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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte

le Besprechungen der heimischen Presse über unsre Beziehungen
zu Rußland haben in den elf Monaten, die zwischen dem Besuch
des Kaisers Nikolaus in Breslau und dem Gegenbesuch unsers
Kaiserspaares in Petersburg verflossen sind, eine wesentliche
Wandlung zum Bessern gezeigt. Sie sind viel sachlicher ge¬
worden, betonen weniger den Klatsch und versuchen mehr, auf den poli¬
tischen Kern einzugehen. Man fängt nachgerade an, einzusehen, daß sich die
vorsichtig und bedachtsam geleitete auswärtige Politik des Reichs in guten
Händen befindet. Selbst die am hartnäckigsten mit Kanzler- und Minister¬
stürzen beschäftigten Blätter müssen zugeben, daß sie für ihre Voraussetzungen
"kritischer Tage" vorläufig keine Flutfaktoren anzuführen vermögen, und gönnen
kleinlaut dem Fürsten Hohenlohe die Sicherung feiner Stelle über den Herbst
hinaus. Die Guten! Nun, wir können ihnen zum Trost verraten, daß der
nun achtundsiebzig Jahre alte Reichskanzler nicht ewig bleiben wird; einmal
werden sie Recht behalten, freilich nicht in diesem und wahrscheinlich much nicht
in einem der folgenden Herbste. Das wird lediglich von den: Befinden und
der Arbeitskraft des gegenwärtigen Reichskanzlers abhängen und nicht etwa
^vn hohen Launen und Wandlungen, wie dies nach der Weise der Leckert-
und Lützowpresse noch vielfach augedeutet wird.

Die Stetigkeit, mit der die äußere Politik Deutschlands geleitet wird, be¬
ginnt auch denen erkennbar zu werden, die seither von dem Standpunkt aus¬
gingen, daß. da Fürst Vismarck selbstverständlich ein größerer Staatsmann
ist als Fürst Hohenlohe, sie auch klüger sein müßten als dieser. Neuerdings
sind sie zu der Anerkennung genötigt worden, daß die Rolle, die unsre
Diplomatie im Orient spielt, genau die Linie einhält, auf die auch der Alt¬
reichskanzler stets nachdrücklich hingewiesen hat. Das Ansehen des Reichs


Grenzboten III 1897


Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte

le Besprechungen der heimischen Presse über unsre Beziehungen
zu Rußland haben in den elf Monaten, die zwischen dem Besuch
des Kaisers Nikolaus in Breslau und dem Gegenbesuch unsers
Kaiserspaares in Petersburg verflossen sind, eine wesentliche
Wandlung zum Bessern gezeigt. Sie sind viel sachlicher ge¬
worden, betonen weniger den Klatsch und versuchen mehr, auf den poli¬
tischen Kern einzugehen. Man fängt nachgerade an, einzusehen, daß sich die
vorsichtig und bedachtsam geleitete auswärtige Politik des Reichs in guten
Händen befindet. Selbst die am hartnäckigsten mit Kanzler- und Minister¬
stürzen beschäftigten Blätter müssen zugeben, daß sie für ihre Voraussetzungen
„kritischer Tage" vorläufig keine Flutfaktoren anzuführen vermögen, und gönnen
kleinlaut dem Fürsten Hohenlohe die Sicherung feiner Stelle über den Herbst
hinaus. Die Guten! Nun, wir können ihnen zum Trost verraten, daß der
nun achtundsiebzig Jahre alte Reichskanzler nicht ewig bleiben wird; einmal
werden sie Recht behalten, freilich nicht in diesem und wahrscheinlich much nicht
in einem der folgenden Herbste. Das wird lediglich von den: Befinden und
der Arbeitskraft des gegenwärtigen Reichskanzlers abhängen und nicht etwa
^vn hohen Launen und Wandlungen, wie dies nach der Weise der Leckert-
und Lützowpresse noch vielfach augedeutet wird.

Die Stetigkeit, mit der die äußere Politik Deutschlands geleitet wird, be¬
ginnt auch denen erkennbar zu werden, die seither von dem Standpunkt aus¬
gingen, daß. da Fürst Vismarck selbstverständlich ein größerer Staatsmann
ist als Fürst Hohenlohe, sie auch klüger sein müßten als dieser. Neuerdings
sind sie zu der Anerkennung genötigt worden, daß die Rolle, die unsre
Diplomatie im Orient spielt, genau die Linie einhält, auf die auch der Alt¬
reichskanzler stets nachdrücklich hingewiesen hat. Das Ansehen des Reichs


Grenzboten III 1897
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[0585] [Abbildung] Der Zusammenschluß der kontinentalen Mächte le Besprechungen der heimischen Presse über unsre Beziehungen zu Rußland haben in den elf Monaten, die zwischen dem Besuch des Kaisers Nikolaus in Breslau und dem Gegenbesuch unsers Kaiserspaares in Petersburg verflossen sind, eine wesentliche Wandlung zum Bessern gezeigt. Sie sind viel sachlicher ge¬ worden, betonen weniger den Klatsch und versuchen mehr, auf den poli¬ tischen Kern einzugehen. Man fängt nachgerade an, einzusehen, daß sich die vorsichtig und bedachtsam geleitete auswärtige Politik des Reichs in guten Händen befindet. Selbst die am hartnäckigsten mit Kanzler- und Minister¬ stürzen beschäftigten Blätter müssen zugeben, daß sie für ihre Voraussetzungen „kritischer Tage" vorläufig keine Flutfaktoren anzuführen vermögen, und gönnen kleinlaut dem Fürsten Hohenlohe die Sicherung feiner Stelle über den Herbst hinaus. Die Guten! Nun, wir können ihnen zum Trost verraten, daß der nun achtundsiebzig Jahre alte Reichskanzler nicht ewig bleiben wird; einmal werden sie Recht behalten, freilich nicht in diesem und wahrscheinlich much nicht in einem der folgenden Herbste. Das wird lediglich von den: Befinden und der Arbeitskraft des gegenwärtigen Reichskanzlers abhängen und nicht etwa ^vn hohen Launen und Wandlungen, wie dies nach der Weise der Leckert- und Lützowpresse noch vielfach augedeutet wird. Die Stetigkeit, mit der die äußere Politik Deutschlands geleitet wird, be¬ ginnt auch denen erkennbar zu werden, die seither von dem Standpunkt aus¬ gingen, daß. da Fürst Vismarck selbstverständlich ein größerer Staatsmann ist als Fürst Hohenlohe, sie auch klüger sein müßten als dieser. Neuerdings sind sie zu der Anerkennung genötigt worden, daß die Rolle, die unsre Diplomatie im Orient spielt, genau die Linie einhält, auf die auch der Alt¬ reichskanzler stets nachdrücklich hingewiesen hat. Das Ansehen des Reichs Grenzboten III 1897

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/585>, abgerufen am 27.12.2024.