den angeblichen
Sieg für aufrichtig zu nehmen. Daß sie sich freuen, wenn Marschall und
Bötticher gehen, das ist ihnen zu glauben; aber daß sie es wären, die den
Kaiser dazu vermocht hätten, ist ebenso unwahr, wie daß sie sich unter den
neuen Staatssekretären sicher fühlte", weil nun ihr Weizen blühte. Solcher
Siegesjubel gehört einfach zu den erprobten Hilfsmitteln der Parteiagitation;
es ist ganz vortrefflich für die Propaganda unter den Bauern und Kleinbürgern,
wenn man ihnen sagt: Seht, nun haben wir doch den Kaiser eines bessern
belehrt! Wir haben vor Herrn von Marschall die größte Achtung gewonnen
und bedauern sein Scheiden aus dem Reichsdienst aufrichtig. Aber das hat
seinen Grund doch, ehrlich gestanden, nicht in seiner Leistung als Leiter der
auswärtige" Politik im eigentlichen Sinne. Was ihm, dem frühern Vertreter
des badischen Großgrundbesitzes, die Sympathien weiter Kreise des deutschen
und preußischen gebildeten Bürgertums gewonnen hat, das war, ganz abge¬
sehen von seinem energischen Vorstoß gegen die Mißstände in der preußischen
politischen Polizei, vor allem seine Abwehr der "agrarischen Übergriffe," soweit
sie Angriffe gegen die Handelsvertragspolitik des neuen Kurses waren. Herr
von Marschnll hat in dieser Frage in ehrlicher Entrüstung über Junker-
präteusioneu, die ihm von Hause aus fremd waren, den preußischen Ritter¬
gutsbesitzern ebenso die Zähne gezeigt, wie es vor neunzig Jahren der


Grenzboten III 1897 1


Der Personenwechsel in den Reichsämtern

s ist ein Irrtum, den Personenwechsel in den Neichsämtern des
Auswärtigen und des Innern als einen Sieg der preußischen
Agrarier, der Reaktion, der „Bismarckschen Fronde" zu bezeichnen
und zu beklagen. Weder der Ersatz des Freiherrn von Marschall
durch Herrn von Bülow, noch der des Herrn von Bötticher durch
den Grafen Posadowski ist, mit ruhigem Blute betrachtet, so zu deuten. Man
sollte den Agrariern nicht den Gefallen thun, ihren Jubel über den angeblichen
Sieg für aufrichtig zu nehmen. Daß sie sich freuen, wenn Marschall und
Bötticher gehen, das ist ihnen zu glauben; aber daß sie es wären, die den
Kaiser dazu vermocht hätten, ist ebenso unwahr, wie daß sie sich unter den
neuen Staatssekretären sicher fühlte», weil nun ihr Weizen blühte. Solcher
Siegesjubel gehört einfach zu den erprobten Hilfsmitteln der Parteiagitation;
es ist ganz vortrefflich für die Propaganda unter den Bauern und Kleinbürgern,
wenn man ihnen sagt: Seht, nun haben wir doch den Kaiser eines bessern
belehrt! Wir haben vor Herrn von Marschall die größte Achtung gewonnen
und bedauern sein Scheiden aus dem Reichsdienst aufrichtig. Aber das hat
seinen Grund doch, ehrlich gestanden, nicht in seiner Leistung als Leiter der
auswärtige» Politik im eigentlichen Sinne. Was ihm, dem frühern Vertreter
des badischen Großgrundbesitzes, die Sympathien weiter Kreise des deutschen
und preußischen gebildeten Bürgertums gewonnen hat, das war, ganz abge¬
sehen von seinem energischen Vorstoß gegen die Mißstände in der preußischen
politischen Polizei, vor allem seine Abwehr der „agrarischen Übergriffe," soweit
sie Angriffe gegen die Handelsvertragspolitik des neuen Kurses waren. Herr
von Marschnll hat in dieser Frage in ehrlicher Entrüstung über Junker-
präteusioneu, die ihm von Hause aus fremd waren, den preußischen Ritter¬
gutsbesitzern ebenso die Zähne gezeigt, wie es vor neunzig Jahren der


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[0009] [Abbildung] Der Personenwechsel in den Reichsämtern s ist ein Irrtum, den Personenwechsel in den Neichsämtern des Auswärtigen und des Innern als einen Sieg der preußischen Agrarier, der Reaktion, der „Bismarckschen Fronde" zu bezeichnen und zu beklagen. Weder der Ersatz des Freiherrn von Marschall durch Herrn von Bülow, noch der des Herrn von Bötticher durch den Grafen Posadowski ist, mit ruhigem Blute betrachtet, so zu deuten. Man sollte den Agrariern nicht den Gefallen thun, ihren Jubel über den angeblichen Sieg für aufrichtig zu nehmen. Daß sie sich freuen, wenn Marschall und Bötticher gehen, das ist ihnen zu glauben; aber daß sie es wären, die den Kaiser dazu vermocht hätten, ist ebenso unwahr, wie daß sie sich unter den neuen Staatssekretären sicher fühlte», weil nun ihr Weizen blühte. Solcher Siegesjubel gehört einfach zu den erprobten Hilfsmitteln der Parteiagitation; es ist ganz vortrefflich für die Propaganda unter den Bauern und Kleinbürgern, wenn man ihnen sagt: Seht, nun haben wir doch den Kaiser eines bessern belehrt! Wir haben vor Herrn von Marschall die größte Achtung gewonnen und bedauern sein Scheiden aus dem Reichsdienst aufrichtig. Aber das hat seinen Grund doch, ehrlich gestanden, nicht in seiner Leistung als Leiter der auswärtige» Politik im eigentlichen Sinne. Was ihm, dem frühern Vertreter des badischen Großgrundbesitzes, die Sympathien weiter Kreise des deutschen und preußischen gebildeten Bürgertums gewonnen hat, das war, ganz abge¬ sehen von seinem energischen Vorstoß gegen die Mißstände in der preußischen politischen Polizei, vor allem seine Abwehr der „agrarischen Übergriffe," soweit sie Angriffe gegen die Handelsvertragspolitik des neuen Kurses waren. Herr von Marschnll hat in dieser Frage in ehrlicher Entrüstung über Junker- präteusioneu, die ihm von Hause aus fremd waren, den preußischen Ritter¬ gutsbesitzern ebenso die Zähne gezeigt, wie es vor neunzig Jahren der Grenzboten III 1897 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/9>, abgerufen am 27.12.2024.