Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Soeben wird nun mit großem Geräusch für den 1. Oktober d. I. eine neue Kurmusik. Ferne sei es, von der Kurmusik im allgemeinen nachteiliges zu Maßgebliches und Unmaßgebliches Soeben wird nun mit großem Geräusch für den 1. Oktober d. I. eine neue Kurmusik. Ferne sei es, von der Kurmusik im allgemeinen nachteiliges zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213164"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_122"> Soeben wird nun mit großem Geräusch für den 1. Oktober d. I. eine neue<lb/> Leipziger Zeitung angekündigt. Sie soll von Anfang Oktober bis Ende Januar<lb/> an 120 000 Personen gratis verteilt werden, je einen Monat lang an 30 000<lb/> Personen. An dem nötigen „Kapital" scheint es also nicht zu fehlen. Ob<lb/> die neue Zeitung aber die bisher vermißte werden wird? Die Unternehmer haben<lb/> sich die Aufgabe gestellt, sie „zu einem angesehenen, gern gelesenen und weit ver¬<lb/> breiteten Blatte zu machen. Politisch unabhängig, wird es vor allein bestrebt sein,<lb/> in wirtschaftlicher Beziehung die Wünsche (!) der Leipziger Bevölkerung zum Aus¬<lb/> drucke zu bringen und der Industrie und dem Handel nach Kräften nützlich zu<lb/> fein. Inhaltlich wird das neue Blatt allen Anforderungen zu entsprechen suchen,<lb/> welche man nu eine größere Zeitung zu machen berechtigt ist. Dem Leser wird<lb/> ein reichhaltiges Material zu seiner Orientirung, Belehrung und Unterhaltung ge¬<lb/> boten und dabei im Hinblick auf die verschiedensten individuellen wie gesellschaft¬<lb/> lichen Bedürfnisse allen Seiten des öffentlichen Leben in gleicher Weise Aufmerk¬<lb/> samkeit und Berücksichtigung zu teil werden." Das ist sehr viel versprochen, und<lb/> sehr wenig, wie mens nimmt. Bedenklich klingt das Wort „Wünsche"; wir haben<lb/> es immer für die höchste Aufgabe einer „unabhängigen" Presse gehalten, nicht<lb/> „Wünsche" zum Ausdruck zu bringen, souderu Kritik zu üben. Nun, wir hoffen<lb/> das beste. Wir hoffen namentlich auch, daß über das vielverzweigte geistige Leben<lb/> Leipzigs in der neuen Zeitung nicht von Knaben, Banausen und Pfcnuigschreibern,<lb/> sondern von hochgebildeten, reifen und urteilsfähigen Männern gesprochen, daß die<lb/> niedrige Vereinsmeierei und Vergnüguugsiuduflrie, die sich in der Leipziger Tciges-<lb/> Presse so entsetzlich breit macht, aus dem redaktiouellen Teil unerbittlich fern¬<lb/> gehalten und ausnahmslos in den Inseratenteil verwiesen werden, endlich daß sich<lb/> auch die Sprache der neuen Zeitung über das verrufene landläufige Zeitungsdeutsch<lb/> erheben werde; auch die unbedeutendste Polizeinachricht braucht deu Lesern nicht<lb/> in Schntzmaundcutsch vorgesetzt zu werdeu. Leider verrät der Titel der neuen<lb/> Zeitung nicht gerade viel sprachliches Feingefühl; sie nennt sich: Leipziger neueste<lb/> Nachrichten. Das ist genau so, als wenn jemand von dem Leipziger höchsten .Kirch¬<lb/> turm, dem Leipziger schönsten Mädchen und dein Leipziger besten Bier reden<lb/> wollte. Daß die „Leipziger neuesten Nachrichten" in den „Münchner" und deu<lb/> „Berliner'neuesten Nachrichten" schon Vorgängerinnen haben, dadurch wird der<lb/> Titel uicht besser. Immer selber denken, nicht nachmachen!</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Kurmusik.</head> <p xml:id="ID_123" next="#ID_124"> Ferne sei es, von der Kurmusik im allgemeinen nachteiliges zu<lb/> sagen. Wenn sie auf der Schlußrechnung erscheint, mag sie bei einem Bade- oder<lb/> Trinkgast bittere Empfindungen erregen, aber so lange er noch seine vorschrifts¬<lb/> mäßigen Morgenspaziergänge macht, von Becher zu Becher und endlich zum er¬<lb/> sehnten Frühstück, würde er ungern die taltmäßige und mehr oder weniger melo¬<lb/> diöse Begleitung seiner Schritte entbehren; ein Stammgast von Marienbad behauptet,<lb/> das Wasser allein thue es nicht, Musik müsse dabei sein. Daß sie auf das<lb/> Nervensystem — nicht allein der Jagdhunde — wirkt, ist eine allbekannte Sache,<lb/> und eben deshalb ist es wohl erlaubt, die Frage auszuwerfen, ob Musik in jedem<lb/> Falle, und insbesondre, ob jede Musik kurgemäß sei? Ein Zweifel stellte sich un¬<lb/> längst in einem Badeort ein, der fast ausschließlich von Personen besucht wird,<lb/> die zur Hysterie neigen, als die Kapelle vorwiegend Wagnersche Musik zum besten<lb/> gab. Bei diesen endlosen Dissonanzen, diesem Seufzen, Stöhnen, Wimmern,<lb/> Zwitschern gedachten wir zuerst zustimmend der Theorie unsers Marienbilder<lb/> Freundes. Aber was ihm und seinesgleichen zuträglich ist, muß es das auch für</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0050]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Soeben wird nun mit großem Geräusch für den 1. Oktober d. I. eine neue
