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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

an das Schwarze Brett heften lassen, der sich gegen die Zweikämpfe wendet und
den Studenten verbietet, "sich mit unverheilten Wunden auf öffentlichen Straßen,
in der Straßenbahn usw. zu zeigen." Es ist spaßhaft und schmerzlich zugleich,
zu. sehen, wie sich eine Sinnwidrigkeit bis zu deu Spitzen der Hochschulen verirren
kann. Wenn eine höhere Tochter sagt: "Da kommt die Pferdebahn," oder ein
Lausbursche Sehnsucht hat, in die Straßenbahn zu steigen, so braucht man sich
nicht sonderlich zu wundern. Sie nehmen einfach die ruhende Bahn der Schienen
statt des Wagens, der darauf rollt, und kürzen deu "Pferdebahnwagen" oder den
"Straßenbahnwagen" durch Abwerfen der beiden letzten Silben ab. "Wir sind
in der Pferdebahn gefahren -- ich habe mich in die Straßenbahn gesetzt" und
zahlreiche ähnliche Wendungen kann man jeden Augenblick hören. Ja die Leute
sagen: "Wir warten auf die Pferdebahn," obwohl sie mit beiden Füßen darauf
stehen. Daß aber die Würdenträger einer deutschen Hochschule solche Nachlässigkeit
in eine amtliche Bekanntmachung aufnehmen, ist doch wohl nicht zu billigen; um,
so weniger, da voranging: "auf öffentlicher Straße," und sie nur hätten fort¬
zufahren brauchen: "der Straßenbahn usw." -- Übrigens was ist "Halle a. S."?
Was hat das arme d. verbrochen, daß man es unterschlägt? Oder heißt der Fluß
jetzt nicht mehr: die Saale?


Papierluxus.

Gegen Neujahr pflegen die Zeitungen zur Ablösung der
Gratulationspflicht durch Beiträge für wohlthätige Zwecke aufzufordern. Der mittel¬
deutsche Papierverein bittet dagegen in einem Rundschreiben, solchen Aufforderungen
nicht Folge zu leisten, weil der Verzicht auf Neujahrskarten einer "viele tausende
von Arbeitern und Gewerbtreibenden beschäftigenden Industrie großen Schaden"
zufüge. Ein neuer Beweis für unsre oft wiederholte Behauptung, daß in einem
Lande, wo nicht mehr die Mehrzahl in der Urproduktion untergebracht werden
kann, nur der unsinnigste Luxus und eine Menge lästiger Modethorheiten noch den
Schein erzeugen können, als ob es für jeden Arbeitsfähigen produktive Arbeit gäbe.




Zur Beachtung
Mit dem nächsten Hefte beginnt diese Zeitschrift das
1. Vierteljahr ihres 36. Jahrganges. Sie ist durch alle Buch¬
handlungen und Postanstaltrn des In- und Auslandes zu
beziehen. Preis für das Vierteljahr 9 Mark. Wir bitten" die
Bestellung schleunig zu erneuern.
Leipzig, im Dezember 1895Die Verlagshandlung




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

an das Schwarze Brett heften lassen, der sich gegen die Zweikämpfe wendet und
den Studenten verbietet, „sich mit unverheilten Wunden auf öffentlichen Straßen,
in der Straßenbahn usw. zu zeigen." Es ist spaßhaft und schmerzlich zugleich,
zu. sehen, wie sich eine Sinnwidrigkeit bis zu deu Spitzen der Hochschulen verirren
kann. Wenn eine höhere Tochter sagt: „Da kommt die Pferdebahn," oder ein
Lausbursche Sehnsucht hat, in die Straßenbahn zu steigen, so braucht man sich
nicht sonderlich zu wundern. Sie nehmen einfach die ruhende Bahn der Schienen
statt des Wagens, der darauf rollt, und kürzen deu „Pferdebahnwagen" oder den
„Straßenbahnwagen" durch Abwerfen der beiden letzten Silben ab. „Wir sind
in der Pferdebahn gefahren — ich habe mich in die Straßenbahn gesetzt" und
zahlreiche ähnliche Wendungen kann man jeden Augenblick hören. Ja die Leute
sagen: „Wir warten auf die Pferdebahn," obwohl sie mit beiden Füßen darauf
stehen. Daß aber die Würdenträger einer deutschen Hochschule solche Nachlässigkeit
in eine amtliche Bekanntmachung aufnehmen, ist doch wohl nicht zu billigen; um,
so weniger, da voranging: „auf öffentlicher Straße," und sie nur hätten fort¬
zufahren brauchen: „der Straßenbahn usw." — Übrigens was ist „Halle a. S."?
Was hat das arme d. verbrochen, daß man es unterschlägt? Oder heißt der Fluß
jetzt nicht mehr: die Saale?


