Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Leben ohne die erschütternden Tragödien großen Unglücks und ohne die
beständige Komödie der Irrungen, in die den Menschen seine Thorheiten und
Leidenschaften, seine Eitelkeit und Kurzsichtigkeit verwickeln, daß ein solches
Leben wohl ein Leben der Engel, aber kein Menschenleben sein würde. Es
wäre das tausendjährige Reich, von dem die Christenheit in den ersten beiden
Jahrhunderten und später noch manchmal in Zeiten großer Bedrängnis ge¬
träumt hat, und worauf nichts mehr solgen könnte als das Weltende.

Es sind also vorzugsweise die volkswirtschaftlichen Ansichten, in denen
wir mit Gronlund übereinstimmen, und hier ist die Übereinstimmung, die
sich keineswegs vollständig aus der Benutzung gemeinsamer Quellen erklären
läßt, so groß, daß sie uus überrascht hat. Wenn sich Geister, die so weit
entfernt von einander wohnen und nichts von einander wissen, in so auf¬
fälliger Weise parallel bewegen, so dürfen sie darin wohl eine gewisse Bürg¬
schaft dafür sehn, daß sie sich auf dem richtigen Wege befinden. Professor
Wols in Zürich allerdings wird darin nur einen neuen Beweis dafür sehn,
wie weit leider die Anstecknngskmft geistiger Seuchen reiche. In dem Ge¬
nannten nämlich ist dem Kapitalismus ein neuer, begabter und mit großer
Gelehrsamkeit ausgerüsteter Vorkämpfer erstanden. Wir werden selbstverständ¬
lich nicht versäumen, uns in einer gründlichen Kritik seines Werkes mit ihm
auseinanderzusetzen.




Die Philosophie vom Übermenschen
von Rudolf Bnddensieg (Schluß)

n diesen -- hier ausführlicher mitgeteilten ^ Sätzen ist Nietzsches
grundlegender Gedanke gegeben: ein Apotheose der Macht, der
rohen Gewalt, der Brutalität als Heilmittel gegen die -- ange-
nommne -- Verflachung des Typus Mensch, der die Herstellung
einer vornehmen Kaste, die "ganzeren Menschen, d. h. die
ganzeren Bestien" wieder auf die Höhe zu helfen haben. Die große Frage
des Lebeus ist die Befreiung des Lebenswillens, d. h. die Losgebung, der
wilden Instinkte im Individuum. Die Ausbeutung ist "organische Grund-
fuuktion"; Aufzwüugung des Jochs, Vernichtung, der wilde Rnubtieranfall,
die erbarmungslose Zerstörungslust des von den Schranken der Sitte und
Gesellschaft befreiten Menschen, der "Instinkt der Freiheit," d. h. der Trieb
zu thun, was beliebt, die Entfaltung der wilden Willkür auf Kosten des


ein Leben ohne die erschütternden Tragödien großen Unglücks und ohne die
beständige Komödie der Irrungen, in die den Menschen seine Thorheiten und
Leidenschaften, seine Eitelkeit und Kurzsichtigkeit verwickeln, daß ein solches
Leben wohl ein Leben der Engel, aber kein Menschenleben sein würde. Es
wäre das tausendjährige Reich, von dem die Christenheit in den ersten beiden
Jahrhunderten und später noch manchmal in Zeiten großer Bedrängnis ge¬
träumt hat, und worauf nichts mehr solgen könnte als das Weltende.

