Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Einiges von den " Nichts-als-Konsumenten." Niemals haben wir Maßgebliches und Unmaßgebliches Einiges von den „ Nichts-als-Konsumenten." Niemals haben wir <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0635" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226221"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> </div> <div n="2"> <head> Einiges von den „ Nichts-als-Konsumenten."</head> <p xml:id="ID_1607" next="#ID_1608"> Niemals haben wir<lb/> den preußischen Verwaltnngsavparat schlechter arbeiten sehen als bei den Notständen<lb/> in den Überschwemmungsgebieten. Es liegt uns ganz gewiß sern, in das öde<lb/> Raisonnement über Bureaukratismus und Assessorismus in der preußische» Ver¬<lb/> waltung an Stelle gesunder, praktischer Selbstverwaltung einzustimmen. Daran,<lb/> was man damit meint, liegt es gar nicht, wenn sich in Preußen jetzt die Verwaltung<lb/> angesichts des handgreiflichen Elends in den überschwemmten Orten und angesichts<lb/> der Summen, die für eine Linderung bereit liegen, ohne verwendet zu werden, so<lb/> leistungsunfähig gezeigt hat. Wir haben Selbstverwaltung genug in Preußen,<lb/> fo viel, daß es manche Staatsverwaltungsbenmten, wie es scheint, ganz verlernt<lb/> haben, überhaupt uoch zu verwalten, da wo der Staat schnell, ohne Abschätzungen<lb/> und Abstimmungen, unter allerhöchsteigner Verantwortung seiner dazu berufnen,<lb/> vereideten und geschulten Diener zugreifen und helfen müßte. Man erzählte<lb/> freilich schon vor fünfundzwanzig, dreißig Jahren, daß der Unterschied zwischen<lb/> dem Arbeiten in Kriegsministerien und dem in den andern preußischen Ministerien<lb/> hauptsächlich darin bestehe, daß im Kriegsministerium die unter „Cleo" eingehenden<lb/> Sachen binnen vierundzwauzig Stunden erledigt, in den übrigen Ministerien nach<lb/> vierzehn Tagen erst angesehen würden. Wir haben das damals im Hohenzollern-<lb/> staate für unmöglich, für arg übertrieben gehalten, aber in der Militärverwaltung<lb/> 1370 haben wir freilich gesehen, was schnell arbeiten, schnell verwalten heißt, auch<lb/> in Geld- und Verpflegungssachen, und wie allein dadurch im Notfall Erfolg erzielt<lb/> wurde. Der Himmel gebe, daß es hier beim alten bleibt, trotz alles Burecmkmtismns<lb/> und Assessorismus auch in der Militärintendcmtnr von Anno 70. Sollte im Kriegs¬<lb/> fall einmal fo verwaltet werden, wie man jetzt in der Überschwemmungsfrage ver¬<lb/> waltet, so hilft uns das ganze viel gepriesene herrliche Heer nichts, denn nichts<lb/> verträgt der Deutsche weniger als den leeren Magen. Die berühmten Selbstver¬<lb/> waltungsgesetze haben unsre Zivilverwaltuug der Militärverwaltung nicht ähnlicher<lb/> gemacht. Der leitende Staatsbeamte ist entlastet in der Verantwortung und beschränkt<lb/> in der Machtvollkommenheit, die zu schnellem Entschluß und energischem Handeln<lb/> befähigt. Das hochschätzbare Laienelement, das in eigner Sache, niemandem als<lb/> sich selbst Rechenschaft schuldig, im Entschließen und Handeln keinen Augenblick<lb/> versäumt, wird leider, wie die Erfahrung reichlich lehrt, wenn es „im Amte" ist,<lb/> nur zu leicht doppelt pedantisch, vorsichtig, ängstlich. Wir möchten empfehlen,<lb/> fiir die Prüfungsarbeiten der Regieruugsassessoren und die staatswissenschaft¬<lb/> licher Seminararbeiten der nächsten Zeit das Thema zu wählen: „Was haben<lb/> die Kreisausschüsse zur Bewältigung des Notstands in den Überschwemmungs¬<lb/> gebieten gentttzt?" und: „Haben sie im besondern die Landräte zu schnellen Ma߬<lb/> nahmen gegen die dringende Not befähigt und veranlaßt?" Aber die Sache ist uns<lb/> viel zu ernst, als daß wir solchen Betrachtungen länger Raum geben dürften, die<lb/> Thatsache ist zu traurig, als daß mau jetzt Lust haben könnte, über die Einzelheiten in<lb/> unsrer Verwaltungsorganisation zu streiten. Die Hauptschuld liegt auch nicht in<lb/> diesen Einzelheiten, auch nicht in der Organisation selbst, sondern in dem Geiste,<lb/> der eingerissen ist in ihrer Leitung und Führung. Man soll sich hüten, diese oder<lb/> jene Person dafür verantwortlich zu machen. Fürsten und Staatsmänner, die Ge¬<lb/> waltiges leisten zum Besten des Ganzen, können, gedrängt durch Widerstände, die<lb/> sie dabei finden, schädigende Nebenwirkungen ihrer Leistungen vielfach gar nicht<lb/> vermeiden. Aber wenn diese Schädlichkeiten später das Gute zu überwuchern drohen,<lb/> dann ist ihre Beseitigung unnachsichtlich zu fordern, der Kampf gegen sie aufzu¬<lb/> nehmen. Und dazu mahnt nichts so sehr, als das Versagen des Preußischen Ber-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0635]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Einiges von den „ Nichts-als-Konsumenten." Niemals haben wir