Leipziger Zeitung angekündigt. Sie soll von Anfang Oktober bis Ende Januar
an 120 000 Personen gratis verteilt werden, je einen Monat lang an 30 000
Personen. An dem nötigen „Kapital" scheint es also nicht zu fehlen. Ob
die neue Zeitung aber die bisher vermißte werden wird? Die Unternehmer haben
sich die Aufgabe gestellt, sie „zu einem angesehenen, gern gelesenen und weit ver¬
breiteten Blatte zu machen. Politisch unabhängig, wird es vor allein bestrebt sein,
in wirtschaftlicher Beziehung die Wünsche (!) der Leipziger Bevölkerung zum Aus¬
drucke zu bringen und der Industrie und dem Handel nach Kräften nützlich zu
fein. Inhaltlich wird das neue Blatt allen Anforderungen zu entsprechen suchen,
welche man nu eine größere Zeitung zu machen berechtigt ist. Dem Leser wird
ein reichhaltiges Material zu seiner Orientirung, Belehrung und Unterhaltung ge¬
boten und dabei im Hinblick auf die verschiedensten individuellen wie gesellschaft¬
lichen Bedürfnisse allen Seiten des öffentlichen Leben in gleicher Weise Aufmerk¬
samkeit und Berücksichtigung zu teil werden." Das ist sehr viel versprochen, und
sehr wenig, wie mens nimmt. Bedenklich klingt das Wort „Wünsche"; wir haben
es immer für die höchste Aufgabe einer „unabhängigen" Presse gehalten, nicht
„Wünsche" zum Ausdruck zu bringen, souderu Kritik zu üben. Nun, wir hoffen
das beste. Wir hoffen namentlich auch, daß über das vielverzweigte geistige Leben
Leipzigs in der neuen Zeitung nicht von Knaben, Banausen und Pfcnuigschreibern,
sondern von hochgebildeten, reifen und urteilsfähigen Männern gesprochen, daß die
niedrige Vereinsmeierei und Vergnüguugsiuduflrie, die sich in der Leipziger Tciges-
Presse so entsetzlich breit macht, aus dem redaktiouellen Teil unerbittlich fern¬
gehalten und ausnahmslos in den Inseratenteil verwiesen werden, endlich daß sich
auch die Sprache der neuen Zeitung über das verrufene landläufige Zeitungsdeutsch
erheben werde; auch die unbedeutendste Polizeinachricht braucht deu Lesern nicht
in Schntzmaundcutsch vorgesetzt zu werdeu. Leider verrät der Titel der neuen
Zeitung nicht gerade viel sprachliches Feingefühl; sie nennt sich: Leipziger neueste
Nachrichten. Das ist genau so, als wenn jemand von dem Leipziger höchsten .Kirch¬
turm, dem Leipziger schönsten Mädchen und dein Leipziger besten Bier reden
wollte. Daß die „Leipziger neuesten Nachrichten" in den „Münchner" und deu
„Berliner'neuesten Nachrichten" schon Vorgängerinnen haben, dadurch wird der
Titel uicht besser. Immer selber denken, nicht nachmachen!
Kurmusik. Ferne sei es, von der Kurmusik im allgemeinen nachteiliges zu
sagen. Wenn sie auf der Schlußrechnung erscheint, mag sie bei einem Bade- oder
Trinkgast bittere Empfindungen erregen, aber so lange er noch seine vorschrifts¬
mäßigen Morgenspaziergänge macht, von Becher zu Becher und endlich zum er¬
sehnten Frühstück, würde er ungern die taltmäßige und mehr oder weniger melo¬
diöse Begleitung seiner Schritte entbehren; ein Stammgast von Marienbad behauptet,
das Wasser allein thue es nicht, Musik müsse dabei sein. Daß sie auf das
Nervensystem — nicht allein der Jagdhunde — wirkt, ist eine allbekannte Sache,
und eben deshalb ist es wohl erlaubt, die Frage auszuwerfen, ob Musik in jedem
Falle, und insbesondre, ob jede Musik kurgemäß sei? Ein Zweifel stellte sich un¬
längst in einem Badeort ein, der fast ausschließlich von Personen besucht wird,
die zur Hysterie neigen, als die Kapelle vorwiegend Wagnersche Musik zum besten
gab. Bei diesen endlosen Dissonanzen, diesem Seufzen, Stöhnen, Wimmern,
Zwitschern gedachten wir zuerst zustimmend der Theorie unsers Marienbilder
Freundes. Aber was ihm und seinesgleichen zuträglich ist, muß es das auch für
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