Es sind also vorzugsweise die volkswirtschaftlichen Ansichten, in denen
wir mit Gronlund übereinstimmen, und hier ist die Übereinstimmung, die
sich keineswegs vollständig aus der Benutzung gemeinsamer Quellen erklären
läßt, so groß, daß sie uus überrascht hat. Wenn sich Geister, die so weit
entfernt von einander wohnen und nichts von einander wissen, in so auf¬
fälliger Weise parallel bewegen, so dürfen sie darin wohl eine gewisse Bürg¬
schaft dafür sehn, daß sie sich auf dem richtigen Wege befinden. Professor
Wols in Zürich allerdings wird darin nur einen neuen Beweis dafür sehn,
wie weit leider die Anstecknngskmft geistiger Seuchen reiche. In dem Ge¬
nannten nämlich ist dem Kapitalismus ein neuer, begabter und mit großer
Gelehrsamkeit ausgerüsteter Vorkämpfer erstanden. Wir werden selbstverständ¬
lich nicht versäumen, uns in einer gründlichen Kritik seines Werkes mit ihm
auseinanderzusetzen.




Die Philosophie vom Übermenschen
von Rudolf Bnddensieg (Schluß)

n diesen — hier ausführlicher mitgeteilten ^ Sätzen ist Nietzsches
grundlegender Gedanke gegeben: ein Apotheose der Macht, der
rohen Gewalt, der Brutalität als Heilmittel gegen die — ange-
nommne — Verflachung des Typus Mensch, der die Herstellung
einer vornehmen Kaste, die „ganzeren Menschen, d. h. die
ganzeren Bestien" wieder auf die Höhe zu helfen haben. Die große Frage
des Lebeus ist die Befreiung des Lebenswillens, d. h. die Losgebung, der
wilden Instinkte im Individuum. Die Ausbeutung ist „organische Grund-
fuuktion"; Aufzwüugung des Jochs, Vernichtung, der wilde Rnubtieranfall,
die erbarmungslose Zerstörungslust des von den Schranken der Sitte und
Gesellschaft befreiten Menschen, der „Instinkt der Freiheit," d. h. der Trieb
zu thun, was beliebt, die Entfaltung der wilden Willkür auf Kosten des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0087" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213201"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_220" prev="#ID_219"> ein Leben ohne die erschütternden Tragödien großen Unglücks und ohne die<lb/>
beständige Komödie der Irrungen, in die den Menschen seine Thorheiten und<lb/>
Leidenschaften, seine Eitelkeit und Kurzsichtigkeit verwickeln, daß ein solches<lb/>
Leben wohl ein Leben der Engel, aber kein Menschenleben sein würde. Es<lb/>
wäre das tausendjährige Reich, von dem die Christenheit in den ersten beiden<lb/>
Jahrhunderten und später noch manchmal in Zeiten großer Bedrängnis ge¬<lb/>
träumt hat, und worauf nichts mehr solgen könnte als das Weltende.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_221"> Es sind also vorzugsweise die volkswirtschaftlichen Ansichten, in denen<lb/>
wir mit Gronlund übereinstimmen, und hier ist die Übereinstimmung, die<lb/>
sich keineswegs vollständig aus der Benutzung gemeinsamer Quellen erklären<lb/>
läßt, so groß, daß sie uus überrascht hat. Wenn sich Geister, die so weit<lb/>
entfernt von einander wohnen und nichts von einander wissen, in so auf¬<lb/>
fälliger Weise parallel bewegen, so dürfen sie darin wohl eine gewisse Bürg¬<lb/>
schaft dafür sehn, daß sie sich auf dem richtigen Wege befinden. Professor<lb/>
Wols in Zürich allerdings wird darin nur einen neuen Beweis dafür sehn,<lb/>
wie weit leider die Anstecknngskmft geistiger Seuchen reiche. In dem Ge¬<lb/>
nannten nämlich ist dem Kapitalismus ein neuer, begabter und mit großer<lb/>
Gelehrsamkeit ausgerüsteter Vorkämpfer erstanden. Wir werden selbstverständ¬<lb/>
lich nicht versäumen, uns in einer gründlichen Kritik seines Werkes mit ihm<lb/>
