Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Memoiren von Paul Barras

UM sich vor seiner eignen Theorie zu retten, im Anschluß an Kant hinter den
"intelligibeln Charakter" geflüchtet. Was bedeutet aber der Begriff dieses
von den einen als Entdeckung einer rettenden That gefeierten, von den andern
als inhaltloses Wort angefeindeten intelligibeln Charakters?

(Schluß folgt)




Die Memoiren von Paul Barras
(Schluß)

ochse ergötzlich sind die Geschichten, die Barras aus den intimen
Gesellschaften bei sich über Bonaparte erzählt. Varras ist früher,
wie wir gesehen haben, mit dem kleinen General sehr vertraut
gewesen, und dieser muß sich ganz auf ihn verlassen haben. Er
hat mit ihm seine Heiratspläne besprochen, nach einigen mi߬
lungnen Unternehmungen (er muß eine sehr reiche Frau haben) unter Barras
Aufmunterung mit Josephine angefangen und sich unmittelbar vor seinem Abgange
zur italienischen Armee mit ihr verheiratet. Dies Verhältnis band ihn noch fester
an Barras; er ließ seine Gattin uuter dem Schutze des Gönners zurück. Aber
das hat leider einen weitern Hintergrund. Vonaparte war sür sie -- auch
nach der Hinrichtung des Generals Veauharnais -- der erste nicht. Sie
hatte ein Verhältnis mit Hoche, dann mit dessen Stallmeister und -- mit
Barras. Wir finden den Cynismus, mit dem dieser alles das erzählt, nicht
weniger entsetzlich als Duruy, aber wir haben darum keine Veranlassung, die
Dinge für rein erlogen zu halten, so wenig wie Jvsephinens Vorliebe für
Diamanten und ihre unersättliche Putz- und Verschwendungssucht erfunden sind.
Duruy wendet sich an das Gefühl seiner Leser und möchte die Romantik der
Josephinenlegende nicht zerstört wissen. Aber die Sitten des virsvtoirs sind
bekanntlich gewesen, was die leichtfertigen Moden nnr ausdrücken, und wer
die allgemeine Versumpfung, die uns aus den Barrcisschen Memoiren ent-
gegenweht, für eine Eigenschaft der Zeit hält, findet darin leicht den Platz für
Josephine oder Frau Tallien, so wie sie bei Vnrras erscheinen. Bei Josephine
hat man das vergessen, weil sich das Andenken an das Bild der ungerecht
Verstoßnen hielt. Mag auch Barras entstellen und übertreiben: ein unbefangner
Leser wird sich mit seiner Auffassung in diesem Punkte mehr nach ihm
richten als nach dem Herausgeber. Aber das sind nicht die Dinge, die wir
ergötzlich nannten. Bonaparte war gegen Barras in früherer Zeit von großer


Die Memoiren von Paul Barras

UM sich vor seiner eignen Theorie zu retten, im Anschluß an Kant hinter den
„intelligibeln Charakter" geflüchtet. Was bedeutet aber der Begriff dieses
von den einen als Entdeckung einer rettenden That gefeierten, von den andern
als inhaltloses Wort angefeindeten intelligibeln Charakters?

(Schluß folgt)




Die Memoiren von Paul Barras
(Schluß)

