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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr.

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Religionsunterricht

im Vergleich zu den guten Zeiten, wo sie zu wenig an die Zukunft dachten.
Aber das ist doch an sich noch kein Notstand, auch nicht für den Ritterguts¬
besitzer und den Edelmann. Gerade die hannoverschen Landwirte haben sich
in den Zeiten der hochgehenden Konjunktur nicht den Kopf verdrehen lassen.
Mögen sie sich auch in der Zeit des Niedergangs als die zähen, selbstbewußten,
pflichttreuen und arbeitsamen Sachsen beweisen. Sie werden an wahrer Vor¬
nehmheit nichts einbüßen, wenn sie sich ehrlich nach der Decke strecken.




Religionsunterricht*)

n Neisse, wo ich Mitte Oktober 1879 ankam, ward ich in eine
schöne große Kirche eingeführt. Das hatte man mir als einen
Vorzug meiner neuen Stellung gerühmt, mich aber freute es
ganz und gar nicht; konnte ich mir doch die Lage ausmalen,
ohne daß mir irgend ein Mensch ein Wort davon sagte. Die
hochgehenden Wogen des Kulturkampfes hatten die Altkatholiken bis in die
zweitgrößte Kirche des "schlesischen Roms" getragen, und jetzt, wo sich diese
Wogen verlaufen, die Honoratioren von der Verlornen, aus der Mode ge-
kommnen Sache zurückgezogen hatten, wo Diplomaten bei Bischöfen cmticham-
brirten, die Regierungs- und Landräte, die Bürgermeister und die Richter den
katholischen Klerus nicht mehr als eine vaterlandslose, hochverräterische Bande
verfolgten, sondern, wie 1848 und in der Konfliktszeit, als eine Stütze des
Staates umschmeichelten, jetzt saß das Häuflein Altkatholiken da als Gegen¬
stand des Hasses für die über zehntausend Seelen starke römisch-katholische
Gemeinde, die es jenen nicht verzeihen konnte, daß sie ihr das schöne Gottes¬
haus "geraubt" hätten. Als ein paar Jahre später die Altkatholiken aus der
Kreuzkirche auszogen und sich mit der ehemaligen evangelischen Garnisonkirche
begnügten, die der alte Fritz, geschmacklos und unschön, aber bombenfest, als
"Pfaffentrutz" mitten auf den Ring gesetzt hatte, da hatte der Konfessionshader
ein Ende, und in die Stadt kehrten Ruhe und Frieden ein. Mir war es
jedesmal peinlich, in der großen prunkvollen Kirche einem Häuflein predigen
zu müssen, das in einer geräumigen Kapelle Platz gehabt hätte. Da hielt
ich viel lieber in Gleiwitz Gottesdienst -- es geschah in jedem Monat
einmal --, wo die Altkatholiken ein kleines, armseliges Kirchlein vor der Stadt



Fortsetzung von "München und Konstanz" in Ur. 18, 20 und 22.
Religionsunterricht

im Vergleich zu den guten Zeiten, wo sie zu wenig an die Zukunft dachten.
Aber das ist doch an sich noch kein Notstand, auch nicht für den Ritterguts¬
besitzer und den Edelmann. Gerade die hannoverschen Landwirte haben sich
in den Zeiten der hochgehenden Konjunktur nicht den Kopf verdrehen lassen.
Mögen sie sich auch in der Zeit des Niedergangs als die zähen, selbstbewußten,
pflichttreuen und arbeitsamen Sachsen beweisen. Sie werden an wahrer Vor¬
nehmheit nichts einbüßen, wenn sie sich ehrlich nach der Decke strecken.




Religionsunterricht*)

