Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Reformators erläutert der Verfasser sie selbst folgendermaßen: "Mit dem Druck Das Urteil über dieses neue Satzverfahren überlassen wir unsern Lesern, Blühender Unsinn. Hätte dieser Ausdruck nicht längst in unsrer Sprache Gleich zum Eingange heißt es: "Aus den innersten Fibern des geheimnis¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches Reformators erläutert der Verfasser sie selbst folgendermaßen: „Mit dem Druck Das Urteil über dieses neue Satzverfahren überlassen wir unsern Lesern, Blühender Unsinn. Hätte dieser Ausdruck nicht längst in unsrer Sprache Gleich zum Eingange heißt es: „Aus den innersten Fibern des geheimnis¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0342" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222646"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1000" prev="#ID_999"> Reformators erläutert der Verfasser sie selbst folgendermaßen: „Mit dem Druck<lb/> dieses Buches wird zum erstenmal in Deutschland der Versuch zur Einführung<lb/> eiuer Neuerung gemacht, welche Benj. R. Tucker, der Herausgeber des individua¬<lb/> listisch-anarchistischen Organs »Liberty« in Newyork, vor einiger Zeit gefunden<lb/> shats, seitdem für sein Blatt verwendet und selbst folgendermaßen beschreibt: Die<lb/> von Liberty adoptirte typographische Reform besteht in der Abschaffung des unter<lb/> den Buchdruckern als »Ausschließen« bekannten Verfahrens. Unter diesem neuen<lb/> System braucht der Setzer, wenn er an das Ende einer Zeile kommt und findet,<lb/> daß kein Raum mehr für ein weiteres Wort oder eine Silbe vorhanden ist, die<lb/> Zeile nicht, wie seither, durch Erweiterung des Zwischenraums zwischen den ein¬<lb/> zelnen Wörtern auszusperren, sondern er füllt den fehlenden Raum einfach mit<lb/> kleinen Metallstücken, Quadraten genannt, aus, ohne den ursprünglichen Ausschluß<lb/> zu verändern. Als Folge hiervon zeigt der Lesestoff an der rechten Seite nicht<lb/> einen so geraden Rand, wie an der linken Seite. Ästhetisch ist das neue Ver¬<lb/> fahren ein Fortschritts!), denn alle Ungleichheit in dem Raum zwischen den Wör¬<lb/> tern irgend einer Zeile oder zweier unter einander stehender Zeilen wird beseitigt.<lb/> Dadurch, daß der Abstand zwischen den Wörtern in allen Teilen des Satzes un¬<lb/> verändert gleichmäßig bleibt, bietet dieser für das Auge einen gefälligen Eindruck<lb/> und erleichtert die Arbeit des Lesens.<!) Ökonomisch ist die neue Methode vor¬<lb/> teilhaft, da sie bedeutend billiger ist, indem nahezu 30 Prozent an den Satz¬<lb/> kosten gespart werden, und da sie die Arbeit des Setzens vereinfacht und es un¬<lb/> gelernten Arbeitern ermöglicht, die Stelle von gelernten Arbeitern einzunehmen.<lb/> Das neue Verfahren ist ebenso wohl anwendbar sür Buch- wie für Zeituugs-<lb/> druck, und es bedarf keines Kapitals zu seiner Adoptirung."</p><lb/> <p xml:id="ID_1001"> Das Urteil über dieses neue Satzverfahren überlassen wir unsern Lesern,<lb/> denen wir hier gleich ein Beispiel dieses „ästhetischen Fortschritts" vor Augen<lb/> geführt haben. Wir fürchten aber, daß ihnen diese Reform zunächst recht —<lb/> „schottisch" vorkommen wird.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Blühender Unsinn.</head> <p xml:id="ID_1002"> Hätte dieser Ausdruck nicht längst in unsrer Sprache<lb/> Bürgerrecht, so müßte er für einen Aufsatz „Die Akropolis im Frühling" er¬<lb/> funden werden, dem wir kürzlich in einer Wiener Tageszeitung zu begegnen das<lb/> Glück hatten. Der Verfasser mit dem griechisch klingenden Namen Christomanos<lb/> überschüttet seine Leser mit einer solchen Fülle von Schwulst, daß selbst die be¬<lb/> liebtesten Feuilletonisten der „verbreiterten" Zeitungen Deutschlands kaum in der<lb/> Lage sein dürsten, es ihm gleichzuthun. Es fällt uns schwer, einzelne Stellen<lb/> herauszuheben, denn alle Sätze sind gleich erhaben. Weil wir aber durch Wieder¬<lb/> gabe des Kunstwerks in ganzer Länge und Breite uns den Vorwurf widerrecht¬<lb/> lichen Nachdrucks zuziehen könnten, begnügen wir uns, unsre Leser durch einige<lb/> Brillanten zu ergötzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1003" next="#ID_1004"> Gleich zum Eingange heißt es: „Aus den innersten Fibern des geheimnis¬<lb/> vollen Mntterwesens beginnt es sich zu regen, zu erbeben, heraufznschwellcn, jenes<lb/> Unsagbare, jene selige Ekstase, jener dionysische Rausch, der die griechische Natur<lb/> wie in einen