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Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr.

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Agrarisches Zünftlertum

rofessor Brentano in München hat vor kurzem wieder ein Buch
veröffentlicht, dessen Erscheinen man mit aufrichtiger Freude be¬
grüßen kann. Es enthält den ersten Teil, die theoretische Ein¬
leitung, eines Lehrbuchs der Agrarpolitik. In diesem Buche ver¬
gleicht der Verfasser unter anderm sehr glücklich die Bestrebungen
des deutschen, namentlich des vstelbischen Agrarierrums, so weit sie in dem
Verlangen nach Erleichterung der Fideikommißbildung und nach dem Au-
erbenrecht einerseits, und nach der Festsetzung einer Verschuldungsgrenze sür
den landwirtschaftlichen Grundbesitz andrerseits zum Ausdruck kommen, mit
den zünftlerischen Ansprüchen, wie sie zur Zeit des verfallenden Handwerks
im achtzehnten Jahrhundert an der Tagesordnung waren. Auch damals seien
die Gewerbe, indem sie als Nealgcrechtigkeiten vererbt wurden, zu Fideikommissen
einer beschränkten Anzahl von Familien geworden. Wer eine solche Neal-
gerechtigkeit nicht ererbt habe, habe sie teuer kaufen müssen. Damals hätten
die Münchner Schneider verlangt, mau solle verbieten, daß sich Personen
um die Befugnis zum Betrieb des Gewerbes bewürben, die das Recht zum
Gewerbebetrieb nur mit Hilfe geborgten Geldes kaufen könnten, denn dadurch
werde der Preis dieses Rechts für die übrigen gesteigert. Wie diese Ma߬
nahmen des niedergehenden Zunftwesens zwar tüchtige Unbemittelte zu schädigen,
aber keinen untüchtigen Bemittelten zu retten vermocht hätten, so würde auch
die Steigerung des monopolistischen Charakters des Grund und Bodens durch
die "Inkorporation der Grundeigentümer in eine Zunft" zwar niemand zu
retten im stände sein, aber wie es die Art der Zünfte sei -- erst recht
keine Bürgschaft bieten, daß Grundeigentum und Erbrecht die Aufgabe, um
deretwillen sie anerkannt seien, im Dienste der Gesamtheit erfüllten.

Es ist jedenfalls von großem praktisch-politischen Interesse, die Wahr-


Grenzboten II 1897 15


Agrarisches Zünftlertum

rofessor Brentano in München hat vor kurzem wieder ein Buch
veröffentlicht, dessen Erscheinen man mit aufrichtiger Freude be¬
grüßen kann. Es enthält den ersten Teil, die theoretische Ein¬
leitung, eines Lehrbuchs der Agrarpolitik. In diesem Buche ver¬
gleicht der Verfasser unter anderm sehr glücklich die Bestrebungen
des deutschen, namentlich des vstelbischen Agrarierrums, so weit sie in dem
Verlangen nach Erleichterung der Fideikommißbildung und nach dem Au-
erbenrecht einerseits, und nach der Festsetzung einer Verschuldungsgrenze sür
den landwirtschaftlichen Grundbesitz andrerseits zum Ausdruck kommen, mit
den zünftlerischen Ansprüchen, wie sie zur Zeit des verfallenden Handwerks
im achtzehnten Jahrhundert an der Tagesordnung waren. Auch damals seien
die Gewerbe, indem sie als Nealgcrechtigkeiten vererbt wurden, zu Fideikommissen
einer beschränkten Anzahl von Familien geworden. Wer eine solche Neal-
gerechtigkeit nicht ererbt habe, habe sie teuer kaufen müssen. Damals hätten
die Münchner Schneider verlangt, mau solle verbieten, daß sich Personen
um die Befugnis zum Betrieb des Gewerbes bewürben, die das Recht zum
Gewerbebetrieb nur mit Hilfe geborgten Geldes kaufen könnten, denn dadurch
werde der Preis dieses Rechts für die übrigen gesteigert. Wie diese Ma߬
nahmen des niedergehenden Zunftwesens zwar tüchtige Unbemittelte zu schädigen,
aber keinen untüchtigen Bemittelten zu retten vermocht hätten, so würde auch
die Steigerung des monopolistischen Charakters des Grund und Bodens durch
die „Inkorporation der Grundeigentümer in eine Zunft" zwar niemand zu
retten im stände sein, aber wie es die Art der Zünfte sei — erst recht
keine Bürgschaft bieten, daß Grundeigentum und Erbrecht die Aufgabe, um
deretwillen sie anerkannt seien, im Dienste der Gesamtheit erfüllten.

Es ist jedenfalls von großem praktisch-politischen Interesse, die Wahr-


Grenzboten II 1897 15
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[0121] [Abbildung] Agrarisches Zünftlertum rofessor Brentano in München hat vor kurzem wieder ein Buch veröffentlicht, dessen Erscheinen man mit aufrichtiger Freude be¬ grüßen kann. Es enthält den ersten Teil, die theoretische Ein¬ leitung, eines Lehrbuchs der Agrarpolitik. In diesem Buche ver¬ gleicht der Verfasser unter anderm sehr glücklich die Bestrebungen des deutschen, namentlich des vstelbischen Agrarierrums, so weit sie in dem Verlangen nach Erleichterung der Fideikommißbildung und nach dem Au- erbenrecht einerseits, und nach der Festsetzung einer Verschuldungsgrenze sür den landwirtschaftlichen Grundbesitz andrerseits zum Ausdruck kommen, mit den zünftlerischen Ansprüchen, wie sie zur Zeit des verfallenden Handwerks im achtzehnten Jahrhundert an der Tagesordnung waren. Auch damals seien die Gewerbe, indem sie als Nealgcrechtigkeiten vererbt wurden, zu Fideikommissen einer beschränkten Anzahl von Familien geworden. Wer eine solche Neal- gerechtigkeit nicht ererbt habe, habe sie teuer kaufen müssen. Damals hätten die Münchner Schneider verlangt, mau solle verbieten, daß sich Personen um die Befugnis zum Betrieb des Gewerbes bewürben, die das Recht zum Gewerbebetrieb nur mit Hilfe geborgten Geldes kaufen könnten, denn dadurch werde der Preis dieses Rechts für die übrigen gesteigert. Wie diese Ma߬ nahmen des niedergehenden Zunftwesens zwar tüchtige Unbemittelte zu schädigen, aber keinen untüchtigen Bemittelten zu retten vermocht hätten, so würde auch die Steigerung des monopolistischen Charakters des Grund und Bodens durch die „Inkorporation der Grundeigentümer in eine Zunft" zwar niemand zu retten im stände sein, aber wie es die Art der Zünfte sei — erst recht keine Bürgschaft bieten, daß Grundeigentum und Erbrecht die Aufgabe, um deretwillen sie anerkannt seien, im Dienste der Gesamtheit erfüllten. Es ist jedenfalls von großem praktisch-politischen Interesse, die Wahr- Grenzboten II 1897 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 56, 1897, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341865_224927/121>, abgerufen am 23.07.2024.