Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Drittes Vierteljahr.Unser Jrrenwesen Werden diese Forderungen erfüllt, dann sind die Privatanstalten so ein¬ Nachschrift. Noch hatte ich diesen Aufsatz nicht beendet, als die Anstalt, Unser Jrrenwesen Werden diese Forderungen erfüllt, dann sind die Privatanstalten so ein¬ Nachschrift. Noch hatte ich diesen Aufsatz nicht beendet, als die Anstalt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/220601"/> <fw type="header" place="top"> Unser Jrrenwesen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1138"> Werden diese Forderungen erfüllt, dann sind die Privatanstalten so ein¬<lb/> geengt, daß sie sich recht gut kontrolliren lassen, die öffentlichen Anstalten ge¬<lb/> währen aber überhaupt eine viel größere Sicherheit. Ihre Ärzte sind geschulte<lb/> Beamte und kommen zur Leitung erst, nachdem sie jahrelang womöglich an<lb/> verschiednen Anstalten erprobt worden sind. Außerdem ist ihnen ihr Amt keine<lb/> Quelle der Bereicherung. Trotzdem ist es aus mehreren Gründen dringend<lb/> erwünscht, daß auch die öffentlichen Anstalten einer staatlichen Kontrolle unter¬<lb/> worfen werden. Die preußische Staatsregierung mischt sich freilich nicht gern<lb/> in die Angelegenheiten der Provinzen und hat ihnen daher im Jrrenwesen<lb/> freie Hand gelassen. Bei seiner großen öffentlichen Bedeutung aber muß die<lb/> Regierung ein Auge darauf behalten. Ganz abgesehen von dem Gefühle der<lb/> Sicherheit, das eine staatliche Kontrolle im Volke verbreiten würde, schüfe sie<lb/> auch eine Verbindung zwischen den Anstaltsärzten und der Regierung, die auf<lb/> die ganze Weiterentwicklung der Jrrenpflege nur segensreich einwirken könnte.<lb/> Der Rat der Sachverständigen würde zum Wohle der Kranken größern Ein¬<lb/> fluß erlangen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Nachschrift.</head> <p xml:id="ID_1139"> Noch hatte ich diesen Aufsatz nicht beendet, als die Anstalt,<lb/> an der ich thätig bin, ganz unvermutet vou zwei Herren überfallen wurde,<lb/> einem Oberregierungsrat und dem Medizinalrat des Regierungsbezirks, die im<lb/> unmittelbaren Auftrage des Ministers unter Umgehung des Landeshauptmanns<lb/> eine zweitägige Revision vornahmen. Es liegt mir ganz fern, den Herren<lb/> etwas übles nachzusagen, sie gaben sich alle Mühe, gründlich vorzugehen, und<lb/> wir Arzte suchten ihnen ihre Aufgabe zu erleichtern, indem wir sie auf alles<lb/> aufmerksam machten. Aber eine eigentlich wirksame Revision war es doch<lb/> nicht: es fehlte eben der Sachverständige, der nun einmal allein den Dingen<lb/> auf den Grund gehen kann. Da es scheint, daß jetzt alle öffentlichen Anstalten<lb/> in derselben Weise durch die nächste Regierung einer außerordentlichen Revision<lb/> unterzogen werden sollen, so wäre die Regierung doch vielleicht darauf auf¬<lb/> merksam zu machen, daß sich ein Überblick nur gewinnen läßt, wenn eine ge¬<lb/> ringere Zahl von Beamten mit den gesamten Revisionen betraut wird.<lb/> Übrigens ist doch ein Regierungsmedizinalrat kein schicklicher Revisor für den<lb/> Direktor einer öffentlichen Irrenanstalt. Was würden wohl die Staatsanwälte,<lb/> diese juristischen Spezialisten, dazu sagen, wenn sie von Richtern gleichen Ranges<lb/> revidirt werden sollten? Nun, ein Anfang ist ja gemacht, hoffentlich wird sich<lb/> etwas brauchbares daraus entwickeln.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0275]
Unser Jrrenwesen
Werden diese Forderungen erfüllt, dann sind die Privatanstalten so ein¬
geengt, daß sie sich recht gut kontrolliren lassen, die öffentlichen Anstalten ge¬
währen aber überhaupt eine viel größere Sicherheit. Ihre Ärzte sind geschulte
Beamte und kommen zur Leitung erst, nachdem sie jahrelang womöglich an
verschiednen Anstalten erprobt worden sind. Außerdem ist ihnen ihr Amt keine
Quelle der Bereicherung. Trotzdem ist es aus mehreren Gründen dringend
erwünscht, daß auch die öffentlichen Anstalten einer staatlichen Kontrolle unter¬
worfen werden. Die preußische Staatsregierung mischt sich freilich nicht gern
in die Angelegenheiten der Provinzen und hat ihnen daher im Jrrenwesen
freie Hand gelassen. Bei seiner großen öffentlichen Bedeutung aber muß die
Regierung ein Auge darauf behalten. Ganz abgesehen von dem Gefühle der
Sicherheit, das eine staatliche Kontrolle im Volke verbreiten würde, schüfe sie
auch eine Verbindung zwischen den Anstaltsärzten und der Regierung, die auf
die ganze Weiterentwicklung der Jrrenpflege nur segensreich einwirken könnte.
Der Rat der Sachverständigen würde zum Wohle der Kranken größern Ein¬
fluß erlangen.
Nachschrift. Noch hatte ich diesen Aufsatz nicht beendet, als die Anstalt,
an der ich thätig bin, ganz unvermutet vou zwei Herren überfallen wurde,
einem Oberregierungsrat und dem Medizinalrat des Regierungsbezirks, die im
unmittelbaren Auftrage des Ministers unter Umgehung des Landeshauptmanns
eine zweitägige Revision vornahmen. Es liegt mir ganz fern, den Herren
etwas übles nachzusagen, sie gaben sich alle Mühe, gründlich vorzugehen, und
wir Arzte suchten ihnen ihre Aufgabe zu erleichtern, indem wir sie auf alles
aufmerksam machten. Aber eine eigentlich wirksame Revision war es doch
nicht: es fehlte eben der Sachverständige, der nun einmal allein den Dingen
auf den Grund gehen kann. Da es scheint, daß jetzt alle öffentlichen Anstalten
in derselben Weise durch die nächste Regierung einer außerordentlichen Revision
unterzogen werden sollen, so wäre die Regierung doch vielleicht darauf auf¬
merksam zu machen, daß sich ein Überblick nur gewinnen läßt, wenn eine ge¬
ringere Zahl von Beamten mit den gesamten Revisionen betraut wird.
Übrigens ist doch ein Regierungsmedizinalrat kein schicklicher Revisor für den
Direktor einer öffentlichen Irrenanstalt. Was würden wohl die Staatsanwälte,
diese juristischen Spezialisten, dazu sagen, wenn sie von Richtern gleichen Ranges
revidirt werden sollten? Nun, ein Anfang ist ja gemacht, hoffentlich wird sich
etwas brauchbares daraus entwickeln.
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