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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Arzt, hilf dir selber!

Einen Nachteil, den die Beseitigung der Gerichtsferien zur Folge haben
würde, könnte man in der häufig erforderlichen Vertretung der ständigen Richter
durch nicht ständige sehen, wenn die richterlichen Geschäfte während der Ab¬
wesenheit des Dezernenten uneingeschränkt fortgeführt würden. Thatsächlich
würde aber solche Vertretung nur bei kleinen Amtsgerichten und kleinen Land¬
gerichten erforderlich sein, wo sich die zu erledigende Arbeit nicht auf mehrere
Schultern verteilen läßt. Auch ist zu erwägen, daß sich der Geschäftsbetrieb
von selbst den Verhältnissen entsprechend regeln wird, insofern in Zivilsachen
z. B. den Parteien selbst daran liegt, daß die von dem ordentlichen Dezernenten
instruirte Sache auch von ihm zu Ende geführt wird. Jenem Nachteil stünde
aber ein wesentlicher Vorteil gegenüber: die Arbeit, die heute in zehn Mo¬
naten erledigt werden muß, würde sich auf das ganze Jahr verteilen. Es
könnte uicht ausbleibe", daß damit der jetzigen Überlastung der Gerichte
wenigstens teilweise abgeholfen werden würde.

Es dürfte wünschenswert sein, daß bei der beabsichtigten Reform des
Gerichtsverfasfungsgesetzes auch die Frage nach der praktischen Bedeutung
der Gerichtsferien erörtert würde.




Arzt, hilf dir selber!

WH
V^R"
Mährend der Ausschuß der preußischen Ärztekammern an den
Kultusminister eine Abordnung sendet, die ihn auf die immer
mehr bedrohte Lage des ärztlichen Standes hinweisen und auf
die Thatsache aufmerksam machen soll, daß sich die Anstellung
und Entlassung der Krankenkassenärzte nicht mehr allein nach
Gunst und Belieben der zum großen Teil sozialdemokratischen Kassenvorstände
vollziehe, sondern daß man schon anfange, ungescheut von den Ärzten die
Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei als Bedingung der Anstellung
zu fordern, und daß deshalb eine straffere Organisation des ärztlichen Standes,
d. h. die Schaffung und Übertragung der Disziplinargewalt an die staatlich
anerkannten ärztlichen Vertretungen geboten sei; während Herr Dr. Cnhrim
in Frankfurt a. M. in einem offnen Sendschreiben an den Ärztekammerausschuß
gegen diesen Versuch, "das Gift der Sozialdemokratie in den Reihen der
Ärzte zu bekämpfen," d. h. die politische Gesinnung der Ärzte zum Gegen¬
stande der Bevormundung zu macheu, Verwahrung einlegt; während sich die
freisinnigen Berliner Zeitungen in heftigen Artikeln und der Vorstand der


Arzt, hilf dir selber!

Einen Nachteil, den die Beseitigung der Gerichtsferien zur Folge haben
würde, könnte man in der häufig erforderlichen Vertretung der ständigen Richter
durch nicht ständige sehen, wenn die richterlichen Geschäfte während der Ab¬
wesenheit des Dezernenten uneingeschränkt fortgeführt würden. Thatsächlich
würde aber solche Vertretung nur bei kleinen Amtsgerichten und kleinen Land¬
gerichten erforderlich sein, wo sich die zu erledigende Arbeit nicht auf mehrere
Schultern verteilen läßt. Auch ist zu erwägen, daß sich der Geschäftsbetrieb
von selbst den Verhältnissen entsprechend regeln wird, insofern in Zivilsachen
z. B. den Parteien selbst daran liegt, daß die von dem ordentlichen Dezernenten
instruirte Sache auch von ihm zu Ende geführt wird. Jenem Nachteil stünde
aber ein wesentlicher Vorteil gegenüber: die Arbeit, die heute in zehn Mo¬
naten erledigt werden muß, würde sich auf das ganze Jahr verteilen. Es
könnte uicht ausbleibe», daß damit der jetzigen Überlastung der Gerichte
wenigstens teilweise abgeholfen werden würde.

Es dürfte wünschenswert sein, daß bei der beabsichtigten Reform des
Gerichtsverfasfungsgesetzes auch die Frage nach der praktischen Bedeutung
der Gerichtsferien erörtert würde.