Papierluxus.

Gegen Neujahr pflegen die Zeitungen zur Ablösung der
Gratulationspflicht durch Beiträge für wohlthätige Zwecke aufzufordern. Der mittel¬
deutsche Papierverein bittet dagegen in einem Rundschreiben, solchen Aufforderungen
nicht Folge zu leisten, weil der Verzicht auf Neujahrskarten einer „viele tausende
von Arbeitern und Gewerbtreibenden beschäftigenden Industrie großen Schaden"
zufüge. Ein neuer Beweis für unsre oft wiederholte Behauptung, daß in einem
Lande, wo nicht mehr die Mehrzahl in der Urproduktion untergebracht werden
kann, nur der unsinnigste Luxus und eine Menge lästiger Modethorheiten noch den
Schein erzeugen können, als ob es für jeden Arbeitsfähigen produktive Arbeit gäbe.




Zur Beachtung
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1. Vierteljahr ihres 36. Jahrganges. Sie ist durch alle Buch¬
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beziehen. Preis für das Vierteljahr 9 Mark. Wir bitten» die
Bestellung schleunig zu erneuern.
Leipzig, im Dezember 1895Die Verlagshandlung




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0662] Maßgebliches und Unmaßgebliches an das Schwarze Brett heften lassen, der sich gegen die Zweikämpfe wendet und den Studenten verbietet, „sich mit unverheilten Wunden auf öffentlichen Straßen, in der Straßenbahn usw. zu zeigen." Es ist spaßhaft und schmerzlich zugleich, zu. sehen, wie sich eine Sinnwidrigkeit bis zu deu Spitzen der Hochschulen verirren kann. Wenn eine höhere Tochter sagt: „Da kommt die Pferdebahn," oder ein Lausbursche Sehnsucht hat, in die Straßenbahn zu steigen, so braucht man sich nicht sonderlich zu wundern. Sie nehmen einfach die ruhende Bahn der Schienen statt des Wagens, der darauf rollt, und kürzen deu „Pferdebahnwagen" oder den „Straßenbahnwagen" durch Abwerfen der beiden letzten Silben ab. „Wir sind in der Pferdebahn gefahren — ich habe mich in die Straßenbahn gesetzt" und zahlreiche ähnliche Wendungen kann man jeden Augenblick hören. Ja die Leute sagen: „Wir warten auf die Pferdebahn," obwohl sie mit beiden Füßen darauf stehen. Daß aber die Würdenträger einer deutschen Hochschule solche Nachlässigkeit in eine amtliche Bekanntmachung aufnehmen, ist doch wohl nicht zu billigen; um, so weniger, da voranging: „auf öffentlicher Straße," und sie nur hätten fort¬ zufahren brauchen: „der Straßenbahn usw." — Übrigens was ist „Halle a. S."? Was hat das arme d. verbrochen, daß man es unterschlägt? Oder heißt der Fluß jetzt nicht mehr: die Saale? Papierluxus. Gegen Neujahr pflegen die Zeitungen zur Ablösung der Gratulationspflicht durch Beiträge für wohlthätige Zwecke aufzufordern. Der mittel¬ deutsche Papierverein bittet dagegen in einem Rundschreiben, solchen Aufforderungen nicht Folge zu leisten, weil der Verzicht auf Neujahrskarten einer „viele tausende von Arbeitern und Gewerbtreibenden beschäftigenden Industrie großen Schaden" zufüge. Ein neuer Beweis für unsre oft wiederholte Behauptung, daß in einem Lande, wo nicht mehr die Mehrzahl in der Urproduktion untergebracht werden kann, nur der unsinnigste Luxus und eine Menge lästiger Modethorheiten noch den Schein erzeugen können, als ob es für jeden Arbeitsfähigen produktive Arbeit gäbe. Zur Beachtung Mit dem nächsten Hefte beginnt diese Zeitschrift das 1. Vierteljahr ihres 36. Jahrganges. Sie ist durch alle Buch¬ handlungen und Postanstaltrn des In- und Auslandes zu beziehen. Preis für das Vierteljahr 9 Mark. Wir bitten» die Bestellung schleunig zu erneuern. Leipzig, im Dezember 1895Die Verlagshandlung Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_220975/662>, abgerufen am 27.06.2024.