Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Aus unsrer Gstmark sehnlicher Wunsch der Polen nach einer dauernden slawischen Überflutung 3 Das in der dargestellten Weise vordringende Polentum steht unter der Aus unsrer Gstmark sehnlicher Wunsch der Polen nach einer dauernden slawischen Überflutung 3 Das in der dargestellten Weise vordringende Polentum steht unter der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225991"/> <fw type="header" place="top"> Aus unsrer Gstmark</fw><lb/> <p xml:id="ID_1016" prev="#ID_1015"> sehnlicher Wunsch der Polen nach einer dauernden slawischen Überflutung<lb/> der Ostmark erfüllen. Eins ist sicher: je mehr die Rübenkultur in diesen<lb/> Provinzen, eine Folge der niedrigen Getreidepreise, zunimmt, je mehr Zucker¬<lb/> fabriken hier entstehen, je größer die Überproduktion an Zucker wird und<lb/> damit die Zuckerpreise unter dem Druck ausländischer Konkurrenz und aus¬<lb/> ländischer Zollmaßregeln sinken, um so lebhafter wird der Wunsch nach den<lb/> billigen ausländischen Arbeitskräften, und desto massenhafter der Zuzug aus<lb/> Polen und Galizien werden. Um solchen Arbeitern den Abzug nach Deutsch¬<lb/> land zu erleichtern, wird neuerdings von den russischen Behörden der Übertritt<lb/> über die Grenze nicht bloß auf teure Pässe mit kurzer Giltigkeitsdauer, sondern<lb/> auch auf Grenzkarten mit dreimonatiger Giltigkeit gestattet. Nach ostpreußischen<lb/> Blättern haben dort von dieser „Erleichterung" schon viele Besitzer Gebrauch<lb/> gemacht und sich durch Agenten Arbeiter beschafft, wie solche auch in Zahl<lb/> von 500 bis 600 nach Rastenburg und Tapiau zum Bau der Kleinbahn ge¬<lb/> zogen worden sind. Bewahre uns Gott davor, daß unsre Regierung in diesem<lb/> Punkte schwach wird, wie sie es aus „Humanität" früher jahrzehntelang<lb/> gewesen ist, als sie sich dem Militärdienst entziehende Überläufer in Preußen<lb/> zuließ, die ihm mit Undank lohnten. Mag es auch um zwei Menschenalter<lb/> zurückliegen, die Thatsache dürfte auch heute noch von Interesse sein, daß in<lb/> den Jahren 1832 bis 1834 die Zahl der in die heutigen Ansiedlungsprovinzcn<lb/> einwandernden Katholiken l29000) nur deshalb so plötzlich und so stark an¬<lb/> schwoll, weil den polnischen Flüchtlingen nach dem Aufstande von 1831 die<lb/> Thore des gastlichen Preußens weit aufgethan waren.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 3</head><lb/> <p xml:id="ID_1017" next="#ID_1018"> Das in der dargestellten Weise vordringende Polentum steht unter der<lb/> Führung eines Klerus, der, in allen seinen Gliedern ebenso national wie ultra¬<lb/> montan gesinnt, dem protestantischen Wesen und Staate todfeind ist und die<lb/> Kunst zu herrschen im Laufe der Jahrhunderte bis zur Virtuosität aus¬<lb/> gebildet hat. An ihn hat der durch ungeheure Verluste an materiellem Gut<lb/> geschwächte Adel, der von der geistigen und sittlichen Wiedergeburt seiner Volks¬<lb/> genossen am wenigsten ergriffen worden ist, seit dem Tode des Erzbischofs<lb/> Dinder die Führerrolle abgegeben. Alle Polen, auch der letzte Proletarier in<lb/> Lumpen, sind sich heute bewußt. Glieder einer im Vorschreiten begriffnen<lb/> nationalen Gemeinschaft zu sein, und sie sind bereit, selbst unter materiellen<lb/> Opfern, alle Pflichten zu erfüllen, die ihnen der Nationalitätenkampf auferlegt;<lb/> das wird bestätigt durch die fast vollzählige Beteiligung der Polen an allen<lb/> Wahlen, so an der letzten Reichstagswahl im Kreise Schwetz, wo arme Arbeiter<lb/> Zur Abgabe ihres Stimmzettels ans fernen Provinzen herbeeilten; es wird<lb/> bestätigt durch die häufigen Ausschreitungen gegen Deutsche, z. V. deutsche<lb/> Wähler, bis zum Todschlag. Je eifrigere Polen die Polen geworden sind, desto<lb/> bessere Katholiken sind sie auch geworden, in allen Schichten, selbst die in Sünden</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0405]
