Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.Bilder aus dem Universitätsleben tuas, d. h. des alten, einfachen, gottesfürchtiger, sittlich gesunden Judentums --- Ich bin voll Unruhe und Aufregung, ich brüte Tag und Nacht über 7 - Vierzehn Tage sind vergangen seit meinem letzten Briefe an dich. Ich Ich bin nicht eine Sekunde von ihrem Bette gewichen und habe sie mit Könnte die Mutter dieses Kindes so empfinden, wie ich, sie würde nie Mein Bruder ist in der letzten Zeit ganz verstört, zerfahren, oft fast Heute traf ich Marie auf dem Friedhof an Eisens Grabe. Sie begrüßte 8 Meine Ahnungen haben sich erfüllt. Die ganze Aktiengesellschaft ist ver¬ Meine Schwägerin hat ihr selbstverständlich sicher gestelltes Vermögen Bilder aus dem Universitätsleben tuas, d. h. des alten, einfachen, gottesfürchtiger, sittlich gesunden Judentums —- Ich bin voll Unruhe und Aufregung, ich brüte Tag und Nacht über 7 - Vierzehn Tage sind vergangen seit meinem letzten Briefe an dich. Ich Ich bin nicht eine Sekunde von ihrem Bette gewichen und habe sie mit Könnte die Mutter dieses Kindes so empfinden, wie ich, sie würde nie Mein Bruder ist in der letzten Zeit ganz verstört, zerfahren, oft fast Heute traf ich Marie auf dem Friedhof an Eisens Grabe. Sie begrüßte 8 Meine Ahnungen haben sich erfüllt. Die ganze Aktiengesellschaft ist ver¬ Meine Schwägerin hat ihr selbstverständlich sicher gestelltes Vermögen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0342" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213456"/> <fw type="header" place="top"> Bilder aus dem Universitätsleben</fw><lb/> <p xml:id="ID_1050" prev="#ID_1049"> tuas, d. h. des alten, einfachen, gottesfürchtiger, sittlich gesunden Judentums —-<lb/> ich glaube, sie ist möglich, sie muß möglich sein!</p><lb/> <p xml:id="ID_1051"> Ich bin voll Unruhe und Aufregung, ich brüte Tag und Nacht über<lb/> diesen Dingen und zermartere mein Gehirn, wie ich selbst dazu wirken, dabei<lb/> helfen kann.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 7</head><lb/> <p xml:id="ID_1052"> - Vierzehn Tage sind vergangen seit meinem letzten Briefe an dich. Ich<lb/> bin ein kranker, an Leib und Seele gebrochner Mensch. Mein kleiner Liebling,<lb/> das liebe, gute, traute Kind ist dahin — ich sehe ihre bittenden großen braunen<lb/> Augen noch immer auf mich gerichtet. Eine Erkaltung nach dem unsinnigen<lb/> Feste und eine Halsentzündung haben das zarte, schwächliche Kind schnell<lb/> dahingerafft.</p><lb/> <p xml:id="ID_1053"> Ich bin nicht eine Sekunde von ihrem Bette gewichen und habe sie mit<lb/> Marie hier oben gepflegt. Nun liegt sie schon draußen unter der Erde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1054"> Könnte die Mutter dieses Kindes so empfinden, wie ich, sie würde nie<lb/> wieder ihres Lebens froh werden, aber, aber —</p><lb/> <p xml:id="ID_1055"> Mein Bruder ist in der letzten Zeit ganz verstört, zerfahren, oft fast<lb/> unzurechnungsfähig. Ich weiß nicht, ob er diesen Schlag so bitter empfindet,<lb/> oder ob er von andern Dingen gehetzt wird. Ich habe ihnen die Wahrheit<lb/> gründlich gesagt, die schwersten Anklagen habe ich der herzlosen Puppe ins<lb/> Gesicht geschleudert. Wir waren schon früher Mariens wegen aneinander¬<lb/> geraten, die unter ihren Launen furchtbar zu leiden hatte. Ich kann in diesem<lb/> Hause nicht länger bleiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1056"> Heute traf ich Marie auf dem Friedhof an Eisens Grabe. Sie begrüßte<lb/> mich in ihrer anmutigen, herzlichen Weise. Wir haben lange mit einander<lb/> geplaudert. Ich habe das Mädchen von der ersten Begegnung an geliebt,<lb/> aber mir fehlte der Mut, es ihr zu gestehen. Nun sagte sie mir heute Lebe¬<lb/> wohl. Da wars mit meiner Beherrschung zu Ende. Ich habe ihr die Hände<lb/> geküßt, ich habe ihr im Rausche meine Liebe gestanden und sie gebeten, mir<lb/> ein Wort, ein einziges Wort, zu sagen. — Wieder eine Demütigung, wie ich<lb/> sie noch nicht kannte: sie habe aufrichtige Achtung und herzliche Teilnahme<lb/> für mich, aber lieben könne sie mich nicht! Ich sah sie nicht mehr an, ich<lb/> fragte nicht nach dem Grunde, und sie ging langsam hinweg. Da stand ich<lb/> denn allein vor dem kleinen Grabhügel.