Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Hier kann nur erzieherisch eingewirkt werden, aber nicht mit Worten,
nicht mit Lehren der Schule und der Kirche, sondern nur mit dem Beispiel.
Wer Wasser predigt und Wein trinkt, kann kein Apostel der Müßigkeit sein,
und weder das gesprochne noch das geschriebn" Wort, weder Poesie noch
Prosa, weder Roman noch Drama kann den erzieherischen Einfluß üben, der
not thut, wenn etwas gebessert und erreicht werden soll. Die geistig hoch¬
stehenden müssen vorangehen, dürfen nicht den Weg des Materialismus, den
ihrer viele mit betreten haben, weiter gehen, sie müssen die unter ihnen
stehenden Gebildeten mitreißen und den wohlhabenden und reichen Klassen
den Weg zeigen und voranschreiten, ehe man im Mittelstand und weiter unten
Forderungen stellen kann. Von den geistigen Höhen ging der Gedanke der
Befreiung jeglicher Art aus, und aus ihren Reihen stammen alle Märtyrer
für geistige Befreiung und sittliche Veredlung. Sollten sich in unsern Tagen
keine mehr finden lassen?

Mußten wir diese Frage verneinen, die Hoffnung aufgeben, daß aus den
Höhen der Gesellschaft -- nicht im landläufigen Sinne -- das Beispiel er¬
stünde, die Begehrlichkeit zu mäßigen, die Konkurrenzkampfe zu mildern, dann
müßten wir freilich die Hoffnung auf eine Fortentwicklung der Menschen zum
Guten und Edeln aufgeben. Aber so pessimistisch sind wir nicht.




Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik
England in Nordamerika

le drei Gruppen von Kolonien, denen die Lage im gemäßigten
Klima, die Fruchtbarkeit und die Bodenschätze einen besondern
Wert verleihen: die seit 1867 vereinigte Dominion von Kanada,
die durch Zollgrenze und gleichgerichtete Ausdehnungspolitik
verbundnen Kolonien in Südafrika und die australischen Kolo¬
nien, die eben jetzt ihre Vereinigung zu einem Lomiliouvsaltb. ok ^.n8trg.1la
anstreben, sind wirtschaftlich und national immer die wichtigsten von allen,
wenn sie auch politisch sür das Mutterland dann und wann gefährlich zu
werden drohen. Was ihnen die große Bedeutung für das englische Volk giebt,
dessen Überfluß sie Boden und fruchtbringende Arbeitsgelegenheit bieten, ge¬
rade das macht sie zu einer Gefahr für den englischen Staat. Es sind hier
Bevölkerungen herangewachsen, die nicht bloß Erzeuger und Verzehrer von
Waren bleiben können, als die sie das Mutterland behandeln möchte, sondern


Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik

Hier kann nur erzieherisch eingewirkt werden, aber nicht mit Worten,
nicht mit Lehren der Schule und der Kirche, sondern nur mit dem Beispiel.
Wer Wasser predigt und Wein trinkt, kann kein Apostel der Müßigkeit sein,
und weder das gesprochne noch das geschriebn« Wort, weder Poesie noch
Prosa, weder Roman noch Drama kann den erzieherischen Einfluß üben, der
not thut, wenn etwas gebessert und erreicht werden soll. Die geistig hoch¬
stehenden müssen vorangehen, dürfen nicht den Weg des Materialismus, den
ihrer viele mit betreten haben, weiter gehen, sie müssen die unter ihnen
stehenden Gebildeten mitreißen und den wohlhabenden und reichen Klassen
den Weg zeigen und voranschreiten, ehe man im Mittelstand und weiter unten
Forderungen stellen kann. Von den geistigen Höhen ging der Gedanke der
Befreiung jeglicher Art aus, und aus ihren Reihen stammen alle Märtyrer
für geistige Befreiung und sittliche Veredlung. Sollten sich in unsern Tagen
keine mehr finden lassen?

Mußten wir diese Frage verneinen, die Hoffnung aufgeben, daß aus den
Höhen der Gesellschaft — nicht im landläufigen Sinne — das Beispiel er¬
stünde, die Begehrlichkeit zu mäßigen, die Konkurrenzkampfe zu mildern, dann
müßten wir freilich die Hoffnung auf eine Fortentwicklung der Menschen zum
Guten und Edeln aufgeben. Aber so pessimistisch sind wir nicht.




Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik
England in Nordamerika

le drei Gruppen von Kolonien, denen die Lage im gemäßigten
Klima, die Fruchtbarkeit und die Bodenschätze einen besondern
Wert verleihen: die seit 1867 vereinigte Dominion von Kanada,
die durch Zollgrenze und gleichgerichtete Ausdehnungspolitik
verbundnen Kolonien in Südafrika und die australischen Kolo¬
nien, die eben jetzt ihre Vereinigung zu einem Lomiliouvsaltb. ok ^.n8trg.1la
anstreben, sind wirtschaftlich und national immer die wichtigsten von allen,
wenn sie auch politisch sür das Mutterland dann und wann gefährlich zu
werden drohen. Was ihnen die große Bedeutung für das englische Volk giebt,
dessen Überfluß sie Boden und fruchtbringende Arbeitsgelegenheit bieten, ge¬
rade das macht sie zu einer Gefahr für den englischen Staat. Es sind hier
Bevölkerungen herangewachsen, die nicht bloß Erzeuger und Verzehrer von
Waren bleiben können, als die sie das Mutterland behandeln möchte, sondern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/219746"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_198"> Hier kann nur erzieherisch eingewirkt werden, aber nicht mit Worten,<lb/>
nicht mit Lehren der Schule und der Kirche, sondern nur mit dem Beispiel.<lb/>
Wer Wasser predigt und Wein trinkt, kann kein Apostel der Müßigkeit sein,<lb/>
und weder das gesprochne noch das geschriebn« Wort, weder Poesie noch<lb/>
Prosa, weder Roman noch Drama kann den erzieherischen Einfluß üben, der<lb/>
not thut, wenn etwas gebessert und erreicht werden soll. Die geistig hoch¬<lb/>
stehenden müssen vorangehen, dürfen nicht den Weg des Materialismus, den<lb/>
ihrer viele mit betreten haben, weiter gehen, sie müssen die unter ihnen<lb/>
stehenden Gebildeten mitreißen und den wohlhabenden und reichen Klassen<lb/>
den Weg zeigen und voranschreiten, ehe man im Mittelstand und weiter unten<lb/>
Forderungen stellen kann. Von den geistigen Höhen ging der Gedanke der<lb/>
Befreiung jeglicher Art aus, und aus ihren Reihen stammen alle Märtyrer<lb/>
für geistige Befreiung und sittliche Veredlung. Sollten sich in unsern Tagen<lb/>
keine mehr finden lassen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_199"> Mußten wir diese Frage verneinen, die Hoffnung aufgeben, daß aus den<lb/>
Höhen der Gesellschaft &#x2014; nicht im landläufigen Sinne &#x2014; das Beispiel er¬<lb/>
stünde, die Begehrlichkeit zu mäßigen, die Konkurrenzkampfe zu mildern, dann<lb/>
müßten wir freilich die Hoffnung auf eine Fortentwicklung der Menschen zum<lb/>
Guten und Edeln aufgeben.  Aber so pessimistisch sind wir nicht.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik<lb/>
England in Nordamerika</head><lb/>
          <p xml:id="ID_200" next="#ID_201"> le drei Gruppen von Kolonien, denen die Lage im gemäßigten<lb/>
Klima, die Fruchtbarkeit und die Bodenschätze einen besondern<lb/>
Wert verleihen: die seit 1867 vereinigte Dominion von Kanada,<lb/>
die durch Zollgrenze und gleichgerichtete Ausdehnungspolitik<lb/>
verbundnen Kolonien in Südafrika und die australischen Kolo¬<lb/>
nien, die eben jetzt ihre Vereinigung zu einem Lomiliouvsaltb. ok ^.n8trg.1la<lb/>
anstreben, sind wirtschaftlich und national immer die wichtigsten von allen,<lb/>
wenn sie auch politisch sür das Mutterland dann und wann gefährlich zu<lb/>
werden drohen. Was ihnen die große Bedeutung für das englische Volk giebt,<lb/>
dessen Überfluß sie Boden und fruchtbringende Arbeitsgelegenheit bieten, ge¬<lb/>
rade das macht sie zu einer Gefahr für den englischen Staat. Es sind hier<lb/>
Bevölkerungen herangewachsen, die nicht bloß Erzeuger und Verzehrer von<lb/>
Waren bleiben können, als die sie das Mutterland behandeln möchte, sondern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0070] Zur Kenntnis der englischen Weltpolitik Hier kann nur erzieherisch eingewirkt werden, aber nicht mit Worten, nicht mit Lehren der Schule und der Kirche, sondern nur mit dem Beispiel. Wer Wasser predigt und Wein trinkt, kann kein Apostel der Müßigkeit sein, und weder das gesprochne noch das geschriebn« Wort, weder Poesie noch Prosa, weder Roman noch Drama kann den erzieherischen Einfluß üben, der not thut, wenn etwas gebessert und erreicht werden soll. Die geistig hoch¬ stehenden müssen vorangehen, dürfen nicht den Weg des Materialismus, den ihrer viele mit betreten haben, weiter gehen, sie müssen die unter ihnen stehenden Gebildeten mitreißen und den wohlhabenden und reichen Klassen den Weg zeigen und voranschreiten, ehe man im Mittelstand und weiter unten Forderungen stellen kann. Von den geistigen Höhen ging der Gedanke der Befreiung jeglicher Art aus, und aus ihren Reihen stammen alle Märtyrer für geistige Befreiung und sittliche Veredlung. Sollten sich in unsern Tagen keine mehr finden lassen? Mußten wir diese Frage verneinen, die Hoffnung aufgeben, daß aus den Höhen der Gesellschaft — nicht im landläufigen Sinne — das Beispiel er¬ stünde, die Begehrlichkeit zu mäßigen, die Konkurrenzkampfe zu mildern, dann müßten wir freilich die Hoffnung auf eine Fortentwicklung der Menschen zum Guten und Edeln aufgeben. Aber so pessimistisch sind wir nicht. Zur Kenntnis der englischen lveltpolitik England in Nordamerika le drei Gruppen von Kolonien, denen die Lage im gemäßigten Klima, die Fruchtbarkeit und die Bodenschätze einen besondern Wert verleihen: die seit 1867 vereinigte Dominion von Kanada, die durch Zollgrenze und gleichgerichtete Ausdehnungspolitik verbundnen Kolonien in Südafrika und die australischen Kolo¬ nien, die eben jetzt ihre Vereinigung zu einem Lomiliouvsaltb. ok ^.n8trg.1la anstreben, sind wirtschaftlich und national immer die wichtigsten von allen, wenn sie auch politisch sür das Mutterland dann und wann gefährlich zu werden drohen. Was ihnen die große Bedeutung für das englische Volk giebt, dessen Überfluß sie Boden und fruchtbringende Arbeitsgelegenheit bieten, ge¬ rade das macht sie zu einer Gefahr für den englischen Staat. Es sind hier Bevölkerungen herangewachsen, die nicht bloß Erzeuger und Verzehrer von Waren bleiben können, als die sie das Mutterland behandeln möchte, sondern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/70
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/70>, abgerufen am 30.12.2024.