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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Zur Uoilvertirungsfrage

immer wieder zum Flickwerk zwingt. Und die Herren von den Berufsgenossen¬
schaften wissen diese Rücksichtnahme vollständig zu schätzen. Sie wollen die Herren
bleiben in ihrem besondern Hause, mag dadurch der Zweck, den Kaiser Wilhelm I.
mit der deutschen Sozialversicherung erstrebt hat, noch so sehr darunter leiden.
Und das ist doch in der That schlechte Wirtschaft.




Zur Konvertirungsfrage

n den Tageszeitungen wird die Frage der Konvertirung der
deutschen Reichs- und Staatsanleihen jetzt wieder lebhast be¬
sprochen. Die hämische Bemerkung, mit der seiner Zeit die
Vossische Zeitung bei Gelegenheit des Antrags der Wirtschaft¬
lichen Vereinigung des Reichstags die Begründung des Antrag¬
stellers begleitet hat, daß nämlich der Zinsfuß für Hypotheken dem der Staats¬
papiere folgen und so dem Grundbesitz eine große Erleichterung seiner Lasten
zu teil werden würde, erscheint auch vom Standpunkte dieses Blattes aus
vollkommen unberechtigt und muß auch von dem gebrandmarkt werden, der
die agitatorische Art, mit der der Bund der Landwirte seine Ziele verfolgt,
ernstlich bekämpft. Gerade in der Frage der Konvertirung kann sich der
eifrigste Anhänger manchesterlicher Anschauungen mit dem Agrarier zusammen¬
finden; oder soll das sreie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte nur dann nicht
unbeeinflußt bleiben, wenn es zu Gunsten des Grundbesitzes wirkt?

Gleichviel, ob man vom liberalen Standpunkte aus die Aufgaben des
Staats möglichst eng faßt und ihm neben dem Schutze nach außen nur die
Sicherung freier Bahn für die wirtschaftliche Thätigkeit der Bürger als Auf¬
gabe zuweist und ihm nur dort die Berechtigung zu wirklichem Eingreifen
in die Freiheit des einzelnen zugesteht und von ihm fordert, wo es das höhere
Interesse der Allgemeinheit verlangt, oder wo anzunehmen ist, daß die Mehr¬
heit der Bevölkerung das eigne Interesse verkennt -- es sei nur an den Schul¬
zwang, den Impfzwang, die Sonntagsruhe, an die Beschränkungen der Frauen-
und Kinderarbeit, an die Ungiltigkeit gewisser Vertrüge, an das Verbot der
Spielbanken und ähnliches erinnert--, oder ob man die Aufgabe des Staats
weiter faßt und geradezu die Fürsorge für die wirtschaftlich Schwachen von
ihm fordert: von beiden Standpunkten aus ist jedes künstliche Hochhalten
des Zinsfußes, ja die öffentlichen Anleihen überhaupt als dauernde Ein-


Zur Uoilvertirungsfrage

immer wieder zum Flickwerk zwingt. Und die Herren von den Berufsgenossen¬
schaften wissen diese Rücksichtnahme vollständig zu schätzen. Sie wollen die Herren
bleiben in ihrem besondern Hause, mag dadurch der Zweck, den Kaiser Wilhelm I.
mit der deutschen Sozialversicherung erstrebt hat, noch so sehr darunter leiden.
Und das ist doch in der That schlechte Wirtschaft.




Zur Konvertirungsfrage

n den Tageszeitungen wird die Frage der Konvertirung der
deutschen Reichs- und Staatsanleihen jetzt wieder lebhast be¬
sprochen. Die hämische Bemerkung, mit der seiner Zeit die
Vossische Zeitung bei Gelegenheit des Antrags der Wirtschaft¬
lichen Vereinigung des Reichstags die Begründung des Antrag¬
stellers begleitet hat, daß nämlich der Zinsfuß für Hypotheken dem der Staats¬
papiere folgen und so dem Grundbesitz eine große Erleichterung seiner Lasten
zu teil werden würde, erscheint auch vom Standpunkte dieses Blattes aus
vollkommen unberechtigt und muß auch von dem gebrandmarkt werden, der
die agitatorische Art, mit der der Bund der Landwirte seine Ziele verfolgt,
ernstlich bekämpft. Gerade in der Frage der Konvertirung kann sich der
eifrigste Anhänger manchesterlicher Anschauungen mit dem Agrarier zusammen¬
finden; oder soll das sreie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte nur dann nicht
unbeeinflußt bleiben, wenn es zu Gunsten des Grundbesitzes wirkt?

