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Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr.

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Der erste Beste
Veto Verdeck Lrzählung von
(Fortsetzung)
2

9. Juli 1892


Meine liebste, einzige Mama!

ente wird es wohl endlich einmal ein wirklicher Brief werden.
Meine verschiednen Postkarten und kleinen Grüße waren ja Wohl
recht ungenügend, aber ich hatte keine Ruhe zum Schreiben, weil
wir uns nirgends lange aufhielten. Hier werden wir voraus¬
sichtlich noch acht Tage bleiben, als am Haupt- und Ausruhe¬
punkt, nachdem mir Fritz seine geliebte mecklenburgische Heimat
ein bischen gezeigt hat. Ich merkte gleich auf dem Stettiner Bahnhof seinen
Plan; er hatte mich vorher ja immer raten lassen wollen, wohin wir reisen
würden. Es war mir ja aber alles recht. An Warnemünde gerade hätte ich
freilich zuletzt gedacht. Und nun sind wir hier, in demselben Hotel, in den¬
selben Zimmern, in denen wir drei voriges Jahr gewohnt haben, als ich noch
zu Hause war, als ich noch dein Kind war. Fritz hatte die Zimmer vorher
bestellt; er gedachte mir damit eine Frende zu machen. Ich habe ihm auch
gedankt, denn er hat es ja gut gemeint. Es gab mir aber einen schlag aufs
Herz, daß ich nun hier sein soll, ohne euch, ohne dich, mein Liebling. Er
weiß das ja nicht so, wie wir beide zusammenhängen. Er kann mir das auch
nicht nachfühlen, denn erstens ist er ein Mann, und zweitens hat er ja die
Mutter so früh verloren. Ich glaube, er war ein bischen verwundert, daß
ich mich nicht mehr freute, aber ich konnte ihm nichts mehr sagen, ich mußte
mich zusammennehmen, nicht zu weinen. Es mag unrecht sein, aber ich kann
nichts dasür. Es wird sich ja wohl geben, und ich werde dann in den noch
übrigen Tagen hier auch schon noch Freude an dem Aufenthalt haben. Fritz
hat in seinem Bruder gute Vertretung und kann "bummeln," sagt er, nach
Wohlgefallen. Das Wetter ist himmlisch. So gehen wir nun herum und
sehen alle bekannten Plätze an. Aber er hat für die, an denen wir uns zuerst
gesehen haben, ein viel besseres Gedächtnis als ich. Meistens hat ja freilich
er mich gesehen; ich habe ihn erst viel später bemerkt. Ich mag ihm das nun
nicht jedesmal sagen. Morgen will ich gern, während er seine Briefe schreibt,




Der erste Beste
Veto Verdeck Lrzählung von
(Fortsetzung)
2

9. Juli 1892


Meine liebste, einzige Mama!