Arzt, hilf dir selber!

WH
V^R»
Mährend der Ausschuß der preußischen Ärztekammern an den
Kultusminister eine Abordnung sendet, die ihn auf die immer
mehr bedrohte Lage des ärztlichen Standes hinweisen und auf
die Thatsache aufmerksam machen soll, daß sich die Anstellung
und Entlassung der Krankenkassenärzte nicht mehr allein nach
Gunst und Belieben der zum großen Teil sozialdemokratischen Kassenvorstände
vollziehe, sondern daß man schon anfange, ungescheut von den Ärzten die
Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei als Bedingung der Anstellung
zu fordern, und daß deshalb eine straffere Organisation des ärztlichen Standes,
d. h. die Schaffung und Übertragung der Disziplinargewalt an die staatlich
anerkannten ärztlichen Vertretungen geboten sei; während Herr Dr. Cnhrim
in Frankfurt a. M. in einem offnen Sendschreiben an den Ärztekammerausschuß
gegen diesen Versuch, „das Gift der Sozialdemokratie in den Reihen der
Ärzte zu bekämpfen," d. h. die politische Gesinnung der Ärzte zum Gegen¬
stande der Bevormundung zu macheu, Verwahrung einlegt; während sich die
freisinnigen Berliner Zeitungen in heftigen Artikeln und der Vorstand der


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[0596] Arzt, hilf dir selber! Einen Nachteil, den die Beseitigung der Gerichtsferien zur Folge haben würde, könnte man in der häufig erforderlichen Vertretung der ständigen Richter durch nicht ständige sehen, wenn die richterlichen Geschäfte während der Ab¬ wesenheit des Dezernenten uneingeschränkt fortgeführt würden. Thatsächlich würde aber solche Vertretung nur bei kleinen Amtsgerichten und kleinen Land¬ gerichten erforderlich sein, wo sich die zu erledigende Arbeit nicht auf mehrere Schultern verteilen läßt. Auch ist zu erwägen, daß sich der Geschäftsbetrieb von selbst den Verhältnissen entsprechend regeln wird, insofern in Zivilsachen z. B. den Parteien selbst daran liegt, daß die von dem ordentlichen Dezernenten instruirte Sache auch von ihm zu Ende geführt wird. Jenem Nachteil stünde aber ein wesentlicher Vorteil gegenüber: die Arbeit, die heute in zehn Mo¬ naten erledigt werden muß, würde sich auf das ganze Jahr verteilen. Es könnte uicht ausbleibe», daß damit der jetzigen Überlastung der Gerichte wenigstens teilweise abgeholfen werden würde. Es dürfte wünschenswert sein, daß bei der beabsichtigten Reform des Gerichtsverfasfungsgesetzes auch die Frage nach der praktischen Bedeutung der Gerichtsferien erörtert würde. Arzt, hilf dir selber! WH V^R» Mährend der Ausschuß der preußischen Ärztekammern an den Kultusminister eine Abordnung sendet, die ihn auf die immer mehr bedrohte Lage des ärztlichen Standes hinweisen und auf die Thatsache aufmerksam machen soll, daß sich die Anstellung und Entlassung der Krankenkassenärzte nicht mehr allein nach Gunst und Belieben der zum großen Teil sozialdemokratischen Kassenvorstände vollziehe, sondern daß man schon anfange, ungescheut von den Ärzten die Zugehörigkeit zur sozialdemokratischen Partei als Bedingung der Anstellung zu fordern, und daß deshalb eine straffere Organisation des ärztlichen Standes, d. h. die Schaffung und Übertragung der Disziplinargewalt an die staatlich anerkannten ärztlichen Vertretungen geboten sei; während Herr Dr. Cnhrim in Frankfurt a. M. in einem offnen Sendschreiben an den Ärztekammerausschuß gegen diesen Versuch, „das Gift der Sozialdemokratie in den Reihen der Ärzte zu bekämpfen," d. h. die politische Gesinnung der Ärzte zum Gegen¬ stande der Bevormundung zu macheu, Verwahrung einlegt; während sich die freisinnigen Berliner Zeitungen in heftigen Artikeln und der Vorstand der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/596>, abgerufen am 24.08.2024.