mänadischer Schrei der Wonne ausbrechen läßt." Dann folgt ein<lb/> Stück bombastischer Flora, z. B.: „Mimosenbäume, deren gelbe Knopfblüten die<lb/> ganze süße Müdigkeit des Orients aushauchen; sie erinnern an Chypre, um<lb/> Sandels in blauen Boudoirs, an metallisch schimmernde Haarwellen, die über seidne<lb/> Kissen fließen, in der Dämmerung, hinter den Gittern der Harems." Die Athener<lb/> leben aber nicht ausschließlich von Veilchenduft, magischen Tönen und Lichtern und<lb/> „dithyrambischen Delirium purpurner Freude, wenn die Jnseln in violetter Seligkeit</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0342]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reformators erläutert der Verfasser sie selbst folgendermaßen: „Mit dem Druck
dieses Buches wird zum erstenmal in Deutschland der Versuch zur Einführung
eiuer Neuerung gemacht, welche Benj. R. Tucker, der Herausgeber des individua¬
listisch-anarchistischen Organs »Liberty« in Newyork, vor einiger Zeit gefunden
shats, seitdem für sein Blatt verwendet und selbst folgendermaßen beschreibt: Die
von Liberty adoptirte typographische Reform besteht in der Abschaffung des unter
den Buchdruckern als »Ausschließen« bekannten Verfahrens. Unter diesem neuen
System braucht der Setzer, wenn er an das Ende einer Zeile kommt und findet,
daß kein Raum mehr für ein weiteres Wort oder eine Silbe vorhanden ist, die
Zeile nicht, wie seither, durch Erweiterung des Zwischenraums zwischen den ein¬
zelnen Wörtern auszusperren, sondern er füllt den fehlenden Raum einfach mit
kleinen Metallstücken, Quadraten genannt, aus, ohne den ursprünglichen Ausschluß
zu verändern. Als Folge hiervon zeigt der Lesestoff an der rechten Seite nicht
einen so geraden Rand, wie an der linken Seite. Ästhetisch ist das neue Ver¬
fahren ein Fortschritts!), denn alle Ungleichheit in dem Raum zwischen den Wör¬
tern irgend einer Zeile oder zweier unter einander stehender Zeilen wird beseitigt.
Dadurch, daß der Abstand zwischen den Wörtern in allen Teilen des Satzes un¬
verändert gleichmäßig bleibt, bietet dieser für das Auge einen gefälligen Eindruck
und erleichtert die Arbeit des Lesens.<!) Ökonomisch ist die neue Methode vor¬
teilhaft, da sie bedeutend billiger ist, indem nahezu 30 Prozent an den Satz¬
kosten gespart werden, und da sie die Arbeit des Setzens vereinfacht und es un¬
gelernten Arbeitern ermöglicht, die Stelle von gelernten Arbeitern einzunehmen.
Das neue Verfahren ist ebenso wohl anwendbar sür Buch- wie für Zeituugs-
druck, und es bedarf keines Kapitals zu seiner Adoptirung."
Das Urteil über dieses neue Satzverfahren überlassen wir unsern Lesern,
denen wir hier gleich ein Beispiel dieses „ästhetischen Fortschritts" vor Augen
geführt haben. Wir fürchten aber, daß ihnen diese Reform zunächst recht —
„schottisch" vorkommen wird.
Blühender Unsinn. Hätte dieser Ausdruck nicht längst in unsrer Sprache
Bürgerrecht, so müßte er für einen Aufsatz „Die Akropolis im Frühling" er¬
funden werden, dem wir kürzlich in einer Wiener Tageszeitung zu begegnen das
Glück hatten. Der Verfasser mit dem griechisch klingenden Namen Christomanos
überschüttet seine Leser mit einer solchen Fülle von Schwulst, daß selbst die be¬
liebtesten Feuilletonisten der „verbreiterten" Zeitungen Deutschlands kaum in der
Lage sein dürsten, es ihm gleichzuthun. Es fällt uns schwer, einzelne Stellen
herauszuheben, denn alle Sätze sind gleich erhaben. Weil wir aber durch Wieder¬
gabe des Kunstwerks in ganzer Länge und Breite uns den Vorwurf widerrecht¬
lichen Nachdrucks zuziehen könnten, begnügen wir uns, unsre Leser durch einige
Brillanten zu ergötzen.
Gleich zum Eingange heißt es: „Aus den innersten Fibern des geheimnis¬
vollen Mntterwesens beginnt es sich zu regen, zu erbeben, heraufznschwellcn, jenes
Unsagbare, jene selige Ekstase, jener dionysische Rausch, der die griechische Natur
wie in einen mänadischer Schrei der Wonne ausbrechen läßt." Dann folgt ein
Stück bombastischer Flora, z. B.: „Mimosenbäume, deren gelbe Knopfblüten die
ganze süße Müdigkeit des Orients aushauchen; sie erinnern an Chypre, um
Sandels in blauen Boudoirs, an metallisch schimmernde Haarwellen, die über seidne
Kissen fließen, in der Dämmerung, hinter den Gittern der Harems." Die Athener
leben aber nicht ausschließlich von Veilchenduft, magischen Tönen und Lichtern und
„dithyrambischen Delirium purpurner Freude, wenn die Jnseln in violetter Seligkeit
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