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 8</head><lb/> <p xml:id="ID_1057"> Meine Ahnungen haben sich erfüllt. Die ganze Aktiengesellschaft ist ver¬<lb/> kracht, mein Bruder hat sein Vermögen verloren und wird Mühe haben,<lb/> makellos aus dem Prozeß hervorzugehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_1058" next="#ID_1059"> Meine Schwägerin hat ihr selbstverständlich sicher gestelltes Vermögen<lb/> gerettet und ist sofort zu ihrem Vater, dem Kommerzienrat Lilienthal, gereist</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0342]
Bilder aus dem Universitätsleben
tuas, d. h. des alten, einfachen, gottesfürchtiger, sittlich gesunden Judentums —-
ich glaube, sie ist möglich, sie muß möglich sein!
Ich bin voll Unruhe und Aufregung, ich brüte Tag und Nacht über
diesen Dingen und zermartere mein Gehirn, wie ich selbst dazu wirken, dabei
helfen kann.
7
- Vierzehn Tage sind vergangen seit meinem letzten Briefe an dich. Ich
bin ein kranker, an Leib und Seele gebrochner Mensch. Mein kleiner Liebling,
das liebe, gute, traute Kind ist dahin — ich sehe ihre bittenden großen braunen
Augen noch immer auf mich gerichtet. Eine Erkaltung nach dem unsinnigen
Feste und eine Halsentzündung haben das zarte, schwächliche Kind schnell
dahingerafft.
Ich bin nicht eine Sekunde von ihrem Bette gewichen und habe sie mit
Marie hier oben gepflegt. Nun liegt sie schon draußen unter der Erde.
Könnte die Mutter dieses Kindes so empfinden, wie ich, sie würde nie
wieder ihres Lebens froh werden, aber, aber —
Mein Bruder ist in der letzten Zeit ganz verstört, zerfahren, oft fast
unzurechnungsfähig. Ich weiß nicht, ob er diesen Schlag so bitter empfindet,
oder ob er von andern Dingen gehetzt wird. Ich habe ihnen die Wahrheit
gründlich gesagt, die schwersten Anklagen habe ich der herzlosen Puppe ins
Gesicht geschleudert. Wir waren schon früher Mariens wegen aneinander¬
geraten, die unter ihren Launen furchtbar zu leiden hatte. Ich kann in diesem
Hause nicht länger bleiben.
Heute traf ich Marie auf dem Friedhof an Eisens Grabe. Sie begrüßte
mich in ihrer anmutigen, herzlichen Weise. Wir haben lange mit einander
geplaudert. Ich habe das Mädchen von der ersten Begegnung an geliebt,
aber mir fehlte der Mut, es ihr zu gestehen. Nun sagte sie mir heute Lebe¬
wohl. Da wars mit meiner Beherrschung zu Ende. Ich habe ihr die Hände
geküßt, ich habe ihr im Rausche meine Liebe gestanden und sie gebeten, mir
ein Wort, ein einziges Wort, zu sagen. — Wieder eine Demütigung, wie ich
sie noch nicht kannte: sie habe aufrichtige Achtung und herzliche Teilnahme
für mich, aber lieben könne sie mich nicht! Ich sah sie nicht mehr an, ich
fragte nicht nach dem Grunde, und sie ging langsam hinweg. Da stand ich
denn allein vor dem kleinen Grabhügel.
8
Meine Ahnungen haben sich erfüllt. Die ganze Aktiengesellschaft ist ver¬
kracht, mein Bruder hat sein Vermögen verloren und wird Mühe haben,
makellos aus dem Prozeß hervorzugehn.
Meine Schwägerin hat ihr selbstverständlich sicher gestelltes Vermögen
gerettet und ist sofort zu ihrem Vater, dem Kommerzienrat Lilienthal, gereist
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