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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr.

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Reiseeindrücke aus Lngland

Einkommen ans Genuß verbraucht, sondern ein Teil zur Erweiterung der
Produktion verwendet wird, ist bei jeder Gestalt der Gesellschaft und Volks¬
wirtschaft Pflicht. Noch weniger denken wir daran, dem reinste" oder irgend
welchem andern Kommunismus zu huldigen. Vielmehr ist jeuer starke Indivi¬
dualismus, wie er sich in Immermanns Hofschulzen und überhaupt im west¬
fälischen Bauer ausprägt, unser Ideal. Diesen Individualismus der Mehrzahl
unsrer Volksgenossen wieder möglich zu machen, ist unser Ziel. Wie wir den
Kapitalismus bekämpfen, um den Umschlag in Kommunismus, zu dem er folge¬
richtig führt, abzuwenden und das Privateigentum zu retten, oder vielmehr
das weithin schon vernichtete wiederherzustellen, so bekämpfen wir die falsche
Sparthevrie, um die Wirtschaftlichkeit als allgemeine Volkstngend wieder
möglich zu machen. Auch sind wir keineswegs Feinde der Geldwirtschaft, in
der wir zwar nicht die größte aller Segnungen, aber doch trotz aller Mängel,
die ihr als einer irdischen Einrichtung anhaften, einen Fortschritt und eine
große Bequemlichkeit sehen. Wir denken daher auch nicht daran, die Natural¬
wirtschaft allgemein wieder herstellen zu wollen. Aber wir wünschen sie dort
wiederherzustellen, wo sie ganz leicht möglich und eine Wohlthat ist, z. B.
auf dem Gutshöfe zur Löhnung der Arbeiter, und wir müssen in der Erörte¬
rung fortwährend auf sie zurückgehen, um jene wirtschaftlichen Vorgänge auf¬
zudecken, die den Angen der Mehrzahl durch die Geldwand verdeckt werden.




Reiseeindrücke aus England

ahraus jahrein ergießen sich breite Ströme angelsächsischer Ver¬
gnügungsreisenden nach dem Festlande. Der Engländer ist in
allen größern deutschen Orten heute eine bekannte, teils be¬
wunderte, teils gutmütig ertragne, teils bespöttelte Figur ge¬
worden. Es ist bemerkenswert, wie sich das zur Nation gewordne
und doch dem ausländischem Wesen noch immer so holde Deutschland innerhalb
der letzten zwanzig Jahre vom französischen Modegötzen ab und dafür der
Vorliebe für enAlisll ins zugewendet hat. Es muß deshalb eigentlich Wunder
nehmen, daß England selbst von deutschen Vergnugnngsreisenden noch so wenig
aufgesucht wird, obwohl jeder Sommer deren mehrere kriegsstarke Armeekorps
mobil macht. Auf einer kürzlich unternommnen Rekognoszirungsfahrt durch
England und Schottland habe ich wenigstens so gut wie keine deutschen Reisenden
t'or xleÄsurv angetroffen. Und doch bietet Großbritannien dem Naturfreund


Grenzboten IV 18W 28
Reiseeindrücke aus Lngland

Einkommen ans Genuß verbraucht, sondern ein Teil zur Erweiterung der
Produktion verwendet wird, ist bei jeder Gestalt der Gesellschaft und Volks¬
wirtschaft Pflicht. Noch weniger denken wir daran, dem reinste» oder irgend
welchem andern Kommunismus zu huldigen. Vielmehr ist jeuer starke Indivi¬
dualismus, wie er sich in Immermanns Hofschulzen und überhaupt im west¬
fälischen Bauer ausprägt, unser Ideal. Diesen Individualismus der Mehrzahl
unsrer Volksgenossen wieder möglich zu machen, ist unser Ziel. Wie wir den
Kapitalismus bekämpfen, um den Umschlag in Kommunismus, zu dem er folge¬
richtig führt, abzuwenden und das Privateigentum zu retten, oder vielmehr
das weithin schon vernichtete wiederherzustellen, so bekämpfen wir die falsche
Sparthevrie, um die Wirtschaftlichkeit als allgemeine Volkstngend wieder
möglich zu machen. Auch sind wir keineswegs Feinde der Geldwirtschaft, in
der wir zwar nicht die größte aller Segnungen, aber doch trotz aller Mängel,
die ihr als einer irdischen Einrichtung anhaften, einen Fortschritt und eine
große Bequemlichkeit sehen. Wir denken daher auch nicht daran, die Natural¬
wirtschaft allgemein wieder herstellen zu wollen. Aber wir wünschen sie dort
wiederherzustellen, wo sie ganz leicht möglich und eine Wohlthat ist, z. B.
auf dem Gutshöfe zur Löhnung der Arbeiter, und wir müssen in der Erörte¬
rung fortwährend auf sie zurückgehen, um jene wirtschaftlichen Vorgänge auf¬
zudecken, die den Angen der Mehrzahl durch die Geldwand verdeckt werden.




