Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Niquel und Bennigsen

an mag über Eugen Richter sagen, was man will, und über seine
"Unentwegtheit" so viel spotten, wie man Lust hat, aber ein ganzer
Mann ist er doch, und im deutschen Reichstage darf er sowenig
fehlen wie im preußischen Abgeordnetenhause, Die National-
liberaleu lieben ihn freilich nicht, aber man kennt den Grund
ihrer gelegentlichen Verstimmung. Sich eingestehen zu müssen-, daß man in
der Vertretung des liberalen Gedankens schon seit langem nicht mehr so glück¬
lich ist wie die Freisinnigen, die in Richter ihren nie fehlenden und nie ver¬
sagenden Führer haben, ist gerade keine Annehmlichkeit, umso weniger, als es
an Beredsamkeit in den Reihen ihrer Parlamentarier nicht fehlt. Es war des¬
halb auch nicht zu verwundern, daß, als Richter seine erste große Rede zur
Verwerfung der Vereinsgesetznovelle gehalten hatte, die nationalliberale Presse
ihre Aufmerksamkeit nicht so sehr dem zuwandte, was als wesentlich gelten
mußte, sondern daß sie ihrer besondern Freude über das Ausdruck gab, was
aus der bloßen Parteibetrachtungsweise hervorgegangen war. Der Führer der
Freisinnigen hatte von den Rechten der Menschheit in einer Weise gesprochen,
die in freier Höhe über dem Dunstkreis aller Parteien lag, aber war dann
bald wieder in jenen Jargon verfallen, der die von ihm selber ausgebildete
Eigentümlichkeit seiner Partei ist. Das Urteil, das er gegen das Ministerium
schleuderte, war ähnlich wie das Jehovas über die Stadt Sodom: es ist
auch nicht ein Gerechter in ihm, die ganze Negierung ist reaktionär. Es wäre
die thörichtste Einbildung, der sich das Volk hingeben könne, zu glauben, daß
auch nur einer der Minister sich seiner Rechte annehmen werde, sie sind alle
mit derselben Brühe vorsündflutlicher Negieruugsweisheit Übergossen. Deshalb
sort mit ihnen allen!


Grenzboten III 1897 43


Niquel und Bennigsen

an mag über Eugen Richter sagen, was man will, und über seine
„Unentwegtheit" so viel spotten, wie man Lust hat, aber ein ganzer
Mann ist er doch, und im deutschen Reichstage darf er sowenig
fehlen wie im preußischen Abgeordnetenhause, Die National-
liberaleu lieben ihn freilich nicht, aber man kennt den Grund
ihrer gelegentlichen Verstimmung. Sich eingestehen zu müssen-, daß man in
der Vertretung des liberalen Gedankens schon seit langem nicht mehr so glück¬
lich ist wie die Freisinnigen, die in Richter ihren nie fehlenden und nie ver¬
sagenden Führer haben, ist gerade keine Annehmlichkeit, umso weniger, als es
an Beredsamkeit in den Reihen ihrer Parlamentarier nicht fehlt. Es war des¬
halb auch nicht zu verwundern, daß, als Richter seine erste große Rede zur
Verwerfung der Vereinsgesetznovelle gehalten hatte, die nationalliberale Presse
ihre Aufmerksamkeit nicht so sehr dem zuwandte, was als wesentlich gelten
mußte, sondern daß sie ihrer besondern Freude über das Ausdruck gab, was
aus der bloßen Parteibetrachtungsweise hervorgegangen war. Der Führer der
Freisinnigen hatte von den Rechten der Menschheit in einer Weise gesprochen,
die in freier Höhe über dem Dunstkreis aller Parteien lag, aber war dann
bald wieder in jenen Jargon verfallen, der die von ihm selber ausgebildete
Eigentümlichkeit seiner Partei ist. Das Urteil, das er gegen das Ministerium
schleuderte, war ähnlich wie das Jehovas über die Stadt Sodom: es ist
auch nicht ein Gerechter in ihm, die ganze Negierung ist reaktionär. Es wäre
die thörichtste Einbildung, der sich das Volk hingeben könne, zu glauben, daß
auch nur einer der Minister sich seiner Rechte annehmen werde, sie sind alle
mit derselben Brühe vorsündflutlicher Negieruugsweisheit Übergossen. Deshalb
sort mit ihnen allen!


