Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Litteratur Stoffes, die meisterhafte Heraushebung des Wichtigen, die glückliche Behandlung Der Preis des Springerschen Buches ist so niedrig gestellt, wie wir es in Die deutschen Meere und ihre Bewohner von Dr. xinl. William Marshall, n. o, Pro¬ fessor für Zoologie an der Universität Leipzig. Leipzig, A. Tnnetmeyer In einer Zeit, wo sich überall in Deutschland der Horizont nach dem Meere Litteratur Stoffes, die meisterhafte Heraushebung des Wichtigen, die glückliche Behandlung Der Preis des Springerschen Buches ist so niedrig gestellt, wie wir es in Die deutschen Meere und ihre Bewohner von Dr. xinl. William Marshall, n. o, Pro¬ fessor für Zoologie an der Universität Leipzig. Leipzig, A. Tnnetmeyer In einer Zeit, wo sich überall in Deutschland der Horizont nach dem Meere <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0598" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/224182"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_1773" prev="#ID_1772"> Stoffes, die meisterhafte Heraushebung des Wichtigen, die glückliche Behandlung<lb/> minder bedeutender Einzelheiten — das alles sind Eigenschaften, wie sie in solcher<lb/> Bereinigung nur wenig Bücher zeigen. In Springers Handbuch zu lesen ist immer<lb/> wieder aufs neue ein hoher Genuß, und wir können nur wünschen, daß sich recht<lb/> viele diesen Genuß verschaffen mögen. Die Kunst ist während der letzten Jahre<lb/> so sehr in den Vordergrund des Interesses gerückt, daß eine Schulung des Kunst¬<lb/> verständnisses durch das Studium älterer Kunstschöpfungen für jeden Gebildeten zu<lb/> einer Pflicht, zu einem Bedürfnis geworden ist. Keine der neuerdings in größerer<lb/> Zahl erschienenen zusammenfassenden Darstellungen aber kommt diesem Bedürfnis<lb/> so entgegen, wie Springers Handbuch. Wem es freilich nicht auf den geistigen<lb/> Zusammenhang der Dinge ankommt, wer eine möglichst große Menge von Zahlen,<lb/> Personen- und Ortsnamen vor sich zu sehen wünscht, wird sich ein andres Werk<lb/> aussuchen müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1774"> Der Preis des Springerschen Buches ist so niedrig gestellt, wie wir es in<lb/> Deutschland nicht gewöhnt sind. Für 24 Mark erhält man in vier gebundnen<lb/> Bänden 160 Bogen mit 14S0 Textabbildungen und acht Farbentafeln!</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Die deutschen Meere und ihre Bewohner von Dr. xinl. William Marshall, n. o, Pro¬<lb/> fessor für Zoologie an der Universität Leipzig. Leipzig, A. Tnnetmeyer</head><lb/> <p xml:id="ID_1775" next="#ID_1776"> In einer Zeit, wo sich überall in Deutschland der Horizont nach dem Meere<lb/> zu erweitern will, ist dieses schone Buch doppelt willkommen zu heißen. Es wird<lb/> nicht bloß von den Besuchern der Nordsee- und Ostseeküste mit Teilnahme gelesen<lb/> werden, sondern von allen, die wissen »vollen, wie es in den Weiten und Tiefen<lb/> des Meeres aussieht. In zwei starken Bänden bringt es die Schilderung der<lb/> Küsten und ihrer Pflanzen, der Watten und Dünen, dann die Hauptgruppen der<lb/> Tiere — auf 234 Seiten allein die Fische — und zum Schluß eine kleine Mono¬<lb/> graphie des Bernsteins. Marshall ist in erster Linie Zoolog, aber er ist über¬<lb/> haupt Kenner des Meeres und der Küste. Das zeigt schon seine tief empfnndne<lb/> Schilderung der Dünen, die den Phrasen von unabsehbar, form- und gestaltlos,<lb/> in ewig gleichen Linien Hinzichenden Dünenketten, die sich in der Verneinung ge¬<lb/> fallen — selbst Paffarge bedient sich solcher Wendungen —, die Freude an allen<lb/> Werken Gottes entgegensetzt. Unser ganzes Herz gewinnt ein Satz wie dieser:<lb/> „Ich bin um Sommermorgen durch Felder gewandert, mit nichts bewachsen, soweit<lb/> das Auge reichte, als mit dem üppigen, taufrischen Grün der Runkelrübenblätter,<lb/> darüber spannte sich der blane Himmel, weiße Wölkchen zogen langsam dahin, und<lb/> hoch, hoch oben, dem Blick unerreichbar, sang die Lerche ihr entzückendes Morgen¬<lb/> lied. Auch das werde ich niemals vergessen." Für ein so naturfrendiges Gemüt<lb/> sind Dünen und Watten schon eine reiche Welt. Und das Meer erst muß ihm<lb/> unerschöpflich sein. Aber die Betrachtung all dieser Schätze lost sich doch nicht in<lb/> eitel Bewunderung auf. Marshalls Freude an den Dingen ist derb-gesund. Sie<lb/> hindert ihn nicht, in zahlreichen, oft sehr witzigen Abschweifungen das Leben der<lb/> Menschen mit dem der Tiere zu vergleichen und besonders die Thorheiten derer<lb/> zu geißeln, die alles in der Welt erklären müssen, also auch das letzte Infusorium.