Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches besitzt, habe diese Liszt gezeigt; der habe sie aber mit der Bemerkung zurück¬ Mit herzlichen Grüßen an Ihre liebe Frau, ganz der Ihrige Louis Spohr. Unsre Bahrs ofsknciven. Die Zeit ist herangekommen, daß Herrn Michels Draußen schreitet mit tadellosen Handschuhen der Herr Bahnhofsinspektor uns Maßgebliches und Unmaßgebliches besitzt, habe diese Liszt gezeigt; der habe sie aber mit der Bemerkung zurück¬ Mit herzlichen Grüßen an Ihre liebe Frau, ganz der Ihrige Louis Spohr. Unsre Bahrs ofsknciven. Die Zeit ist herangekommen, daß Herrn Michels Draußen schreitet mit tadellosen Handschuhen der Herr Bahnhofsinspektor uns <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0198" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/215288"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_633" prev="#ID_632"> besitzt, habe diese Liszt gezeigt; der habe sie aber mit der Bemerkung zurück¬<lb/> geschoben! „Über diesen Zopf sind wir Gott Lob nnn auch hinaus!" Hoffentlich<lb/> ist es nicht wahr.</p><lb/> <note type="closer"> Mit herzlichen Grüßen an Ihre liebe Frau, ganz der Ihrige<note type="bibl"> Louis Spohr.</note></note><lb/> </div> <div n="2"> <head> Unsre Bahrs ofsknciven.</head> <p xml:id="ID_634"> Die Zeit ist herangekommen, daß Herrn Michels<lb/> Herz von dem Drang in die Ferne höher schwillt und dem einen der beiden<lb/> schönsten Augenblicke einer Reise, dem Eintritt in das Bahnhofsgebäude, vor dessen<lb/> Pforte er Sorgen, Haß und Kümmerlichkeit jeder Art zurückläßt, wärmer entgegen¬<lb/> schlägt. Der andre Augenblick erscheint bekanntlich bei der Rückkehr, wo dieses selbe<lb/> Herz darauf brennt, all die abgelegten Sorgen und Kümmerlichkeiten als lieben Besitz<lb/> vollständig wieder in Anspruch zu nehmen. Wie schön ists nnn da, im Morgengrauen<lb/> ans dein Wagen zu springen und die „Fahrkarte" zu lösen, eine Anweisung ans eine<lb/> Fülle kaum zu ahnender Freuden! Und nun den letzten Genuß auf heimischem<lb/> Boden: eine Tasse Kaffee in der Restauration, zweiter Klasse selbstverständlich.<lb/> Aber o weh! Wie sieht es da aus, und wie riecht es da erst! Die Luft von<lb/> gestern Abend lagert ungestört, mit braungrauem Tcibaksqualm durchwölkt, über<lb/> übernächtigen Kneipcmten. Aus deu Wirtshäusern der Stadt Vertrieben, haben sie<lb/> sich um zwei oder drei Uhr früh hier niedergelassen. Mit Bier angefüllt, des<lb/> Kaffees überdrüssig, sind sie eben zum Schnaps übergegangen. Die müden, grau<lb/> cmgequalmtcn Gesichter, die stieren Augen, das Gelall und gelegentliche Gebrüll,<lb/> wie stimmt das alles zu einem frischen Morgen, einem frohen Anfang! Der Boden<lb/> des Wartesaals ist vollgespuckt und mit Resten von Streichhölzern und Cigarren<lb/> bestreut. Die verschlafene Büffctdame, der mißmutige Kellner, ein paar still<lb/> grollende Beamte, die die Schweinerei sehen, ohne ein Wort des Tadels zu äußern,<lb/> vollenden das Bild, mit dem die Restaurationen königlicher Eisenbahnen zahlreicher<lb/> Mittel- und norddeutschen Städte ihre Reisenden entlassen. Haben diese Reisenden<lb/> nicht ein Recht auf einen menschenwürdigen Winkel? Wie es scheint, nicht. Einen<lb/> eigentlichen Wartesaal giebt es nicht, alles ist Kneipe, Schmutz, Gemeinheit. Wo<lb/> halten sich Frauen und Mädchen auf, die deu Abgang des Zuges erwarten?</p><lb/> <p xml:id="ID_635"> Draußen schreitet mit tadellosen Handschuhen der Herr Bahnhofsinspektor uns<lb/> und ab und sieht — in die Luft. Wir verlangen das Beschwerdebuch, er blickt<lb/> uns erstaunt an und wirft dann einen Blick in die Spelunke. Nach einigen<lb/> Wochen erhalten wir den Bescheid, die königliche Direktion zu T werde dem ge¬<lb/> rügten Übelstande nach Möglichkeit abhelfen. Kann sie eS? Die Umwandlung aller<lb/> Warteräume, selbst auf großen Bahnhöfen, in pachtzahleude Wirtsstubeu ist ein<lb/> verwerfliches System, das gemeine Neigungen und Gewohnheiten mit staatlichen<lb/> Mitteln verbreitet, die Reisenden belästigt, ans die Beamten übel einwirkt. Pro¬<lb/> testire doch jeder, dem die ästhetische Erziehung der Menschen kein leeres Wort ist,<lb/> gegen diesen Auswuchs.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0198]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
besitzt, habe diese Liszt gezeigt; der habe sie aber mit der Bemerkung zurück¬
geschoben! „Über diesen Zopf sind wir Gott Lob nnn auch hinaus!" Hoffentlich
ist es nicht wahr.