auseinanderzusetzen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Philosophie vom Übermenschen<lb/><note type="byline"> von Rudolf Bnddensieg</note> (Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_222" next="#ID_223"> n diesen &#x2014; hier ausführlicher mitgeteilten ^ Sätzen ist Nietzsches<lb/>
grundlegender Gedanke gegeben: ein Apotheose der Macht, der<lb/>
rohen Gewalt, der Brutalität als Heilmittel gegen die &#x2014; ange-<lb/>
nommne &#x2014; Verflachung des Typus Mensch, der die Herstellung<lb/>
einer vornehmen Kaste, die &#x201E;ganzeren Menschen, d. h. die<lb/>
ganzeren Bestien" wieder auf die Höhe zu helfen haben. Die große Frage<lb/>
des Lebeus ist die Befreiung des Lebenswillens, d. h. die Losgebung, der<lb/>
wilden Instinkte im Individuum. Die Ausbeutung ist &#x201E;organische Grund-<lb/>
fuuktion"; Aufzwüugung des Jochs, Vernichtung, der wilde Rnubtieranfall,<lb/>
die erbarmungslose Zerstörungslust des von den Schranken der Sitte und<lb/>
Gesellschaft befreiten Menschen, der &#x201E;Instinkt der Freiheit," d. h. der Trieb<lb/>
zu thun, was beliebt, die Entfaltung der wilden Willkür auf Kosten des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0087] ein Leben ohne die erschütternden Tragödien großen Unglücks und ohne die beständige Komödie der Irrungen, in die den Menschen seine Thorheiten und Leidenschaften, seine Eitelkeit und Kurzsichtigkeit verwickeln, daß ein solches Leben wohl ein Leben der Engel, aber kein Menschenleben sein würde. Es wäre das tausendjährige Reich, von dem die Christenheit in den ersten beiden Jahrhunderten und später noch manchmal in Zeiten großer Bedrängnis ge¬ träumt hat, und worauf nichts mehr solgen könnte als das Weltende. Es sind also vorzugsweise die volkswirtschaftlichen Ansichten, in denen wir mit Gronlund übereinstimmen, und hier ist die Übereinstimmung, die sich keineswegs vollständig aus der Benutzung gemeinsamer Quellen erklären läßt, so groß, daß sie uus überrascht hat. Wenn sich Geister, die so weit entfernt von einander wohnen und nichts von einander wissen, in so auf¬ fälliger Weise parallel bewegen, so dürfen sie darin wohl eine gewisse Bürg¬ schaft dafür sehn, daß sie sich auf dem richtigen Wege befinden. Professor Wols in Zürich allerdings wird darin nur einen neuen Beweis dafür sehn, wie weit leider die Anstecknngskmft geistiger Seuchen reiche. In dem Ge¬ nannten nämlich ist dem Kapitalismus ein neuer, begabter und mit großer Gelehrsamkeit ausgerüsteter Vorkämpfer erstanden. Wir werden selbstverständ¬ lich nicht versäumen, uns in einer gründlichen Kritik seines Werkes mit ihm auseinanderzusetzen. Die Philosophie vom Übermenschen von Rudolf Bnddensieg (Schluß) n diesen — hier ausführlicher mitgeteilten ^ Sätzen ist Nietzsches grundlegender Gedanke gegeben: ein Apotheose der Macht, der rohen Gewalt, der Brutalität als Heilmittel gegen die — ange- nommne — Verflachung des Typus Mensch, der die Herstellung einer vornehmen Kaste, die „ganzeren Menschen, d. h. die ganzeren Bestien" wieder auf die Höhe zu helfen haben. Die große Frage des Lebeus ist die Befreiung des Lebenswillens, d. h. die Losgebung, der wilden Instinkte im Individuum. Die Ausbeutung ist „organische Grund- fuuktion"; Aufzwüugung des Jochs, Vernichtung, der wilde Rnubtieranfall, die erbarmungslose Zerstörungslust des von den Schranken der Sitte und Gesellschaft befreiten Menschen, der „Instinkt der Freiheit," d. h. der Trieb zu thun, was beliebt, die Entfaltung der wilden Willkür auf Kosten des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/87
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/87>, abgerufen am 22.12.2024.