Grenzboten III 1897 43
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0345" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225931"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341865_225585/figures/grenzboten_341865_225585_225931_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Niquel und Bennigsen</head><lb/>
          <p xml:id="ID_847"> an mag über Eugen Richter sagen, was man will, und über seine<lb/>
&#x201E;Unentwegtheit" so viel spotten, wie man Lust hat, aber ein ganzer<lb/>
Mann ist er doch, und im deutschen Reichstage darf er sowenig<lb/>
fehlen wie im preußischen Abgeordnetenhause, Die National-<lb/>
liberaleu lieben ihn freilich nicht, aber man kennt den Grund<lb/>
ihrer gelegentlichen Verstimmung. Sich eingestehen zu müssen-, daß man in<lb/>
der Vertretung des liberalen Gedankens schon seit langem nicht mehr so glück¬<lb/>
lich ist wie die Freisinnigen, die in Richter ihren nie fehlenden und nie ver¬<lb/>
sagenden Führer haben, ist gerade keine Annehmlichkeit, umso weniger, als es<lb/>
an Beredsamkeit in den Reihen ihrer Parlamentarier nicht fehlt. Es war des¬<lb/>
halb auch nicht zu verwundern, daß, als Richter seine erste große Rede zur<lb/>
Verwerfung der Vereinsgesetznovelle gehalten hatte, die nationalliberale Presse<lb/>
ihre Aufmerksamkeit nicht so sehr dem zuwandte, was als wesentlich gelten<lb/>
mußte, sondern daß sie ihrer besondern Freude über das Ausdruck gab, was<lb/>
aus der bloßen Parteibetrachtungsweise hervorgegangen war. Der Führer der<lb/>
Freisinnigen hatte von den Rechten der Menschheit in einer Weise gesprochen,<lb/>
die in freier Höhe über dem Dunstkreis aller Parteien lag, aber war dann<lb/>
bald wieder in jenen Jargon verfallen, der die von ihm selber ausgebildete<lb/>
Eigentümlichkeit seiner Partei ist. Das Urteil, das er gegen das Ministerium<lb/>
schleuderte, war ähnlich wie das Jehovas über die Stadt Sodom: es ist<lb/>
auch nicht ein Gerechter in ihm, die ganze Negierung ist reaktionär. Es wäre<lb/>
die thörichtste Einbildung, der sich das Volk hingeben könne, zu glauben, daß<lb/>
auch nur einer der Minister sich seiner Rechte annehmen werde, sie sind alle<lb/>
mit derselben Brühe vorsündflutlicher Negieruugsweisheit Übergossen. Deshalb<lb/>
sort mit ihnen allen!</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1897 43</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0345] [Abbildung] Niquel und Bennigsen an mag über Eugen Richter sagen, was man will, und über seine „Unentwegtheit" so viel spotten, wie man Lust hat, aber ein ganzer Mann ist er doch, und im deutschen Reichstage darf er sowenig fehlen wie im preußischen Abgeordnetenhause, Die National- liberaleu lieben ihn freilich nicht, aber man kennt den Grund ihrer gelegentlichen Verstimmung. Sich eingestehen zu müssen-, daß man in der Vertretung des liberalen Gedankens schon seit langem nicht mehr so glück¬ lich ist wie die Freisinnigen, die in Richter ihren nie fehlenden und nie ver¬ sagenden Führer haben, ist gerade keine Annehmlichkeit, umso weniger, als es an Beredsamkeit in den Reihen ihrer Parlamentarier nicht fehlt. Es war des¬ halb auch nicht zu verwundern, daß, als Richter seine erste große Rede zur Verwerfung der Vereinsgesetznovelle gehalten hatte, die nationalliberale Presse ihre Aufmerksamkeit nicht so sehr dem zuwandte, was als wesentlich gelten mußte, sondern daß sie ihrer besondern Freude über das Ausdruck gab, was aus der bloßen Parteibetrachtungsweise hervorgegangen war. Der Führer der Freisinnigen hatte von den Rechten der Menschheit in einer Weise gesprochen, die in freier Höhe über dem Dunstkreis aller Parteien lag, aber war dann bald wieder in jenen Jargon verfallen, der die von ihm selber ausgebildete Eigentümlichkeit seiner Partei ist. Das Urteil, das er gegen das Ministerium schleuderte, war ähnlich wie das Jehovas über die Stadt Sodom: es ist auch nicht ein Gerechter in ihm, die ganze Negierung ist reaktionär. Es wäre die thörichtste Einbildung, der sich das Volk hingeben könne, zu glauben, daß auch nur einer der Minister sich seiner Rechte annehmen werde, sie sind alle mit derselben Brühe vorsündflutlicher Negieruugsweisheit Übergossen. Deshalb sort mit ihnen allen! Grenzboten III 1897 43

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/345
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/345>, abgerufen am 27.12.2024.