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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Der Prozeß gegen Ahlwardt
von O, Bahr

nderthalb Wochen lang hat der Prozeß gegen Ahlwardt alle
Welt in gespannter Aufmerksamkeit erhalten. Neben dein Interesse,
das sich um die Frage knüpfte, ob unser Heer wirklich unbrauch¬
bare Waffen erhalten habe, war es für den Politiker von Be¬
deutung, daß hier eine große Schlacht gegen den Antisemitismus
geschlagen wurde, wobei es freilich einen seltsamen Hintergrund bildete, daß
der Mann, der schwer beschuldigt auf der Anklagebank saß, gleichzeitig bei
einer Neichstagswcihl mit großer Mehrheit aus der Wahlurne hervorging.
Für den Juristen aber bot der Prozeß seltsame, nichts weniger als erfreuliche
Erscheinungen dar, die zu ernstem Nachdenken anregen müssen.

Die Verhandlung hat mit einer Verurteilung des Angeklagten zu einer
Gefängnisstrafe von fünf Monaten abgeschlossen. Wir beabsichtigen nicht, dieses
Urteil seinem materiellen Gehalte nach zu besprechen. Die Hauptfrage, die
dabei interessirt, hat ja ohnehin durch die Erklärungen des Reichskanzlers und
des sächsischen Kriegsministers im Reichstage ihre Erledigung gefunden. Es
konnte sich also nur noch um die Fragen handeln, ob und inwieweit der An¬
geklagte bei Erhebung seiner Anschuldigungen in gutem Glauben gewesen sei,
und ob und inwieweit er bei ihrer Veröffentlichung aus patriotischer Ge¬
sinnung oder aus andern Beweggründen gehandelt habe. Über diese Fragen
wird sich aber wohl jeder, der den Verhandlungen gefolgt ist, anch unabhängig
von dem ergangnen Urteil eine Ansicht gebildet haben. Ganz untergeordnet
ist die Frage, ob der Angeklagte schon durch die Form, in der er seine An¬
schuldigungen vorgebracht hat, Beleidiger geworden ist und sich strafbar gemacht
hat. Wir wollen hier den Prozeß nur in formeller Beziehung besprechen, weil


Grenzboten IV 1892 77


Der Prozeß gegen Ahlwardt
von O, Bahr

nderthalb Wochen lang hat der Prozeß gegen Ahlwardt alle
Welt in gespannter Aufmerksamkeit erhalten. Neben dein Interesse,
das sich um die Frage knüpfte, ob unser Heer wirklich unbrauch¬
bare Waffen erhalten habe, war es für den Politiker von Be¬
deutung, daß hier eine große Schlacht gegen den Antisemitismus
geschlagen wurde, wobei es freilich einen seltsamen Hintergrund bildete, daß
der Mann, der schwer beschuldigt auf der Anklagebank saß, gleichzeitig bei
einer Neichstagswcihl mit großer Mehrheit aus der Wahlurne hervorging.
Für den Juristen aber bot der Prozeß seltsame, nichts weniger als erfreuliche
Erscheinungen dar, die zu ernstem Nachdenken anregen müssen.

Die Verhandlung hat mit einer Verurteilung des Angeklagten zu einer
Gefängnisstrafe von fünf Monaten abgeschlossen. Wir beabsichtigen nicht, dieses
Urteil seinem materiellen Gehalte nach zu besprechen. Die Hauptfrage, die
dabei interessirt, hat ja ohnehin durch die Erklärungen des Reichskanzlers und
des sächsischen Kriegsministers im Reichstage ihre Erledigung gefunden. Es
konnte sich also nur noch um die Fragen handeln, ob und inwieweit der An¬
geklagte bei Erhebung seiner Anschuldigungen in gutem Glauben gewesen sei,
und ob und inwieweit er bei ihrer Veröffentlichung aus patriotischer Ge¬
sinnung oder aus andern Beweggründen gehandelt habe. Über diese Fragen
wird sich aber wohl jeder, der den Verhandlungen gefolgt ist, anch unabhängig
von dem ergangnen Urteil eine Ansicht gebildet haben. Ganz untergeordnet
ist die Frage, ob der Angeklagte schon durch die Form, in der er seine An¬
schuldigungen vorgebracht hat, Beleidiger geworden ist und sich strafbar gemacht
hat. Wir wollen hier den Prozeß nur in formeller Beziehung besprechen, weil


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[0617] [Abbildung] Der Prozeß gegen Ahlwardt von O, Bahr nderthalb Wochen lang hat der Prozeß gegen Ahlwardt alle Welt in gespannter Aufmerksamkeit erhalten. Neben dein Interesse, das sich um die Frage knüpfte, ob unser Heer wirklich unbrauch¬ bare Waffen erhalten habe, war es für den Politiker von Be¬ deutung, daß hier eine große Schlacht gegen den Antisemitismus geschlagen wurde, wobei es freilich einen seltsamen Hintergrund bildete, daß der Mann, der schwer beschuldigt auf der Anklagebank saß, gleichzeitig bei einer Neichstagswcihl mit großer Mehrheit aus der Wahlurne hervorging. Für den Juristen aber bot der Prozeß seltsame, nichts weniger als erfreuliche Erscheinungen dar, die zu ernstem Nachdenken anregen müssen. Die Verhandlung hat mit einer Verurteilung des Angeklagten zu einer Gefängnisstrafe von fünf Monaten abgeschlossen. Wir beabsichtigen nicht, dieses Urteil seinem materiellen Gehalte nach zu besprechen. Die Hauptfrage, die dabei interessirt, hat ja ohnehin durch die Erklärungen des Reichskanzlers und des sächsischen Kriegsministers im Reichstage ihre Erledigung gefunden. Es konnte sich also nur noch um die Fragen handeln, ob und inwieweit der An¬ geklagte bei Erhebung seiner Anschuldigungen in gutem Glauben gewesen sei, und ob und inwieweit er bei ihrer Veröffentlichung aus patriotischer Ge¬ sinnung oder aus andern Beweggründen gehandelt habe. Über diese Fragen wird sich aber wohl jeder, der den Verhandlungen gefolgt ist, anch unabhängig von dem ergangnen Urteil eine Ansicht gebildet haben. Ganz untergeordnet ist die Frage, ob der Angeklagte schon durch die Form, in der er seine An¬ schuldigungen vorgebracht hat, Beleidiger geworden ist und sich strafbar gemacht hat. Wir wollen hier den Prozeß nur in formeller Beziehung besprechen, weil Grenzboten IV 1892 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/617>, abgerufen am 22.12.2024.