Aus unsrer Gstmark
sehnlicher Wunsch der Polen nach einer dauernden slawischen Überflutung
der Ostmark erfüllen. Eins ist sicher: je mehr die Rübenkultur in diesen
Provinzen, eine Folge der niedrigen Getreidepreise, zunimmt, je mehr Zucker¬
fabriken hier entstehen, je größer die Überproduktion an Zucker wird und
damit die Zuckerpreise unter dem Druck ausländischer Konkurrenz und aus¬
ländischer Zollmaßregeln sinken, um so lebhafter wird der Wunsch nach den
billigen ausländischen Arbeitskräften, und desto massenhafter der Zuzug aus
Polen und Galizien werden. Um solchen Arbeitern den Abzug nach Deutsch¬
land zu erleichtern, wird neuerdings von den russischen Behörden der Übertritt
über die Grenze nicht bloß auf teure Pässe mit kurzer Giltigkeitsdauer, sondern
auch auf Grenzkarten mit dreimonatiger Giltigkeit gestattet. Nach ostpreußischen
Blättern haben dort von dieser „Erleichterung" schon viele Besitzer Gebrauch
gemacht und sich durch Agenten Arbeiter beschafft, wie solche auch in Zahl
von 500 bis 600 nach Rastenburg und Tapiau zum Bau der Kleinbahn ge¬
zogen worden sind. Bewahre uns Gott davor, daß unsre Regierung in diesem
Punkte schwach wird, wie sie es aus „Humanität" früher jahrzehntelang
gewesen ist, als sie sich dem Militärdienst entziehende Überläufer in Preußen
zuließ, die ihm mit Undank lohnten. Mag es auch um zwei Menschenalter
zurückliegen, die Thatsache dürfte auch heute noch von Interesse sein, daß in
den Jahren 1832 bis 1834 die Zahl der in die heutigen Ansiedlungsprovinzcn
einwandernden Katholiken l29000) nur deshalb so plötzlich und so stark an¬
schwoll, weil den polnischen Flüchtlingen nach dem Aufstande von 1831 die
Thore des gastlichen Preußens weit aufgethan waren.
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Das in der dargestellten Weise vordringende Polentum steht unter der
Führung eines Klerus, der, in allen seinen Gliedern ebenso national wie ultra¬
montan gesinnt, dem protestantischen Wesen und Staate todfeind ist und die
Kunst zu herrschen im Laufe der Jahrhunderte bis zur Virtuosität aus¬
gebildet hat. An ihn hat der durch ungeheure Verluste an materiellem Gut
geschwächte Adel, der von der geistigen und sittlichen Wiedergeburt seiner Volks¬
genossen am wenigsten ergriffen worden ist, seit dem Tode des Erzbischofs
Dinder die Führerrolle abgegeben. Alle Polen, auch der letzte Proletarier in
Lumpen, sind sich heute bewußt. Glieder einer im Vorschreiten begriffnen
nationalen Gemeinschaft zu sein, und sie sind bereit, selbst unter materiellen
Opfern, alle Pflichten zu erfüllen, die ihnen der Nationalitätenkampf auferlegt;
das wird bestätigt durch die fast vollzählige Beteiligung der Polen an allen
Wahlen, so an der letzten Reichstagswahl im Kreise Schwetz, wo arme Arbeiter
Zur Abgabe ihres Stimmzettels ans fernen Provinzen herbeeilten; es wird
bestätigt durch die häufigen Ausschreitungen gegen Deutsche, z. V. deutsche
Wähler, bis zum Todschlag. Je eifrigere Polen die Polen geworden sind, desto
bessere Katholiken sind sie auch geworden, in allen Schichten, selbst die in Sünden
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