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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Einiges von der deutschen Rechtseinheit

ihr Urteil gesprochen hat: mit der Verwerfung der Neichsverfcisfung von feiten
der Abgeordneten, deren politischem Ideal sie nicht völlig gerecht wurde.
Gierke warnt davor, "der äußern Rechtseinheit die innere Gesundheit und
lebendige Kraft unsers Privatrechts zu opfern." Wo steckt denn aber die
innere Gesundheit und lebendige Kraft unsers bestehenden Privatrechts? In
den Tagen des Kampfes um den Entwurf hat man sich allerdings darauf be¬
sonnen, in dem Allgemeinen Landrecht, ja wohl gar auch im Ooclv vivit
wichtige nationale Güter, in ihrem Verluste eine Schädigung des deutschen
Nolkstums zu sehen; früher wäre auf eine solche Schätzung niemand gekommen.
Vom nationalen Standpunkt aus ist es das unvergängliche Verdienst des
Allgemeinen Landrechts, die aus der "Rezeption" geretteten Neste des deutschen
Rechts vor der neuen romanistischen Hochflut zu Anfang dieses Jahrhunderts
bewahrt zu haben; das bürgerliche Gesetzbuch macht die dcutschrechtlichen Be¬
standteile, die sich in dem Allgemeinen Landrecht als lebensfähig erwiesen haben,
zum Gemeingute des ganzen deutschen Reichs!

Gewiß wäre es ein verfehltes Bestreben, berechtigte landschaftliche Be-
sonderheiten dem Schattenbild einer bloßen Zentralisation zu opfern; die be¬
stehende Rechtszersplitterung ist aber nichts als ein Überbleibsel der politischen
Zersplitterung Deutschlands in vergangner Zeit, ein Zeugnis der Ohnmacht
der Reichsgewalt im Mittelalter. Von den bestehenden Partiknlarrechten hat
sich kein einziges, bei allen einzelnen Vorzügen und Verdiensten, die geschicht¬
liche Berechtigung des Fortbestehens erkämpft, weder das Allgemeine Landrecht
noch das Sächsische Gesetzbuch, von Pommerscher Bauerordnung, Jvachimika,
Indisch Low usw. ganz zu geschweigen. Wenn das bürgerliche Gesetzbuch keinen
andern Vorzug hätte als den, uns von dem "Trümmerfelde deutscher Nechts-
einrichtungen," wie mau unser heutiges Privatrecht nennen muß, zu befreien,
so würde das allein einen erklecklichen Schuldposten an einzelnen Verschlechte¬
rungen dem bestehenden Rechte gegenüber aufwiegen.

Wer hiervon ausgeht, wird uur noch fragen dürfen, ob nicht im einzelnen
die Opfer, d. h. die Verschlechterungen des bestehenden Rechts zu groß und
am Ende vermeidlich gewesen wären; unerläßlich ist es aber, bei der Ver-
gleichung nicht Wünsche und Ideale, sondern das bestehende Recht zu Grunde
zu legen.


3

Für unsre Betrachtung dient das Allgemeine Landrecht zum Ausgangs¬
punkt, das etwa 43 Prozent der Bevölkerung des deutschen Reichs beherrscht.
Die Vergleichung selbst kann unter den verschiedenstell Gesichtspunkten erfolgen.
Man hat dem bürgerlichen Gesetzbuch einseitigen Kapitalismus vorgeworfen,
freilich ohne nähere Begründung und überzeugenden Nachweis im einzelnen.
Gerade mit Rücksicht hierauf verlohnt es sich, die Änderungen an dem be-


Einiges von der deutschen Rechtseinheit

ihr Urteil gesprochen hat: mit der Verwerfung der Neichsverfcisfung von feiten
der Abgeordneten, deren politischem Ideal sie nicht völlig gerecht wurde.
Gierke warnt davor, „der äußern Rechtseinheit die innere Gesundheit und
lebendige Kraft unsers Privatrechts zu opfern." Wo steckt denn aber die
innere Gesundheit und lebendige Kraft unsers bestehenden Privatrechts? In
den Tagen des Kampfes um den Entwurf hat man sich allerdings darauf be¬
sonnen, in dem Allgemeinen Landrecht, ja wohl gar auch im Ooclv vivit
wichtige nationale Güter, in ihrem Verluste eine Schädigung des deutschen
Nolkstums zu sehen; früher wäre auf eine solche Schätzung niemand gekommen.
Vom nationalen Standpunkt aus ist es das unvergängliche Verdienst des
Allgemeinen Landrechts, die aus der „Rezeption" geretteten Neste des deutschen
Rechts vor der neuen romanistischen Hochflut zu Anfang dieses Jahrhunderts
bewahrt zu haben; das bürgerliche Gesetzbuch macht die dcutschrechtlichen Be¬
standteile, die sich in dem Allgemeinen Landrecht als lebensfähig erwiesen haben,
zum Gemeingute des ganzen deutschen Reichs!

