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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

wir wieder den herrlichen Ausgleich in der nennr, jene Naturgerechtigkeit, die von
der menschlichen Gerechtigkeit so wohlthuend absticht.

Und weil die Menschen niemals gleich werden können, weil die Liebe der
Natur in die Hände spielt, weil die Liebe der Natur die Ungleichen liefert, ewig
und immerdar, so ist auch jegliches Menschenbeglückungssystem, das auf dem Prinzip
der Gleichheit beruht, entweder ein Hirngespinst oder eine Betrügerei. Man mag
die Menschen für eine kurze Spanne Zeit mit Gewalt so gleich machen, daß sie
von einer geschornen Hammclherde nicht mehr zu unterscheiden ist: bald wird sich
zeigen, daß auch innerhalb dieser Herde der Klügere über den Dümmern triumphirt,
oder auch umgekehrt, aber gleich bleibt die Herde nicht. Von dem geistigen Erb¬
teil, zu dem anch die geschäftliche Anlage gehört, von diesem Erbteil, das jeder
mit auf die Welt bringt, kann dein Menschen nichts genommen werden. Die
Menschen würden auch unter den erschwerendsten Umständen immer wieder darnach
streben, naturnotwendig darnach streben, die Ungleichheit, die von der Natur in
ihnen niedergelegt ist, auch äußerlich zu bethätigen. Nicht die Erziehung, der
Unterricht, die Bildung, überhaupt die Kultur macht die Menschen ungleich, sondern
die Natur hat diese Ungleichheit zu ihren ewigen Zwecken nötig. Und da wir
diese Zwecke weder begreifen noch erkennen können, weil wir selbst ja ein Bruchteil
dieser Natur siud, so werden wir auch die Notwendigkeit unsrer eignen Ungleichheit
weder begreifen noch ändern können.




Litteratur
Henri Wolschinger, I>s Noi as Roms. ?s,ris, ?1ein, 1897

Mit diesem Buch ist wohl über deu König von Rom das letzte Wort ge¬
sprochen worden: das Material ist erschöpft, und das politische Interesse um dieser
Persönlichkeit auch. Beim Leser wird durch diesen stattlichen Band überhaupt
weniger das politische als das psychologische Interesse an diesem entthronten Erben
ungeheurer Herrschaftsansprüche erregt.

Von Rechts wegen war Napoleon II. Kaiser der Franzosen von dem Tage
ab, wo sein Vater zu seinen Gunsten abdankte und die Kammern von Paris den
Sohn feierlich und förmlich als Erben der Krone anerkannten. Daß die Mächte
die Anerkennung verweigerten, ändert daran nichts. In so weit, aber anch nicht
weiter hat Napoleon II. eine unmittelbare Rolle in der Geschichte der Staaten
gespielt. Wenn er dann später in der Hand Metternichs ein politisches Werkzeug
von einiger Wirkung wurde, so war das nur eine mittelbare Wirkung. Metternich
brauchte den Kaiser der Franzosen, König von Rom, Herzog von Reichstadt bis
an dessen Lebensende als eine bequeme Leine, an der er den Hof der Bourbonen
und zuletzt auch Ludwig Philipp leitete. Sobald man in Paris Miene machte,
etwas andres zu wollen als Metternich, drohte er mit dem Herzog, den er gegen
die französischen Machthaber loslassen werde. Und nie ohne Wirkung, denn man
fürchtete dort diesen zweiten Napoleon fast mehr als den ersten, und Franz II.
mochte Recht haben, wenn er dem Enkel sagte, er brauchte nur in Straßburg zu


Litteratur

wir wieder den herrlichen Ausgleich in der nennr, jene Naturgerechtigkeit, die von
der menschlichen Gerechtigkeit so wohlthuend absticht.

Und weil die Menschen niemals gleich werden können, weil die Liebe der
Natur in die Hände spielt, weil die Liebe der Natur die Ungleichen liefert, ewig
und immerdar, so ist auch jegliches Menschenbeglückungssystem, das auf dem Prinzip
der Gleichheit beruht, entweder ein Hirngespinst oder eine Betrügerei. Man mag
die Menschen für eine kurze Spanne Zeit mit Gewalt so gleich machen, daß sie
von einer geschornen Hammclherde nicht mehr zu unterscheiden ist: bald wird sich
zeigen, daß auch innerhalb dieser Herde der Klügere über den Dümmern triumphirt,
oder auch umgekehrt, aber gleich bleibt die Herde nicht. Von dem geistigen Erb¬
teil, zu dem anch die geschäftliche Anlage gehört, von diesem Erbteil, das jeder
mit auf die Welt bringt, kann dein Menschen nichts genommen werden. Die
Menschen würden auch unter den erschwerendsten Umständen immer wieder darnach
streben, naturnotwendig darnach streben, die Ungleichheit, die von der Natur in
ihnen niedergelegt ist, auch äußerlich zu bethätigen. Nicht die Erziehung, der
Unterricht, die Bildung, überhaupt die Kultur macht die Menschen ungleich, sondern
die Natur hat diese Ungleichheit zu ihren ewigen Zwecken nötig. Und da wir
diese Zwecke weder begreifen noch erkennen können, weil wir selbst ja ein Bruchteil
dieser Natur siud, so werden wir auch die Notwendigkeit unsrer eignen Ungleichheit
weder begreifen noch ändern können.




Litteratur
Henri Wolschinger, I>s Noi as Roms. ?s,ris, ?1ein, 1897

Mit diesem Buch ist wohl über deu König von Rom das letzte Wort ge¬
sprochen worden: das Material ist erschöpft, und das politische Interesse um dieser
Persönlichkeit auch. Beim Leser wird durch diesen stattlichen Band überhaupt
weniger das politische als das psychologische Interesse an diesem entthronten Erben
ungeheurer Herrschaftsansprüche erregt.

Von Rechts wegen war Napoleon II. Kaiser der Franzosen von dem Tage
ab, wo sein Vater zu seinen Gunsten abdankte und die Kammern von Paris den
Sohn feierlich und förmlich als Erben der Krone anerkannten. Daß die Mächte
die Anerkennung verweigerten, ändert daran nichts. In so weit, aber anch nicht
weiter hat Napoleon II. eine unmittelbare Rolle in der Geschichte der Staaten
gespielt. Wenn er dann später in der Hand Metternichs ein politisches Werkzeug
von einiger Wirkung wurde, so war das nur eine mittelbare Wirkung. Metternich
brauchte den Kaiser der Franzosen, König von Rom, Herzog von Reichstadt bis
an dessen Lebensende als eine bequeme Leine, an der er den Hof der Bourbonen
und zuletzt auch Ludwig Philipp leitete. Sobald man in Paris Miene machte,
etwas andres zu wollen als Metternich, drohte er mit dem Herzog, den er gegen
die französischen Machthaber loslassen werde. Und nie ohne Wirkung, denn man
fürchtete dort diesen zweiten Napoleon fast mehr als den ersten, und Franz II.
mochte Recht haben, wenn er dem Enkel sagte, er brauchte nur in Straßburg zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/486>, abgerufen am 23.07.2024.