Gleichviel, ob man vom liberalen Standpunkte aus die Aufgaben des
Staats möglichst eng faßt und ihm neben dem Schutze nach außen nur die
Sicherung freier Bahn für die wirtschaftliche Thätigkeit der Bürger als Auf¬
gabe zuweist und ihm nur dort die Berechtigung zu wirklichem Eingreifen
in die Freiheit des einzelnen zugesteht und von ihm fordert, wo es das höhere
Interesse der Allgemeinheit verlangt, oder wo anzunehmen ist, daß die Mehr¬
heit der Bevölkerung das eigne Interesse verkennt — es sei nur an den Schul¬
zwang, den Impfzwang, die Sonntagsruhe, an die Beschränkungen der Frauen-
und Kinderarbeit, an die Ungiltigkeit gewisser Vertrüge, an das Verbot der
Spielbanken und ähnliches erinnert—, oder ob man die Aufgabe des Staats
weiter faßt und geradezu die Fürsorge für die wirtschaftlich Schwachen von
ihm fordert: von beiden Standpunkten aus ist jedes künstliche Hochhalten
des Zinsfußes, ja die öffentlichen Anleihen überhaupt als dauernde Ein-


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[0258] Zur Uoilvertirungsfrage immer wieder zum Flickwerk zwingt. Und die Herren von den Berufsgenossen¬ schaften wissen diese Rücksichtnahme vollständig zu schätzen. Sie wollen die Herren bleiben in ihrem besondern Hause, mag dadurch der Zweck, den Kaiser Wilhelm I. mit der deutschen Sozialversicherung erstrebt hat, noch so sehr darunter leiden. Und das ist doch in der That schlechte Wirtschaft. Zur Konvertirungsfrage n den Tageszeitungen wird die Frage der Konvertirung der deutschen Reichs- und Staatsanleihen jetzt wieder lebhast be¬ sprochen. Die hämische Bemerkung, mit der seiner Zeit die Vossische Zeitung bei Gelegenheit des Antrags der Wirtschaft¬ lichen Vereinigung des Reichstags die Begründung des Antrag¬ stellers begleitet hat, daß nämlich der Zinsfuß für Hypotheken dem der Staats¬ papiere folgen und so dem Grundbesitz eine große Erleichterung seiner Lasten zu teil werden würde, erscheint auch vom Standpunkte dieses Blattes aus vollkommen unberechtigt und muß auch von dem gebrandmarkt werden, der die agitatorische Art, mit der der Bund der Landwirte seine Ziele verfolgt, ernstlich bekämpft. Gerade in der Frage der Konvertirung kann sich der eifrigste Anhänger manchesterlicher Anschauungen mit dem Agrarier zusammen¬ finden; oder soll das sreie Spiel der wirtschaftlichen Kräfte nur dann nicht unbeeinflußt bleiben, wenn es zu Gunsten des Grundbesitzes wirkt? Gleichviel, ob man vom liberalen Standpunkte aus die Aufgaben des Staats möglichst eng faßt und ihm neben dem Schutze nach außen nur die Sicherung freier Bahn für die wirtschaftliche Thätigkeit der Bürger als Auf¬ gabe zuweist und ihm nur dort die Berechtigung zu wirklichem Eingreifen in die Freiheit des einzelnen zugesteht und von ihm fordert, wo es das höhere Interesse der Allgemeinheit verlangt, oder wo anzunehmen ist, daß die Mehr¬ heit der Bevölkerung das eigne Interesse verkennt — es sei nur an den Schul¬ zwang, den Impfzwang, die Sonntagsruhe, an die Beschränkungen der Frauen- und Kinderarbeit, an die Ungiltigkeit gewisser Vertrüge, an das Verbot der Spielbanken und ähnliches erinnert—, oder ob man die Aufgabe des Staats weiter faßt und geradezu die Fürsorge für die wirtschaftlich Schwachen von ihm fordert: von beiden Standpunkten aus ist jedes künstliche Hochhalten des Zinsfußes, ja die öffentlichen Anleihen überhaupt als dauernde Ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/258>, abgerufen am 01.09.2024.