<lb/> Die Hauptsache bleibt freilich immer seine ausgebreitete Kenntnis der Meerestiere<lb/> in der Natur sowohl als in der Litteratur. Mit allen diesen Gaben zusammen<lb/> ist Marshall der originellste, tiefste und zugleich unterhaltendste der populär-natur-<lb/> wissenschaftlichen Darsteller der Gegenwart. Er überragt nicht bloß die Deutschen,<lb/> wie Keller, Zacharias und Genossen, die doch nie die gelehrte Perücke abzulegen<lb/> imstande sind, sondern auch die eine Zeit lang mit Vorliebe übersetzten englischen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0598]
Litteratur
Stoffes, die meisterhafte Heraushebung des Wichtigen, die glückliche Behandlung
minder bedeutender Einzelheiten — das alles sind Eigenschaften, wie sie in solcher
Bereinigung nur wenig Bücher zeigen. In Springers Handbuch zu lesen ist immer
wieder aufs neue ein hoher Genuß, und wir können nur wünschen, daß sich recht
viele diesen Genuß verschaffen mögen. Die Kunst ist während der letzten Jahre
so sehr in den Vordergrund des Interesses gerückt, daß eine Schulung des Kunst¬
verständnisses durch das Studium älterer Kunstschöpfungen für jeden Gebildeten zu
einer Pflicht, zu einem Bedürfnis geworden ist. Keine der neuerdings in größerer
Zahl erschienenen zusammenfassenden Darstellungen aber kommt diesem Bedürfnis
so entgegen, wie Springers Handbuch. Wem es freilich nicht auf den geistigen
Zusammenhang der Dinge ankommt, wer eine möglichst große Menge von Zahlen,
Personen- und Ortsnamen vor sich zu sehen wünscht, wird sich ein andres Werk
aussuchen müssen.
Der Preis des Springerschen Buches ist so niedrig gestellt, wie wir es in
Deutschland nicht gewöhnt sind. Für 24 Mark erhält man in vier gebundnen
Bänden 160 Bogen mit 14S0 Textabbildungen und acht Farbentafeln!
Die deutschen Meere und ihre Bewohner von Dr. xinl. William Marshall, n. o, Pro¬
fessor für Zoologie an der Universität Leipzig. Leipzig, A. Tnnetmeyer
In einer Zeit, wo sich überall in Deutschland der Horizont nach dem Meere
zu erweitern will, ist dieses schone Buch doppelt willkommen zu heißen. Es wird
nicht bloß von den Besuchern der Nordsee- und Ostseeküste mit Teilnahme gelesen
werden, sondern von allen, die wissen »vollen, wie es in den Weiten und Tiefen
des Meeres aussieht. In zwei starken Bänden bringt es die Schilderung der
Küsten und ihrer Pflanzen, der Watten und Dünen, dann die Hauptgruppen der
Tiere — auf 234 Seiten allein die Fische — und zum Schluß eine kleine Mono¬
graphie des Bernsteins. Marshall ist in erster Linie Zoolog, aber er ist über¬
haupt Kenner des Meeres und der Küste. Das zeigt schon seine tief empfnndne
Schilderung der Dünen, die den Phrasen von unabsehbar, form- und gestaltlos,
in ewig gleichen Linien Hinzichenden Dünenketten, die sich in der Verneinung ge¬
fallen — selbst Paffarge bedient sich solcher Wendungen —, die Freude an allen
Werken Gottes entgegensetzt. Unser ganzes Herz gewinnt ein Satz wie dieser:
„Ich bin um Sommermorgen durch Felder gewandert, mit nichts bewachsen, soweit
das Auge reichte, als mit dem üppigen, taufrischen Grün der Runkelrübenblätter,
darüber spannte sich der blane Himmel, weiße Wölkchen zogen langsam dahin, und
hoch, hoch oben, dem Blick unerreichbar, sang die Lerche ihr entzückendes Morgen¬
lied. Auch das werde ich niemals vergessen." Für ein so naturfrendiges Gemüt
sind Dünen und Watten schon eine reiche Welt. Und das Meer erst muß ihm
unerschöpflich sein. Aber die Betrachtung all dieser Schätze lost sich doch nicht in
eitel Bewunderung auf. Marshalls Freude an den Dingen ist derb-gesund. Sie
hindert ihn nicht, in zahlreichen, oft sehr witzigen Abschweifungen das Leben der
Menschen mit dem der Tiere zu vergleichen und besonders die Thorheiten derer
zu geißeln, die alles in der Welt erklären müssen, also auch das letzte Infusorium.
Die Hauptsache bleibt freilich immer seine ausgebreitete Kenntnis der Meerestiere
in der Natur sowohl als in der Litteratur. Mit allen diesen Gaben zusammen
ist Marshall der originellste, tiefste und zugleich unterhaltendste der populär-natur-
wissenschaftlichen Darsteller der Gegenwart. Er überragt nicht bloß die Deutschen,
wie Keller, Zacharias und Genossen, die doch nie die gelehrte Perücke abzulegen
imstande sind, sondern auch die eine Zeit lang mit Vorliebe übersetzten englischen
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