Reiseeindrücke aus England

ahraus jahrein ergießen sich breite Ströme angelsächsischer Ver¬
gnügungsreisenden nach dem Festlande. Der Engländer ist in
allen größern deutschen Orten heute eine bekannte, teils be¬
wunderte, teils gutmütig ertragne, teils bespöttelte Figur ge¬
worden. Es ist bemerkenswert, wie sich das zur Nation gewordne
und doch dem ausländischem Wesen noch immer so holde Deutschland innerhalb
der letzten zwanzig Jahre vom französischen Modegötzen ab und dafür der
Vorliebe für enAlisll ins zugewendet hat. Es muß deshalb eigentlich Wunder
nehmen, daß England selbst von deutschen Vergnugnngsreisenden noch so wenig
aufgesucht wird, obwohl jeder Sommer deren mehrere kriegsstarke Armeekorps
mobil macht. Auf einer kürzlich unternommnen Rekognoszirungsfahrt durch
England und Schottland habe ich wenigstens so gut wie keine deutschen Reisenden
t'or xleÄsurv angetroffen. Und doch bietet Großbritannien dem Naturfreund


Grenzboten IV 18W 28
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[0225] Reiseeindrücke aus Lngland Einkommen ans Genuß verbraucht, sondern ein Teil zur Erweiterung der Produktion verwendet wird, ist bei jeder Gestalt der Gesellschaft und Volks¬ wirtschaft Pflicht. Noch weniger denken wir daran, dem reinste» oder irgend welchem andern Kommunismus zu huldigen. Vielmehr ist jeuer starke Indivi¬ dualismus, wie er sich in Immermanns Hofschulzen und überhaupt im west¬ fälischen Bauer ausprägt, unser Ideal. Diesen Individualismus der Mehrzahl unsrer Volksgenossen wieder möglich zu machen, ist unser Ziel. Wie wir den Kapitalismus bekämpfen, um den Umschlag in Kommunismus, zu dem er folge¬ richtig führt, abzuwenden und das Privateigentum zu retten, oder vielmehr das weithin schon vernichtete wiederherzustellen, so bekämpfen wir die falsche Sparthevrie, um die Wirtschaftlichkeit als allgemeine Volkstngend wieder möglich zu machen. Auch sind wir keineswegs Feinde der Geldwirtschaft, in der wir zwar nicht die größte aller Segnungen, aber doch trotz aller Mängel, die ihr als einer irdischen Einrichtung anhaften, einen Fortschritt und eine große Bequemlichkeit sehen. Wir denken daher auch nicht daran, die Natural¬ wirtschaft allgemein wieder herstellen zu wollen. Aber wir wünschen sie dort wiederherzustellen, wo sie ganz leicht möglich und eine Wohlthat ist, z. B. auf dem Gutshöfe zur Löhnung der Arbeiter, und wir müssen in der Erörte¬ rung fortwährend auf sie zurückgehen, um jene wirtschaftlichen Vorgänge auf¬ zudecken, die den Angen der Mehrzahl durch die Geldwand verdeckt werden. Reiseeindrücke aus England ahraus jahrein ergießen sich breite Ströme angelsächsischer Ver¬ gnügungsreisenden nach dem Festlande. Der Engländer ist in allen größern deutschen Orten heute eine bekannte, teils be¬ wunderte, teils gutmütig ertragne, teils bespöttelte Figur ge¬ worden. Es ist bemerkenswert, wie sich das zur Nation gewordne und doch dem ausländischem Wesen noch immer so holde Deutschland innerhalb der letzten zwanzig Jahre vom französischen Modegötzen ab und dafür der Vorliebe für enAlisll ins zugewendet hat. Es muß deshalb eigentlich Wunder nehmen, daß England selbst von deutschen Vergnugnngsreisenden noch so wenig aufgesucht wird, obwohl jeder Sommer deren mehrere kriegsstarke Armeekorps mobil macht. Auf einer kürzlich unternommnen Rekognoszirungsfahrt durch England und Schottland habe ich wenigstens so gut wie keine deutschen Reisenden t'or xleÄsurv angetroffen. Und doch bietet Großbritannien dem Naturfreund Grenzboten IV 18W 28

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_215723/225>, abgerufen am 22.07.2024.