Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.Volkstümliche und landschaftliche Erzählungen chon öfter haben wir darauf hingewiesen, wie fruchtbar an Zehn ganz kurze und im Ausdruck sehr kräftige Skizzen aus dem Bauern¬ Volkstümliche und landschaftliche Erzählungen chon öfter haben wir darauf hingewiesen, wie fruchtbar an Zehn ganz kurze und im Ausdruck sehr kräftige Skizzen aus dem Bauern¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225805"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341865_225585/figures/grenzboten_341865_225585_225805_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Volkstümliche und landschaftliche Erzählungen</head><lb/> <p xml:id="ID_530"> chon öfter haben wir darauf hingewiesen, wie fruchtbar an<lb/> Motiven für den dichtenden Erzähler das besondre Leben der<lb/> einzelnen deutschen Stämme und Gegenden ist. Der Leser achtet<lb/> mit Interesse auf die abweichenden Züge eines andern Landschafts¬<lb/> bildes und die Menschen, die sich darin bewegen, und ein be¬<lb/> stimmtes, wirkliches Stück Natur verlangt eine frische und kräftige Schilderung.<lb/> Das ist wohlthuend gegenüber dem konventionellen Gesellschaftsroman, der in<lb/> jede Stadt verlegt werden kann, ohne daß sich die darin auftretenden Menschen<lb/> wesentlich anders geberdeten: sie sind immer ziemlich gleich, der Schliff des<lb/> höhern Lebens hat die landschaftlichen Besonderheiten verwischt. Oder der<lb/> Erzähler, der nur auf diesem Boden beobachtet, hat nicht mehr die Fähigkeit,<lb/> Unterschiede wahrzunehmen. Es ist also wohlgethan, daß er sich dahin begiebt,<lb/> wo er seine Kraft auffrischen und seinen Blick stärken kann, unter die natür¬<lb/> lichen Menschen einfacherer Verhältnisse, in die freie Luft, aufs Land. Dieser<lb/> Zug nimmt in unsrer erzählenden Litteratur offenbar zu. Oft geht er gerades¬<lb/> wegs ins Derbe und hat seine Lust am Rohstoff: wir sehen es ja fast täglich,<lb/> worin sich die neueste Prosa und die neueste Malerei am liebsten finden und<lb/> am besten verstehen. Aber es ist nicht nötig, daß alles, was vom Erdboden<lb/> kommt, gleich wieder zu Schmutz wird; jeder findet ungefähr das, wonach er<lb/> sucht, und Liebhaber des Bodensatzes finden bekanntlich unter der Kulturober¬<lb/> fläche unsrer großen Städte so reichlich, was ihnen Freude macht, daß sie<lb/> darum nicht aufs Land zu gehen brauchen. Kurz, neben dem Unterschied des<lb/> Stoffgebiets besteht eine Verschiedenheit der Auffassung. Die Richtung des<lb/> Blicks, die Art der Beobachtung, die Form der Darstellung, also die Person<lb/> des Schriftstellers prägt den Stoff bald so, bald anders. Wir wollen das<lb/> an einigen neuen romanartigen Erzählungen von bestimmtem landschaftlichen<lb/> Charakter verfolgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_531" next="#ID_532"> Zehn ganz kurze und im Ausdruck sehr kräftige Skizzen aus dem Bauern¬<lb/> leben des westlichen Mitteldeutschlands von Wilhelm Schäfer haben den<lb/> Titel: Die zehn Gebote, Erzählungen des Kanzelfriedrich (Berlin, Schuster<lb/> und Loeffler). Das Verhältnis der Erzählungen, die einem Bauern in den<lb/> Mund gelegt werden, zu den zehn Geboten stellt sich so, daß der Pfarrer und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0219]
[Abbildung]
Volkstümliche und landschaftliche Erzählungen
chon öfter haben wir darauf hingewiesen, wie fruchtbar an
Motiven für den dichtenden Erzähler das besondre Leben der
einzelnen deutschen Stämme und Gegenden ist. Der Leser achtet
mit Interesse auf die abweichenden Züge eines andern Landschafts¬
bildes und die Menschen, die sich darin bewegen, und ein be¬
stimmtes, wirkliches Stück Natur verlangt eine frische und kräftige Schilderung.
Das ist wohlthuend gegenüber dem konventionellen Gesellschaftsroman, der in
jede Stadt verlegt werden kann, ohne daß sich die darin auftretenden Menschen
wesentlich anders geberdeten: sie sind immer ziemlich gleich, der Schliff des
höhern Lebens hat die landschaftlichen Besonderheiten verwischt. Oder der
Erzähler, der nur auf diesem Boden beobachtet, hat nicht mehr die Fähigkeit,
Unterschiede wahrzunehmen. Es ist also wohlgethan, daß er sich dahin begiebt,
wo er seine Kraft auffrischen und seinen Blick stärken kann, unter die natür¬
lichen Menschen einfacherer Verhältnisse, in die freie Luft, aufs Land. Dieser
Zug nimmt in unsrer erzählenden Litteratur offenbar zu. Oft geht er gerades¬
wegs ins Derbe und hat seine Lust am Rohstoff: wir sehen es ja fast täglich,
worin sich die neueste Prosa und die neueste Malerei am liebsten finden und
am besten verstehen. Aber es ist nicht nötig, daß alles, was vom Erdboden
kommt, gleich wieder zu Schmutz wird; jeder findet ungefähr das, wonach er
sucht, und Liebhaber des Bodensatzes finden bekanntlich unter der Kulturober¬
fläche unsrer großen Städte so reichlich, was ihnen Freude macht, daß sie
darum nicht aufs Land zu gehen brauchen. Kurz, neben dem Unterschied des
Stoffgebiets besteht eine Verschiedenheit der Auffassung. Die Richtung des
Blicks, die Art der Beobachtung, die Form der Darstellung, also die Person
des Schriftstellers prägt den Stoff bald so, bald anders. Wir wollen das
an einigen neuen romanartigen Erzählungen von bestimmtem landschaftlichen
Charakter verfolgen.
Zehn ganz kurze und im Ausdruck sehr kräftige Skizzen aus dem Bauern¬
leben des westlichen Mitteldeutschlands von Wilhelm Schäfer haben den
Titel: Die zehn Gebote, Erzählungen des Kanzelfriedrich (Berlin, Schuster
und Loeffler). Das Verhältnis der Erzählungen, die einem Bauern in den
Mund gelegt werden, zu den zehn Geboten stellt sich so, daß der Pfarrer und
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