n Neisse, wo ich Mitte Oktober 1879 ankam, ward ich in eine
schöne große Kirche eingeführt. Das hatte man mir als einen
Vorzug meiner neuen Stellung gerühmt, mich aber freute es
ganz und gar nicht; konnte ich mir doch die Lage ausmalen,
ohne daß mir irgend ein Mensch ein Wort davon sagte. Die
hochgehenden Wogen des Kulturkampfes hatten die Altkatholiken bis in die
zweitgrößte Kirche des „schlesischen Roms" getragen, und jetzt, wo sich diese
Wogen verlaufen, die Honoratioren von der Verlornen, aus der Mode ge-
kommnen Sache zurückgezogen hatten, wo Diplomaten bei Bischöfen cmticham-
brirten, die Regierungs- und Landräte, die Bürgermeister und die Richter den
katholischen Klerus nicht mehr als eine vaterlandslose, hochverräterische Bande
verfolgten, sondern, wie 1848 und in der Konfliktszeit, als eine Stütze des
Staates umschmeichelten, jetzt saß das Häuflein Altkatholiken da als Gegen¬
stand des Hasses für die über zehntausend Seelen starke römisch-katholische
Gemeinde, die es jenen nicht verzeihen konnte, daß sie ihr das schöne Gottes¬
haus „geraubt" hätten. Als ein paar Jahre später die Altkatholiken aus der
Kreuzkirche auszogen und sich mit der ehemaligen evangelischen Garnisonkirche
begnügten, die der alte Fritz, geschmacklos und unschön, aber bombenfest, als
„Pfaffentrutz" mitten auf den Ring gesetzt hatte, da hatte der Konfessionshader
ein Ende, und in die Stadt kehrten Ruhe und Frieden ein. Mir war es
jedesmal peinlich, in der großen prunkvollen Kirche einem Häuflein predigen
zu müssen, das in einer geräumigen Kapelle Platz gehabt hätte. Da hielt
ich viel lieber in Gleiwitz Gottesdienst — es geschah in jedem Monat
einmal —, wo die Altkatholiken ein kleines, armseliges Kirchlein vor der Stadt



Fortsetzung von „München und Konstanz" in Ur. 18, 20 und 22.
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[0158] Religionsunterricht im Vergleich zu den guten Zeiten, wo sie zu wenig an die Zukunft dachten. Aber das ist doch an sich noch kein Notstand, auch nicht für den Ritterguts¬ besitzer und den Edelmann. Gerade die hannoverschen Landwirte haben sich in den Zeiten der hochgehenden Konjunktur nicht den Kopf verdrehen lassen. Mögen sie sich auch in der Zeit des Niedergangs als die zähen, selbstbewußten, pflichttreuen und arbeitsamen Sachsen beweisen. Sie werden an wahrer Vor¬ nehmheit nichts einbüßen, wenn sie sich ehrlich nach der Decke strecken. Religionsunterricht*) n Neisse, wo ich Mitte Oktober 1879 ankam, ward ich in eine schöne große Kirche eingeführt. Das hatte man mir als einen Vorzug meiner neuen Stellung gerühmt, mich aber freute es ganz und gar nicht; konnte ich mir doch die Lage ausmalen, ohne daß mir irgend ein Mensch ein Wort davon sagte. Die hochgehenden Wogen des Kulturkampfes hatten die Altkatholiken bis in die zweitgrößte Kirche des „schlesischen Roms" getragen, und jetzt, wo sich diese Wogen verlaufen, die Honoratioren von der Verlornen, aus der Mode ge- kommnen Sache zurückgezogen hatten, wo Diplomaten bei Bischöfen cmticham- brirten, die Regierungs- und Landräte, die Bürgermeister und die Richter den katholischen Klerus nicht mehr als eine vaterlandslose, hochverräterische Bande verfolgten, sondern, wie 1848 und in der Konfliktszeit, als eine Stütze des Staates umschmeichelten, jetzt saß das Häuflein Altkatholiken da als Gegen¬ stand des Hasses für die über zehntausend Seelen starke römisch-katholische Gemeinde, die es jenen nicht verzeihen konnte, daß sie ihr das schöne Gottes¬ haus „geraubt" hätten. Als ein paar Jahre später die Altkatholiken aus der Kreuzkirche auszogen und sich mit der ehemaligen evangelischen Garnisonkirche begnügten, die der alte Fritz, geschmacklos und unschön, aber bombenfest, als „Pfaffentrutz" mitten auf den Ring gesetzt hatte, da hatte der Konfessionshader ein Ende, und in die Stadt kehrten Ruhe und Frieden ein. Mir war es jedesmal peinlich, in der großen prunkvollen Kirche einem Häuflein predigen zu müssen, das in einer geräumigen Kapelle Platz gehabt hätte. Da hielt ich viel lieber in Gleiwitz Gottesdienst — es geschah in jedem Monat einmal —, wo die Altkatholiken ein kleines, armseliges Kirchlein vor der Stadt Fortsetzung von „München und Konstanz" in Ur. 18, 20 und 22.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_225585/158>, abgerufen am 27.12.2024.