Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.Konrad Fiedler Hans Marbach Ein Lebensbild von Ein treuer Freund tot! nichts aus Erden sonst. Porzia im Kaufmann von Venedig in Lebensbild will ich entwerfen, noch unter dem betäubenden, Unser naturwissenschaftliches Zeitalter hat die Erkenntnis bis in die Wei¬ Aber in der sittlichen Well, in der der menschliche Wille und die mensch¬ Konrad Fiedler Hans Marbach Ein Lebensbild von Ein treuer Freund tot! nichts aus Erden sonst. Porzia im Kaufmann von Venedig in Lebensbild will ich entwerfen, noch unter dem betäubenden, Unser naturwissenschaftliches Zeitalter hat die Erkenntnis bis in die Wei¬ Aber in der sittlichen Well, in der der menschliche Wille und die mensch¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220602"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341861_220325/figures/grenzboten_341861_220325_220602_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Konrad Fiedler<lb/><note type="byline"> Hans Marbach</note> Ein Lebensbild von</head><lb/> <quote type="epigraph"> Ein treuer Freund tot! nichts aus Erden sonst.<lb/> Was eines festgesinnten Mannes Fassung<lb/> So ganz verwandeln kann.</quote><lb/> <note type="bibl"> Porzia im Kaufmann von Venedig</note><lb/> <p xml:id="ID_1140"> in Lebensbild will ich entwerfen, noch unter dem betäubenden,<lb/> fassungraubenden Eindruck des Todes, der jäh, gewaltsam, schreck¬<lb/> lich das blühendste Leben vernichtet hat, das geliebte Leben selbst,<lb/> von dem diese Zeilen ein Bild geben sollen, ein Schattenbild<lb/> nur, einen schwachen Ausdruck oder Wiederhall der Erinnerung,<lb/> die in vielen trauernden Herzen noch lange fortleben wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1141"> Unser naturwissenschaftliches Zeitalter hat die Erkenntnis bis in die Wei¬<lb/> testen Kreise des Volkes verbreitet, daß es in der Natur keinen Zufall, kein<lb/> Wunder giebt. Alles bewegt sich, entsteht und vergeht nach ewigen, unwandel¬<lb/> baren Gesetzen. Wir fürchten nicht, daß die Sonne eines Tages nicht auf¬<lb/> gehen werde, oder daß der Mond und die Sterne plötzlich erlöschen oder aus<lb/> ihren Bahnen weichen könnten, und wenn es auch geschähe, so würden wir<lb/> doch annehmen, daß es aus bestimmten, gesetzmäßigen, d. h. im Einklang und<lb/> Zusammenhange mit allen übrigen Natnrvvrgäugen stehenden Ursachen geschehe,<lb/> und daß der menschliche Geist imstande sei, wenn auch erst nach langem Mühen<lb/> und Forschen, diesen ursächlichen Zusammenhang zu begreifen, d. h. ihn mit<lb/> dem ihm schon bekannten und nach seinen Ursachen und Wirkungen erforschten<lb/> wieder in Verbindung zu setzen. An Willkür, Zufall, Unbegreiflichkeit würden<lb/> wir unter allen Umständen nicht glauben. So geht es in der natürlichen<lb/> Welt zu, in der uns demzufolge alles weise eingerichtet erscheint.</p><lb/> <p xml:id="ID_1142" next="#ID_1143"> Aber in der sittlichen Well, in der der menschliche Wille und die mensch¬<lb/> liche Vernunft das Szepter führen sollen und wollen, in der es sich um unser<lb/> Wohl und Wehe, um die niedern und hohen Zwecke des menschlichen Daseins<lb/> handelt, da kreuzt plötzlich etwas ganz unvorhergesehenes und nnvorherseh-<lb/> bares den Weg, den uns die Vernunft gehen heißt, zerstört alle Pläne und<lb/> Erwartungen, richtet uns selbst und unser Werk zu Grunde. Wenn auch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0276]
[Abbildung]
Konrad Fiedler
Hans Marbach Ein Lebensbild von
Ein treuer Freund tot! nichts aus Erden sonst.
Was eines festgesinnten Mannes Fassung
So ganz verwandeln kann.
Porzia im Kaufmann von Venedig
in Lebensbild will ich entwerfen, noch unter dem betäubenden,
fassungraubenden Eindruck des Todes, der jäh, gewaltsam, schreck¬
lich das blühendste Leben vernichtet hat, das geliebte Leben selbst,
von dem diese Zeilen ein Bild geben sollen, ein Schattenbild
nur, einen schwachen Ausdruck oder Wiederhall der Erinnerung,
die in vielen trauernden Herzen noch lange fortleben wird.
Unser naturwissenschaftliches Zeitalter hat die Erkenntnis bis in die Wei¬
testen Kreise des Volkes verbreitet, daß es in der Natur keinen Zufall, kein
Wunder giebt. Alles bewegt sich, entsteht und vergeht nach ewigen, unwandel¬
baren Gesetzen. Wir fürchten nicht, daß die Sonne eines Tages nicht auf¬
gehen werde, oder daß der Mond und die Sterne plötzlich erlöschen oder aus
ihren Bahnen weichen könnten, und wenn es auch geschähe, so würden wir
doch annehmen, daß es aus bestimmten, gesetzmäßigen, d. h. im Einklang und
Zusammenhange mit allen übrigen Natnrvvrgäugen stehenden Ursachen geschehe,
und daß der menschliche Geist imstande sei, wenn auch erst nach langem Mühen
und Forschen, diesen ursächlichen Zusammenhang zu begreifen, d. h. ihn mit
dem ihm schon bekannten und nach seinen Ursachen und Wirkungen erforschten
wieder in Verbindung zu setzen. An Willkür, Zufall, Unbegreiflichkeit würden
wir unter allen Umständen nicht glauben. So geht es in der natürlichen
Welt zu, in der uns demzufolge alles weise eingerichtet erscheint.
Aber in der sittlichen Well, in der der menschliche Wille und die mensch¬
liche Vernunft das Szepter führen sollen und wollen, in der es sich um unser
Wohl und Wehe, um die niedern und hohen Zwecke des menschlichen Daseins
handelt, da kreuzt plötzlich etwas ganz unvorhergesehenes und nnvorherseh-
bares den Weg, den uns die Vernunft gehen heißt, zerstört alle Pläne und
Erwartungen, richtet uns selbst und unser Werk zu Grunde. Wenn auch
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