ochse ergötzlich sind die Geschichten, die Barras aus den intimen
Gesellschaften bei sich über Bonaparte erzählt. Varras ist früher,
wie wir gesehen haben, mit dem kleinen General sehr vertraut
gewesen, und dieser muß sich ganz auf ihn verlassen haben. Er
hat mit ihm seine Heiratspläne besprochen, nach einigen mi߬
lungnen Unternehmungen (er muß eine sehr reiche Frau haben) unter Barras
Aufmunterung mit Josephine angefangen und sich unmittelbar vor seinem Abgange
zur italienischen Armee mit ihr verheiratet. Dies Verhältnis band ihn noch fester
an Barras; er ließ seine Gattin uuter dem Schutze des Gönners zurück. Aber
das hat leider einen weitern Hintergrund. Vonaparte war sür sie — auch
nach der Hinrichtung des Generals Veauharnais — der erste nicht. Sie
hatte ein Verhältnis mit Hoche, dann mit dessen Stallmeister und — mit
Barras. Wir finden den Cynismus, mit dem dieser alles das erzählt, nicht
weniger entsetzlich als Duruy, aber wir haben darum keine Veranlassung, die
Dinge für rein erlogen zu halten, so wenig wie Jvsephinens Vorliebe für
Diamanten und ihre unersättliche Putz- und Verschwendungssucht erfunden sind.
Duruy wendet sich an das Gefühl seiner Leser und möchte die Romantik der
Josephinenlegende nicht zerstört wissen. Aber die Sitten des virsvtoirs sind
bekanntlich gewesen, was die leichtfertigen Moden nnr ausdrücken, und wer
die allgemeine Versumpfung, die uns aus den Barrcisschen Memoiren ent-
gegenweht, für eine Eigenschaft der Zeit hält, findet darin leicht den Platz für
Josephine oder Frau Tallien, so wie sie bei Vnrras erscheinen. Bei Josephine
hat man das vergessen, weil sich das Andenken an das Bild der ungerecht
Verstoßnen hielt. Mag auch Barras entstellen und übertreiben: ein unbefangner
Leser wird sich mit seiner Auffassung in diesem Punkte mehr nach ihm
richten als nach dem Herausgeber. Aber das sind nicht die Dinge, die wir
ergötzlich nannten. Bonaparte war gegen Barras in früherer Zeit von großer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0189" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/225117"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Memoiren von Paul Barras</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_608" prev="#ID_607"> UM sich vor seiner eignen Theorie zu retten, im Anschluß an Kant hinter den<lb/>
&#x201E;intelligibeln Charakter" geflüchtet. Was bedeutet aber der Begriff dieses<lb/>
von den einen als Entdeckung einer rettenden That gefeierten, von den andern<lb/>
als inhaltloses Wort angefeindeten intelligibeln Charakters?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_609"> (Schluß folgt)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Memoiren von Paul Barras<lb/>
(Schluß) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_610" next="#ID_611"> ochse ergötzlich sind die Geschichten, die Barras aus den intimen<lb/>
Gesellschaften bei sich über Bonaparte erzählt. Varras ist früher,<lb/>
wie wir gesehen haben, mit dem kleinen General sehr vertraut<lb/>
gewesen, und dieser muß sich ganz auf ihn verlassen haben. Er<lb/>
hat mit ihm seine Heiratspläne besprochen, nach einigen mi߬<lb/>
lungnen Unternehmungen (er muß eine sehr reiche Frau haben) unter Barras<lb/>
Aufmunterung mit Josephine angefangen und sich unmittelbar vor seinem Abgange<lb/>
zur italienischen Armee mit ihr verheiratet. Dies Verhältnis band ihn noch fester<lb/>
an Barras; er ließ seine Gattin uuter dem Schutze des Gönners zurück. Aber<lb/>
das hat leider einen weitern Hintergrund. Vonaparte war sür sie &#x2014; auch<lb/>
nach der Hinrichtung des Generals Veauharnais &#x2014; der erste nicht. Sie<lb/>
hatte ein Verhältnis mit Hoche, dann mit dessen Stallmeister und &#x2014; mit<lb/>