ente wird es wohl endlich einmal ein wirklicher Brief werden.
Meine verschiednen Postkarten und kleinen Grüße waren ja Wohl
recht ungenügend, aber ich hatte keine Ruhe zum Schreiben, weil
wir uns nirgends lange aufhielten. Hier werden wir voraus¬
sichtlich noch acht Tage bleiben, als am Haupt- und Ausruhe¬
punkt, nachdem mir Fritz seine geliebte mecklenburgische Heimat
ein bischen gezeigt hat. Ich merkte gleich auf dem Stettiner Bahnhof seinen
Plan; er hatte mich vorher ja immer raten lassen wollen, wohin wir reisen
würden. Es war mir ja aber alles recht. An Warnemünde gerade hätte ich
freilich zuletzt gedacht. Und nun sind wir hier, in demselben Hotel, in den¬
selben Zimmern, in denen wir drei voriges Jahr gewohnt haben, als ich noch
zu Hause war, als ich noch dein Kind war. Fritz hatte die Zimmer vorher
bestellt; er gedachte mir damit eine Frende zu machen. Ich habe ihm auch
gedankt, denn er hat es ja gut gemeint. Es gab mir aber einen schlag aufs
Herz, daß ich nun hier sein soll, ohne euch, ohne dich, mein Liebling. Er
weiß das ja nicht so, wie wir beide zusammenhängen. Er kann mir das auch
nicht nachfühlen, denn erstens ist er ein Mann, und zweitens hat er ja die
Mutter so früh verloren. Ich glaube, er war ein bischen verwundert, daß
ich mich nicht mehr freute, aber ich konnte ihm nichts mehr sagen, ich mußte
mich zusammennehmen, nicht zu weinen. Es mag unrecht sein, aber ich kann
nichts dasür. Es wird sich ja wohl geben, und ich werde dann in den noch
übrigen Tagen hier auch schon noch Freude an dem Aufenthalt haben. Fritz
hat in seinem Bruder gute Vertretung und kann „bummeln," sagt er, nach
Wohlgefallen. Das Wetter ist himmlisch. So gehen wir nun herum und
sehen alle bekannten Plätze an. Aber er hat für die, an denen wir uns zuerst
gesehen haben, ein viel besseres Gedächtnis als ich. Meistens hat ja freilich
er mich gesehen; ich habe ihn erst viel später bemerkt. Ich mag ihm das nun
nicht jedesmal sagen. Morgen will ich gern, während er seine Briefe schreibt,


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[0336] [Abbildung] Der erste Beste Veto Verdeck Lrzählung von (Fortsetzung) 2 9. Juli 1892 Meine liebste, einzige Mama! ente wird es wohl endlich einmal ein wirklicher Brief werden. Meine verschiednen Postkarten und kleinen Grüße waren ja Wohl recht ungenügend, aber ich hatte keine Ruhe zum Schreiben, weil wir uns nirgends lange aufhielten. Hier werden wir voraus¬ sichtlich noch acht Tage bleiben, als am Haupt- und Ausruhe¬ punkt, nachdem mir Fritz seine geliebte mecklenburgische Heimat ein bischen gezeigt hat. Ich merkte gleich auf dem Stettiner Bahnhof seinen Plan; er hatte mich vorher ja immer raten lassen wollen, wohin wir reisen würden. Es war mir ja aber alles recht. An Warnemünde gerade hätte ich freilich zuletzt gedacht. Und nun sind wir hier, in demselben Hotel, in den¬ selben Zimmern, in denen wir drei voriges Jahr gewohnt haben, als ich noch zu Hause war, als ich noch dein Kind war. Fritz hatte die Zimmer vorher bestellt; er gedachte mir damit eine Frende zu machen. Ich habe ihm auch gedankt, denn er hat es ja gut gemeint. Es gab mir aber einen schlag aufs Herz, daß ich nun hier sein soll, ohne euch, ohne dich, mein Liebling. Er weiß das ja nicht so, wie wir beide zusammenhängen. Er kann mir das auch nicht nachfühlen, denn erstens ist er ein Mann, und zweitens hat er ja die Mutter so früh verloren. Ich glaube, er war ein bischen verwundert, daß ich mich nicht mehr freute, aber ich konnte ihm nichts mehr sagen, ich mußte mich zusammennehmen, nicht zu weinen. Es mag unrecht sein, aber ich kann nichts dasür. Es wird sich ja wohl geben, und ich werde dann in den noch übrigen Tagen hier auch schon noch Freude an dem Aufenthalt haben. Fritz hat in seinem Bruder gute Vertretung und kann „bummeln," sagt er, nach Wohlgefallen. Das Wetter ist himmlisch. So gehen wir nun herum und sehen alle bekannten Plätze an. Aber er hat für die, an denen wir uns zuerst gesehen haben, ein viel besseres Gedächtnis als ich. Meistens hat ja freilich er mich gesehen; ich habe ihn erst viel später bemerkt. Ich mag ihm das nun nicht jedesmal sagen. Morgen will ich gern, während er seine Briefe schreibt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 54, 1895, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341861_219675/336>, abgerufen am 21.12.2024.