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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

jetzigen Regenten Johann Albrecht ein Ende gemacht werden sollte. In dem Reskript
war gesagt, daß am Heiligendamm und überhaupt im Dobercmer Bezirk das
Schießen nach lebenden Tauben verboten sei; Zuwiderhandelnde würden mit Geld¬
strafe bis zu 60 Mark bestraft werden. So war zu lesen in der Mecklenburgischen
Zeitung. Alle Welt jubelte ans, das Lob des Regenten scholl in alleu Zungen.
Wie sehr war man aber überrascht, als das unheimliche Geknall ganz ruhig weiter¬
ging. Ich glaubte den Gerüchten nicht, die von Beibehaltung der alten Sitte
munkelten, ging hin und sah, was ich -- am liebsten nicht gesehen hätte. Man platzte
die armen Tiere wieder nieder wie sonst. Der Eintritt war gar nicht verboten;
im Gegenteil, ein Sergeant, die Brust voller Orden, stand dabei und ließ das
Treiben zu! Es war also richtig, das Gerücht, ja die kurze Notiz, es würde
wieder geschossen, hatten sogar die Zeitungen nicht unterdrücken können. Und das
geschah trotz eines so bestimmt ausgesprochnen Verbots; es war verboten vor den
Doberaner Rennen, nach denen es sonst sofort von den "berühmten Flinten" aus¬
geübt wurde, und jeder hielt das Verbot schon für diesen Sommer fiir rechtskräftig.
Aber in dem Lande der Obotrite" ist eben alles anders als anderswo. Umso
mehr muß die Feder einsetzen, müssen Tierschutzvereine aufgemuntert werden, damit
dieser wohlthuende großherzogliche Erlaß nicht bloß ein Zukunftstraum bleibe,
sondern Thatsache werde. '


Giebt es ein Recht?

Im 28. Heft wird unter der Überschrift: Das un¬
geschriebne Recht des bürgerlichen Gesetzbuchs gezeigt, wie schwierig und in den
meisten Fällen unmöglich es eigentlich sei, das Recht, das der Gesetzgeber gemeint
hat, genau zu ermitteln. Das erinnert uns an einen Ausspruch Luthers in den
Tischreden (bei Walch S. 2227). Er erzählt da folgendes Geschichtchen. Ein
Mlllleresel steigt in einen Fischerknhn, und dieser wird von der Strömung fort¬
getrieben. Nun verklagt der Müller den Fischer, daß er ihn um seinen Esel, der
Fischer den Müller, daß er ihn um seinen Kahn gebracht habe. Beide hätten
offenbar Recht und beide ebensowohl Unrecht, meint Luther, und so liege die Sache
bei den meisten Rechtshändeln; es gebe gar keine Mstitiam, sondern nur aLHuitatsm,
und er fügt hinzu: summum Ms summa WM'la, summa moclieioa summa iuürmitas,
se summus t-dsoloAus summus xec-calor. Auch die vierte Fakultät ließe sich leicht
beifügen.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

jetzigen Regenten Johann Albrecht ein Ende gemacht werden sollte. In dem Reskript
war gesagt, daß am Heiligendamm und überhaupt im Dobercmer Bezirk das
Schießen nach lebenden Tauben verboten sei; Zuwiderhandelnde würden mit Geld¬
strafe bis zu 60 Mark bestraft werden. So war zu lesen in der Mecklenburgischen
Zeitung. Alle Welt jubelte ans, das Lob des Regenten scholl in alleu Zungen.
Wie sehr war man aber überrascht, als das unheimliche Geknall ganz ruhig weiter¬
ging. Ich glaubte den Gerüchten nicht, die von Beibehaltung der alten Sitte
munkelten, ging hin und sah, was ich — am liebsten nicht gesehen hätte. Man platzte
die armen Tiere wieder nieder wie sonst. Der Eintritt war gar nicht verboten;
im Gegenteil, ein Sergeant, die Brust voller Orden, stand dabei und ließ das
Treiben zu! Es war also richtig, das Gerücht, ja die kurze Notiz, es würde
wieder geschossen, hatten sogar die Zeitungen nicht unterdrücken können. Und das
geschah trotz eines so bestimmt ausgesprochnen Verbots; es war verboten vor den
Doberaner Rennen, nach denen es sonst sofort von den „berühmten Flinten" aus¬
geübt wurde, und jeder hielt das Verbot schon für diesen Sommer fiir rechtskräftig.
Aber in dem Lande der Obotrite» ist eben alles anders als anderswo. Umso
mehr muß die Feder einsetzen, müssen Tierschutzvereine aufgemuntert werden, damit
dieser wohlthuende großherzogliche Erlaß nicht bloß ein Zukunftstraum bleibe,
sondern Thatsache werde. '


Giebt es ein Recht?