Barras. Wir finden den Cynismus, mit dem dieser alles das erzählt, nicht<lb/>
weniger entsetzlich als Duruy, aber wir haben darum keine Veranlassung, die<lb/>
Dinge für rein erlogen zu halten, so wenig wie Jvsephinens Vorliebe für<lb/>
Diamanten und ihre unersättliche Putz- und Verschwendungssucht erfunden sind.<lb/>
Duruy wendet sich an das Gefühl seiner Leser und möchte die Romantik der<lb/>
Josephinenlegende nicht zerstört wissen. Aber die Sitten des virsvtoirs sind<lb/>
bekanntlich gewesen, was die leichtfertigen Moden nnr ausdrücken, und wer<lb/>
die allgemeine Versumpfung, die uns aus den Barrcisschen Memoiren ent-<lb/>
gegenweht, für eine Eigenschaft der Zeit hält, findet darin leicht den Platz für<lb/>
Josephine oder Frau Tallien, so wie sie bei Vnrras erscheinen. Bei Josephine<lb/>
hat man das vergessen, weil sich das Andenken an das Bild der ungerecht<lb/>
Verstoßnen hielt. Mag auch Barras entstellen und übertreiben: ein unbefangner<lb/>
Leser wird sich mit seiner Auffassung in diesem Punkte mehr nach ihm<lb/>
richten als nach dem Herausgeber. Aber das sind nicht die Dinge, die wir<lb/>
ergötzlich nannten. Bonaparte war gegen Barras in früherer Zeit von großer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0189] Die Memoiren von Paul Barras UM sich vor seiner eignen Theorie zu retten, im Anschluß an Kant hinter den „intelligibeln Charakter" geflüchtet. Was bedeutet aber der Begriff dieses von den einen als Entdeckung einer rettenden That gefeierten, von den andern als inhaltloses Wort angefeindeten intelligibeln Charakters? (Schluß folgt) Die Memoiren von Paul Barras (Schluß) ochse ergötzlich sind die Geschichten, die Barras aus den intimen Gesellschaften bei sich über Bonaparte erzählt. Varras ist früher, wie wir gesehen haben, mit dem kleinen General sehr vertraut gewesen, und dieser muß sich ganz auf ihn verlassen haben. Er hat mit ihm seine Heiratspläne besprochen, nach einigen mi߬ lungnen Unternehmungen (er muß eine sehr reiche Frau haben) unter Barras Aufmunterung mit Josephine angefangen und sich unmittelbar vor seinem Abgange zur italienischen Armee mit ihr verheiratet. Dies Verhältnis band ihn noch fester an Barras; er ließ seine Gattin uuter dem Schutze des Gönners zurück. Aber das hat leider einen weitern Hintergrund. Vonaparte war sür sie — auch nach der Hinrichtung des Generals Veauharnais — der erste nicht. Sie hatte ein Verhältnis mit Hoche, dann mit dessen Stallmeister und — mit Barras. Wir finden den Cynismus, mit dem dieser alles das erzählt, nicht weniger entsetzlich als Duruy, aber wir haben darum keine Veranlassung, die Dinge für rein erlogen zu halten, so wenig wie Jvsephinens Vorliebe für Diamanten und ihre unersättliche Putz- und Verschwendungssucht erfunden sind. Duruy wendet sich an das Gefühl seiner Leser und möchte die Romantik der Josephinenlegende nicht zerstört wissen. Aber die Sitten des virsvtoirs sind bekanntlich gewesen, was die leichtfertigen Moden nnr ausdrücken, und wer die allgemeine Versumpfung, die uns aus den Barrcisschen Memoiren ent- gegenweht, für eine Eigenschaft der Zeit hält, findet darin leicht den Platz für Josephine oder Frau Tallien, so wie sie bei Vnrras erscheinen. Bei Josephine hat man das vergessen, weil sich das Andenken an das Bild der ungerecht Verstoßnen hielt. Mag auch Barras entstellen und übertreiben: ein unbefangner Leser wird sich mit seiner Auffassung in diesem Punkte mehr nach ihm richten als nach dem Herausgeber. Aber das sind nicht die Dinge, die wir ergötzlich nannten. Bonaparte war gegen Barras in früherer Zeit von großer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/189
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/189>, abgerufen am 23.07.2024.