Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Vom Idealismus in der Wissenschaft u Anfang des Jahres 1880 starb in Königsberg in dem hohen Er stammte aus einer alten, leidlich wohlhabenden Familie. Sein Vater Vom Idealismus in der Wissenschaft u Anfang des Jahres 1880 starb in Königsberg in dem hohen Er stammte aus einer alten, leidlich wohlhabenden Familie. Sein Vater <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0519" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/226105"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341865_225585/figures/grenzboten_341865_225585_226105_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Vom Idealismus in der Wissenschaft</head><lb/> <p xml:id="ID_1295"> u Anfang des Jahres 1880 starb in Königsberg in dem hohen<lb/> Alter von 83 Jahren als Professor der Kunstgeschichte August<lb/> Hagen. Vielleicht hat es nie einen arbeitsamern Gelehrten ge¬<lb/> geben, denn er schlief höchstens sechs Stunden, oft aber, wenn<lb/> er spät ins Velt kam. nicht einmal so lange, jeder Tag bis in<lb/> sein hohes Alter traf ihn bald nach fünf Uhr am Schreibtisch, jede Stunde<lb/> hatte ihre Bestimmung, und sein „Dienst" ging allem andern vor. Seinen<lb/> Bemühungen verdankt eine Stadt ohne Denkmäler und eine in Bezug auf<lb/> Kunst geschichtslose Bevölkerung ein Museum, einen Kunstverein, eine Kunst¬<lb/> schule oder Provinzialnkadcmie und einen gemeinnützigen wissenschaftlichen<lb/> Verein, die „Prussia." Als junger Mensch hatte er einmal in sein Tagebuch<lb/> geschrieben: "„In der Vaterstadt ist leider wenig Aussicht für mich, nach meinen<lb/> Wünschen zu wirken, und es soll vieler Unglück gewesen sein, daß sie über<lb/> die Anhänglichkeit am Boden eine Bestimmung aufgaben, die die Natur in<lb/> ihre Seele gesenkt hatte, und die außerhalb des Vaterlandes die schönsten<lb/> Früchte hätte tragen können." Seine Bestimmung hat er zwar nicht auf¬<lb/> gegeben, denn das Kunststudium entsprach seiner innersten Neigung, aber daß<lb/> er sich nicht von seiner Vaterstadt trennen wollte, das hat dieser die Früchte<lb/> gebracht, um die er selbst, so dürfen wir jetzt wohl sagen, gekommen ist. Mit<lb/> welchen Hoffnungen und mit welchen Aussichten ging er ins Leben!</p><lb/> <p xml:id="ID_1296" next="#ID_1297"> Er stammte aus einer alten, leidlich wohlhabenden Familie. Sein Vater<lb/> war Professor der Medizin, gab dem Kronprinzen und dem Prinzen Wilhelm<lb/> w Jahre 1808. als der Hof in Königsberg residirte, naturwissenschaftlichen<lb/> Unterricht, Friedrich Wilhelm III. und die Königin Luise erschienen zu seinen<lb/> Experimenten, und das Wohlwollen der königlichen Familie kam auch uoch<lb/> den Nachkommen zu gute. August Hagen konnte ferner zu seiner Ausbildung<lb/> lange Reisen machen bis nach Italien, und seine Empfehlungen öffneten ihm<lb/> die erlesensten Kreise: in Rom konnte er sich Niebuhr und Thorwaldsen nähern,<lb/> in Dresden wurde er von Tieck und dessen Freunden mit offnen Armen auf¬<lb/> genommen, in Weimar lud ihn Goethe zu Tisch. Wem wurde das sonst ge¬<lb/> boten? Der vortreffliche praktische Vater schreibt bald darnach dem noch auf<lb/> Reisen befindlichen Sohne, den er mit Sorge sich von dem Brotstudium der<lb/> Rechtswissenschaft abwenden sieht, die Herzogin von Weimar, die durch Königs-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0519]
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Vom Idealismus in der Wissenschaft
u Anfang des Jahres 1880 starb in Königsberg in dem hohen
Alter von 83 Jahren als Professor der Kunstgeschichte August
Hagen. Vielleicht hat es nie einen arbeitsamern Gelehrten ge¬
geben, denn er schlief höchstens sechs Stunden, oft aber, wenn
er spät ins Velt kam. nicht einmal so lange, jeder Tag bis in
sein hohes Alter traf ihn bald nach fünf Uhr am Schreibtisch, jede Stunde
hatte ihre Bestimmung, und sein „Dienst" ging allem andern vor. Seinen
Bemühungen verdankt eine Stadt ohne Denkmäler und eine in Bezug auf
Kunst geschichtslose Bevölkerung ein Museum, einen Kunstverein, eine Kunst¬
schule oder Provinzialnkadcmie und einen gemeinnützigen wissenschaftlichen
Verein, die „Prussia." Als junger Mensch hatte er einmal in sein Tagebuch
geschrieben: "„In der Vaterstadt ist leider wenig Aussicht für mich, nach meinen
Wünschen zu wirken, und es soll vieler Unglück gewesen sein, daß sie über
die Anhänglichkeit am Boden eine Bestimmung aufgaben, die die Natur in
ihre Seele gesenkt hatte, und die außerhalb des Vaterlandes die schönsten
Früchte hätte tragen können." Seine Bestimmung hat er zwar nicht auf¬
gegeben, denn das Kunststudium entsprach seiner innersten Neigung, aber daß
er sich nicht von seiner Vaterstadt trennen wollte, das hat dieser die Früchte
gebracht, um die er selbst, so dürfen wir jetzt wohl sagen, gekommen ist. Mit
welchen Hoffnungen und mit welchen Aussichten ging er ins Leben!
Er stammte aus einer alten, leidlich wohlhabenden Familie. Sein Vater
war Professor der Medizin, gab dem Kronprinzen und dem Prinzen Wilhelm
w Jahre 1808. als der Hof in Königsberg residirte, naturwissenschaftlichen
Unterricht, Friedrich Wilhelm III. und die Königin Luise erschienen zu seinen
Experimenten, und das Wohlwollen der königlichen Familie kam auch uoch
den Nachkommen zu gute. August Hagen konnte ferner zu seiner Ausbildung
lange Reisen machen bis nach Italien, und seine Empfehlungen öffneten ihm
die erlesensten Kreise: in Rom konnte er sich Niebuhr und Thorwaldsen nähern,
in Dresden wurde er von Tieck und dessen Freunden mit offnen Armen auf¬
genommen, in Weimar lud ihn Goethe zu Tisch. Wem wurde das sonst ge¬
boten? Der vortreffliche praktische Vater schreibt bald darnach dem noch auf
Reisen befindlichen Sohne, den er mit Sorge sich von dem Brotstudium der
Rechtswissenschaft abwenden sieht, die Herzogin von Weimar, die durch Königs-
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