den preußischen Verwaltnngsavparat schlechter arbeiten sehen als bei den Notständen
in den Überschwemmungsgebieten. Es liegt uns ganz gewiß sern, in das öde
Raisonnement über Bureaukratismus und Assessorismus in der preußische» Ver¬
waltung an Stelle gesunder, praktischer Selbstverwaltung einzustimmen. Daran,
was man damit meint, liegt es gar nicht, wenn sich in Preußen jetzt die Verwaltung
angesichts des handgreiflichen Elends in den überschwemmten Orten und angesichts
der Summen, die für eine Linderung bereit liegen, ohne verwendet zu werden, so
leistungsunfähig gezeigt hat. Wir haben Selbstverwaltung genug in Preußen,
fo viel, daß es manche Staatsverwaltungsbenmten, wie es scheint, ganz verlernt
haben, überhaupt uoch zu verwalten, da wo der Staat schnell, ohne Abschätzungen
und Abstimmungen, unter allerhöchsteigner Verantwortung seiner dazu berufnen,
vereideten und geschulten Diener zugreifen und helfen müßte. Man erzählte
freilich schon vor fünfundzwanzig, dreißig Jahren, daß der Unterschied zwischen
dem Arbeiten in Kriegsministerien und dem in den andern preußischen Ministerien
hauptsächlich darin bestehe, daß im Kriegsministerium die unter „Cleo" eingehenden
Sachen binnen vierundzwauzig Stunden erledigt, in den übrigen Ministerien nach
vierzehn Tagen erst angesehen würden. Wir haben das damals im Hohenzollern-
staate für unmöglich, für arg übertrieben gehalten, aber in der Militärverwaltung
1370 haben wir freilich gesehen, was schnell arbeiten, schnell verwalten heißt, auch
in Geld- und Verpflegungssachen, und wie allein dadurch im Notfall Erfolg erzielt
wurde. Der Himmel gebe, daß es hier beim alten bleibt, trotz alles Burecmkmtismns
und Assessorismus auch in der Militärintendcmtnr von Anno 70. Sollte im Kriegs¬
fall einmal fo verwaltet werden, wie man jetzt in der Überschwemmungsfrage ver¬
waltet, so hilft uns das ganze viel gepriesene herrliche Heer nichts, denn nichts
verträgt der Deutsche weniger als den leeren Magen. Die berühmten Selbstver¬
waltungsgesetze haben unsre Zivilverwaltuug der Militärverwaltung nicht ähnlicher
gemacht. Der leitende Staatsbeamte ist entlastet in der Verantwortung und beschränkt
in der Machtvollkommenheit, die zu schnellem Entschluß und energischem Handeln
befähigt. Das hochschätzbare Laienelement, das in eigner Sache, niemandem als
sich selbst Rechenschaft schuldig, im Entschließen und Handeln keinen Augenblick
versäumt, wird leider, wie die Erfahrung reichlich lehrt, wenn es „im Amte" ist,
nur zu leicht doppelt pedantisch, vorsichtig, ängstlich. Wir möchten empfehlen,
fiir die Prüfungsarbeiten der Regieruugsassessoren und die staatswissenschaft¬
licher Seminararbeiten der nächsten Zeit das Thema zu wählen: „Was haben
die Kreisausschüsse zur Bewältigung des Notstands in den Überschwemmungs¬
gebieten gentttzt?" und: „Haben sie im besondern die Landräte zu schnellen Ma߬
nahmen gegen die dringende Not befähigt und veranlaßt?" Aber die Sache ist uns
viel zu ernst, als daß wir solchen Betrachtungen länger Raum geben dürften, die
Thatsache ist zu traurig, als daß mau jetzt Lust haben könnte, über die Einzelheiten in
unsrer Verwaltungsorganisation zu streiten. Die Hauptschuld liegt auch nicht in
diesen Einzelheiten, auch nicht in der Organisation selbst, sondern in dem Geiste,
der eingerissen ist in ihrer Leitung und Führung. Man soll sich hüten, diese oder
jene Person dafür verantwortlich zu machen. Fürsten und Staatsmänner, die Ge¬
waltiges leisten zum Besten des Ganzen, können, gedrängt durch Widerstände, die
sie dabei finden, schädigende Nebenwirkungen ihrer Leistungen vielfach gar nicht
vermeiden. Aber wenn diese Schädlichkeiten später das Gute zu überwuchern drohen,
dann ist ihre Beseitigung unnachsichtlich zu fordern, der Kampf gegen sie aufzu¬
nehmen. Und dazu mahnt nichts so sehr, als das Versagen des Preußischen Ber-
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