Mit herzlichen Grüßen an Ihre liebe Frau, ganz der Ihrige Louis Spohr.
Unsre Bahrs ofsknciven. Die Zeit ist herangekommen, daß Herrn Michels
Herz von dem Drang in die Ferne höher schwillt und dem einen der beiden
schönsten Augenblicke einer Reise, dem Eintritt in das Bahnhofsgebäude, vor dessen
Pforte er Sorgen, Haß und Kümmerlichkeit jeder Art zurückläßt, wärmer entgegen¬
schlägt. Der andre Augenblick erscheint bekanntlich bei der Rückkehr, wo dieses selbe
Herz darauf brennt, all die abgelegten Sorgen und Kümmerlichkeiten als lieben Besitz
vollständig wieder in Anspruch zu nehmen. Wie schön ists nnn da, im Morgengrauen
ans dein Wagen zu springen und die „Fahrkarte" zu lösen, eine Anweisung ans eine
Fülle kaum zu ahnender Freuden! Und nun den letzten Genuß auf heimischem
Boden: eine Tasse Kaffee in der Restauration, zweiter Klasse selbstverständlich.
Aber o weh! Wie sieht es da aus, und wie riecht es da erst! Die Luft von
gestern Abend lagert ungestört, mit braungrauem Tcibaksqualm durchwölkt, über
übernächtigen Kneipcmten. Aus deu Wirtshäusern der Stadt Vertrieben, haben sie
sich um zwei oder drei Uhr früh hier niedergelassen. Mit Bier angefüllt, des
Kaffees überdrüssig, sind sie eben zum Schnaps übergegangen. Die müden, grau
cmgequalmtcn Gesichter, die stieren Augen, das Gelall und gelegentliche Gebrüll,
wie stimmt das alles zu einem frischen Morgen, einem frohen Anfang! Der Boden
des Wartesaals ist vollgespuckt und mit Resten von Streichhölzern und Cigarren
bestreut. Die verschlafene Büffctdame, der mißmutige Kellner, ein paar still
grollende Beamte, die die Schweinerei sehen, ohne ein Wort des Tadels zu äußern,
vollenden das Bild, mit dem die Restaurationen königlicher Eisenbahnen zahlreicher
Mittel- und norddeutschen Städte ihre Reisenden entlassen. Haben diese Reisenden
nicht ein Recht auf einen menschenwürdigen Winkel? Wie es scheint, nicht. Einen
eigentlichen Wartesaal giebt es nicht, alles ist Kneipe, Schmutz, Gemeinheit. Wo
halten sich Frauen und Mädchen auf, die deu Abgang des Zuges erwarten?
Draußen schreitet mit tadellosen Handschuhen der Herr Bahnhofsinspektor uns
und ab und sieht — in die Luft. Wir verlangen das Beschwerdebuch, er blickt
uns erstaunt an und wirft dann einen Blick in die Spelunke. Nach einigen
Wochen erhalten wir den Bescheid, die königliche Direktion zu T werde dem ge¬
rügten Übelstande nach Möglichkeit abhelfen. Kann sie eS? Die Umwandlung aller
Warteräume, selbst auf großen Bahnhöfen, in pachtzahleude Wirtsstubeu ist ein
verwerfliches System, das gemeine Neigungen und Gewohnheiten mit staatlichen
Mitteln verbreitet, die Reisenden belästigt, ans die Beamten übel einwirkt. Pro¬
testire doch jeder, dem die ästhetische Erziehung der Menschen kein leeres Wort ist,
gegen diesen Auswuchs.
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