Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.konnte auch so viel erzählen, wenn er auf Urlaub kam, und das hörtest du Weshalb ich dich an diese Dinge aus unsrer Quartauerzeit erinnere? 3 Liebster, bester Freund! Tausend Dank für deine Verse ans Giebichen- Soeben komme ich aus dem Kolleg. Marou spricht warm und fesselnd, konnte auch so viel erzählen, wenn er auf Urlaub kam, und das hörtest du Weshalb ich dich an diese Dinge aus unsrer Quartauerzeit erinnere? 3 Liebster, bester Freund! Tausend Dank für deine Verse ans Giebichen- Soeben komme ich aus dem Kolleg. Marou spricht warm und fesselnd, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0335" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213449"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1025" prev="#ID_1024"> konnte auch so viel erzählen, wenn er auf Urlaub kam, und das hörtest du<lb/> gern. Erinnerst du dich noch, wie dann der französische Krieg ausbrach und<lb/> David fort mußte, und wie der alte grobe Oberlehrer Brut mich eines Tags<lb/> vor die Klasse rief und mich küßte, als sich mein Bruder das eiserne Kreuz<lb/> verdient hatte? Das war die größte Wonne, die ich als Junge empfunden<lb/> habe, und ich fühle sie jetzt noch nach, wenn ich daran denke. Und dann warst<lb/> du eines Abends bei uns, und wir arbeiteten zusammen. Die Mutter saß im<lb/> Lehnstuhl neben dein warmen Ofen und las durch ihre große Hornbrille immer<lb/> wieder Davids Briefe, und die Katze schnurrte behaglich dazu, und die Brat¬<lb/> äpfel dufteten aus der Rohre. Da trat plötzlich der Bürgermeister ins Zimmer,<lb/> er sah sehr ernst aus, und wir Jungen guckten ihn groß an. Er gab der<lb/> Mutter die Hand und sagte, er käme heute selbst her, denn er hätte ihr mit¬<lb/> zuteilen, daß David in der Schlacht bei Orleans gefallen und deu Heldentod<lb/> gestorben sei. Meine kleine Mutter stand aufrecht da und hielt sich an dem<lb/> Großvntcrstnhl fest, aber sie weinte nicht, sie sprach kein Wort, und mir wars,<lb/> als ginge ein Zug freudigen Stolzes über ihr Gesicht. Auch ich blieb ruhig,<lb/> als mir der Bürgermeister die Hand reichte; du aber singst bitterlich an zu<lb/> weinen und gingst hinaus. Fritz, das vergesse ich dir nicht, und wenn dir<lb/> mir das größte Herzeleid anthun und — Antisemit werden wolltest.</p><lb/> <p xml:id="ID_1026"> Weshalb ich dich an diese Dinge aus unsrer Quartauerzeit erinnere?<lb/> Ich habe eine Photographie von David in Uniform, die er aus Frankreich<lb/> unsrer Mutter geschickt hatte, und bat neulich meinen Bruder Louis, ein Öl¬<lb/> gemälde darnach anfertigen zu lassen. Aber meine Schwägerin hat dagegen<lb/> Einspruch erhoben. Wenns noch ein Offizier wäre, oder ein Einjährigfrei¬<lb/> williger! aber ein ganz gemeiner Soldat, das sei doch zu komisch, David sähe<lb/> auch zu jüdisch aus. So ists denn unterblieben. O, ich mochte dieses Weib<lb/> ohrfeigen! Ich kann dir nicht sagen, wie ich diese oberflächlichen Genu߬<lb/><note type="bibl"> Dein Siegfried.</note> menschen hasse. </p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 3</head><lb/> <p xml:id="ID_1027"><note type="salute"> Liebster, bester Freund!</note> Tausend Dank für deine Verse ans Giebichen-<lb/> stein. Ich schreibe zum Abend ausführlich, jetzt muß ich ins Kolleg. Ich<lb/> höre ein interessantes Publikum beim Professor Marou über die moderne<lb/> Gesellschaft. Es ist immer brechend voll; ich muß machen, daß ich noch einen<lb/> Platz croisade. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1028" next="#ID_1029"> Soeben komme ich aus dem Kolleg. Marou spricht warm und fesselnd,<lb/> sein Thema ist sehr dankbar. Es ist ein Vergnügen, diesen Mann über die<lb/> gesellschaftliche Bewegung der letzten Jahre reden zu hören. Er teilte Peitschen¬<lb/> hiebe aus, daß es nur so sauste, und daß man wünschte, Stöcker und Genossen<lb/> waren zugegen gewesen und hätte« sich die Prügel selbst geholt. Ich habe<lb/> große Lust, seinen letzten Vortrug zu einem Feuilleton für das Berliner Tage¬<lb/> blatt auszuarbeiten. Die kulturgeschichtlichen Rückblicke, die der Redner gab,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0335]
konnte auch so viel erzählen, wenn er auf Urlaub kam, und das hörtest du
gern. Erinnerst du dich noch, wie dann der französische Krieg ausbrach und
David fort mußte, und wie der alte grobe Oberlehrer Brut mich eines Tags
vor die Klasse rief und mich küßte, als sich mein Bruder das eiserne Kreuz
verdient hatte? Das war die größte Wonne, die ich als Junge empfunden
habe, und ich fühle sie jetzt noch nach, wenn ich daran denke. Und dann warst
du eines Abends bei uns, und wir arbeiteten zusammen. Die Mutter saß im
Lehnstuhl neben dein warmen Ofen und las durch ihre große Hornbrille immer
wieder Davids Briefe, und die Katze schnurrte behaglich dazu, und die Brat¬
äpfel dufteten aus der Rohre. Da trat plötzlich der Bürgermeister ins Zimmer,
er sah sehr ernst aus, und wir Jungen guckten ihn groß an. Er gab der
Mutter die Hand und sagte, er käme heute selbst her, denn er hätte ihr mit¬
zuteilen, daß David in der Schlacht bei Orleans gefallen und deu Heldentod
gestorben sei. Meine kleine Mutter stand aufrecht da und hielt sich an dem
Großvntcrstnhl fest, aber sie weinte nicht, sie sprach kein Wort, und mir wars,
als ginge ein Zug freudigen Stolzes über ihr Gesicht. Auch ich blieb ruhig,
als mir der Bürgermeister die Hand reichte; du aber singst bitterlich an zu
weinen und gingst hinaus. Fritz, das vergesse ich dir nicht, und wenn dir
mir das größte Herzeleid anthun und — Antisemit werden wolltest.
Weshalb ich dich an diese Dinge aus unsrer Quartauerzeit erinnere?
Ich habe eine Photographie von David in Uniform, die er aus Frankreich
unsrer Mutter geschickt hatte, und bat neulich meinen Bruder Louis, ein Öl¬
gemälde darnach anfertigen zu lassen. Aber meine Schwägerin hat dagegen
Einspruch erhoben. Wenns noch ein Offizier wäre, oder ein Einjährigfrei¬
williger! aber ein ganz gemeiner Soldat, das sei doch zu komisch, David sähe
auch zu jüdisch aus. So ists denn unterblieben. O, ich mochte dieses Weib
ohrfeigen! Ich kann dir nicht sagen, wie ich diese oberflächlichen Genu߬
Dein Siegfried. menschen hasse.
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Liebster, bester Freund! Tausend Dank für deine Verse ans Giebichen-
stein. Ich schreibe zum Abend ausführlich, jetzt muß ich ins Kolleg. Ich
höre ein interessantes Publikum beim Professor Marou über die moderne
Gesellschaft. Es ist immer brechend voll; ich muß machen, daß ich noch einen
Platz croisade. —
Soeben komme ich aus dem Kolleg. Marou spricht warm und fesselnd,
sein Thema ist sehr dankbar. Es ist ein Vergnügen, diesen Mann über die
gesellschaftliche Bewegung der letzten Jahre reden zu hören. Er teilte Peitschen¬
hiebe aus, daß es nur so sauste, und daß man wünschte, Stöcker und Genossen
waren zugegen gewesen und hätte« sich die Prügel selbst geholt. Ich habe
große Lust, seinen letzten Vortrug zu einem Feuilleton für das Berliner Tage¬
blatt auszuarbeiten. Die kulturgeschichtlichen Rückblicke, die der Redner gab,
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