Gewiß wäre es ein verfehltes Bestreben, berechtigte landschaftliche Be-
sonderheiten dem Schattenbild einer bloßen Zentralisation zu opfern; die be¬
stehende Rechtszersplitterung ist aber nichts als ein Überbleibsel der politischen
Zersplitterung Deutschlands in vergangner Zeit, ein Zeugnis der Ohnmacht
der Reichsgewalt im Mittelalter. Von den bestehenden Partiknlarrechten hat
sich kein einziges, bei allen einzelnen Vorzügen und Verdiensten, die geschicht¬
liche Berechtigung des Fortbestehens erkämpft, weder das Allgemeine Landrecht
noch das Sächsische Gesetzbuch, von Pommerscher Bauerordnung, Jvachimika,
Indisch Low usw. ganz zu geschweigen. Wenn das bürgerliche Gesetzbuch keinen
andern Vorzug hätte als den, uns von dem „Trümmerfelde deutscher Nechts-
einrichtungen," wie mau unser heutiges Privatrecht nennen muß, zu befreien,
so würde das allein einen erklecklichen Schuldposten an einzelnen Verschlechte¬
rungen dem bestehenden Rechte gegenüber aufwiegen.

Wer hiervon ausgeht, wird uur noch fragen dürfen, ob nicht im einzelnen
die Opfer, d. h. die Verschlechterungen des bestehenden Rechts zu groß und
am Ende vermeidlich gewesen wären; unerläßlich ist es aber, bei der Ver-
gleichung nicht Wünsche und Ideale, sondern das bestehende Recht zu Grunde
zu legen.


3

Für unsre Betrachtung dient das Allgemeine Landrecht zum Ausgangs¬
punkt, das etwa 43 Prozent der Bevölkerung des deutschen Reichs beherrscht.
Die Vergleichung selbst kann unter den verschiedenstell Gesichtspunkten erfolgen.
Man hat dem bürgerlichen Gesetzbuch einseitigen Kapitalismus vorgeworfen,
freilich ohne nähere Begründung und überzeugenden Nachweis im einzelnen.
Gerade mit Rücksicht hierauf verlohnt es sich, die Änderungen an dem be-


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[0504] Einiges von der deutschen Rechtseinheit ihr Urteil gesprochen hat: mit der Verwerfung der Neichsverfcisfung von feiten der Abgeordneten, deren politischem Ideal sie nicht völlig gerecht wurde. Gierke warnt davor, „der äußern Rechtseinheit die innere Gesundheit und lebendige Kraft unsers Privatrechts zu opfern." Wo steckt denn aber die innere Gesundheit und lebendige Kraft unsers bestehenden Privatrechts? In den Tagen des Kampfes um den Entwurf hat man sich allerdings darauf be¬ sonnen, in dem Allgemeinen Landrecht, ja wohl gar auch im Ooclv vivit wichtige nationale Güter, in ihrem Verluste eine Schädigung des deutschen Nolkstums zu sehen; früher wäre auf eine solche Schätzung niemand gekommen. Vom nationalen Standpunkt aus ist es das unvergängliche Verdienst des Allgemeinen Landrechts, die aus der „Rezeption" geretteten Neste des deutschen Rechts vor der neuen romanistischen Hochflut zu Anfang dieses Jahrhunderts bewahrt zu haben; das bürgerliche Gesetzbuch macht die dcutschrechtlichen Be¬ standteile, die sich in dem Allgemeinen Landrecht als lebensfähig erwiesen haben, zum Gemeingute des ganzen deutschen Reichs! Gewiß wäre es ein verfehltes Bestreben, berechtigte landschaftliche Be- sonderheiten dem Schattenbild einer bloßen Zentralisation zu opfern; die be¬ stehende Rechtszersplitterung ist aber nichts als ein Überbleibsel der politischen Zersplitterung Deutschlands in vergangner Zeit, ein Zeugnis der Ohnmacht der Reichsgewalt im Mittelalter. Von den bestehenden Partiknlarrechten hat sich kein einziges, bei allen einzelnen Vorzügen und Verdiensten, die geschicht¬ liche Berechtigung des Fortbestehens erkämpft, weder das Allgemeine Landrecht noch das Sächsische Gesetzbuch, von Pommerscher Bauerordnung, Jvachimika, Indisch Low usw. ganz zu geschweigen. Wenn das bürgerliche Gesetzbuch keinen andern Vorzug hätte als den, uns von dem „Trümmerfelde deutscher Nechts- einrichtungen," wie mau unser heutiges Privatrecht nennen muß, zu befreien, so würde das allein einen erklecklichen Schuldposten an einzelnen Verschlechte¬ rungen dem bestehenden Rechte gegenüber aufwiegen. Wer hiervon ausgeht, wird uur noch fragen dürfen, ob nicht im einzelnen die Opfer, d. h. die Verschlechterungen des bestehenden Rechts zu groß und am Ende vermeidlich gewesen wären; unerläßlich ist es aber, bei der Ver- gleichung nicht Wünsche und Ideale, sondern das bestehende Recht zu Grunde zu legen. 3 Für unsre Betrachtung dient das Allgemeine Landrecht zum Ausgangs¬ punkt, das etwa 43 Prozent der Bevölkerung des deutschen Reichs beherrscht. Die Vergleichung selbst kann unter den verschiedenstell Gesichtspunkten erfolgen. Man hat dem bürgerlichen Gesetzbuch einseitigen Kapitalismus vorgeworfen, freilich ohne nähere Begründung und überzeugenden Nachweis im einzelnen. Gerade mit Rücksicht hierauf verlohnt es sich, die Änderungen an dem be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/504>, abgerufen am 27.12.2024.