Im 28. Heft wird unter der Überschrift: Das un¬
geschriebne Recht des bürgerlichen Gesetzbuchs gezeigt, wie schwierig und in den
meisten Fällen unmöglich es eigentlich sei, das Recht, das der Gesetzgeber gemeint
hat, genau zu ermitteln. Das erinnert uns an einen Ausspruch Luthers in den
Tischreden (bei Walch S. 2227). Er erzählt da folgendes Geschichtchen. Ein
Mlllleresel steigt in einen Fischerknhn, und dieser wird von der Strömung fort¬
getrieben. Nun verklagt der Müller den Fischer, daß er ihn um seinen Esel, der
Fischer den Müller, daß er ihn um seinen Kahn gebracht habe. Beide hätten
offenbar Recht und beide ebensowohl Unrecht, meint Luther, und so liege die Sache
bei den meisten Rechtshändeln; es gebe gar keine Mstitiam, sondern nur aLHuitatsm,
und er fügt hinzu: summum Ms summa WM'la, summa moclieioa summa iuürmitas,
se summus t-dsoloAus summus xec-calor. Auch die vierte Fakultät ließe sich leicht
beifügen.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0296] Maßgebliches und Unmaßgebliches jetzigen Regenten Johann Albrecht ein Ende gemacht werden sollte. In dem Reskript war gesagt, daß am Heiligendamm und überhaupt im Dobercmer Bezirk das Schießen nach lebenden Tauben verboten sei; Zuwiderhandelnde würden mit Geld¬ strafe bis zu 60 Mark bestraft werden. So war zu lesen in der Mecklenburgischen Zeitung. Alle Welt jubelte ans, das Lob des Regenten scholl in alleu Zungen. Wie sehr war man aber überrascht, als das unheimliche Geknall ganz ruhig weiter¬ ging. Ich glaubte den Gerüchten nicht, die von Beibehaltung der alten Sitte munkelten, ging hin und sah, was ich — am liebsten nicht gesehen hätte. Man platzte die armen Tiere wieder nieder wie sonst. Der Eintritt war gar nicht verboten; im Gegenteil, ein Sergeant, die Brust voller Orden, stand dabei und ließ das Treiben zu! Es war also richtig, das Gerücht, ja die kurze Notiz, es würde wieder geschossen, hatten sogar die Zeitungen nicht unterdrücken können. Und das geschah trotz eines so bestimmt ausgesprochnen Verbots; es war verboten vor den Doberaner Rennen, nach denen es sonst sofort von den „berühmten Flinten" aus¬ geübt wurde, und jeder hielt das Verbot schon für diesen Sommer fiir rechtskräftig. Aber in dem Lande der Obotrite» ist eben alles anders als anderswo. Umso mehr muß die Feder einsetzen, müssen Tierschutzvereine aufgemuntert werden, damit dieser wohlthuende großherzogliche Erlaß nicht bloß ein Zukunftstraum bleibe, sondern Thatsache werde. ' Giebt es ein Recht? Im 28. Heft wird unter der Überschrift: Das un¬ geschriebne Recht des bürgerlichen Gesetzbuchs gezeigt, wie schwierig und in den meisten Fällen unmöglich es eigentlich sei, das Recht, das der Gesetzgeber gemeint hat, genau zu ermitteln. Das erinnert uns an einen Ausspruch Luthers in den Tischreden (bei Walch S. 2227). Er erzählt da folgendes Geschichtchen. Ein Mlllleresel steigt in einen Fischerknhn, und dieser wird von der Strömung fort¬ getrieben. Nun verklagt der Müller den Fischer, daß er ihn um seinen Esel, der Fischer den Müller, daß er ihn um seinen Kahn gebracht habe. Beide hätten offenbar Recht und beide ebensowohl Unrecht, meint Luther, und so liege die Sache bei den meisten Rechtshändeln; es gebe gar keine Mstitiam, sondern nur aLHuitatsm, und er fügt hinzu: summum Ms summa WM'la, summa moclieioa summa iuürmitas, se summus t-dsoloAus summus xec-calor. Auch die vierte Fakultät ließe sich leicht beifügen. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/296>, abgerufen am 27.12.2024.