Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.Litteratur Schärfe die Parteien. Dazu kommt ein zweites. Unterm 3V. Dezember 188!) Welche Bedeutung gebührt der Religion in den sozialen Kämpfen der Gegen¬ wart? Bon Dr, Egon H ackert, Oberlehrer am Realqymnasium zu Neisse. Neisse, F. Huch, 1892 Die Katholiken entwickeln bekanntlich in ihren nun schon 120 000 Mitglieder Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnvw in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marqunrt in Leipzig Litteratur Schärfe die Parteien. Dazu kommt ein zweites. Unterm 3V. Dezember 188!) Welche Bedeutung gebührt der Religion in den sozialen Kämpfen der Gegen¬ wart? Bon Dr, Egon H ackert, Oberlehrer am Realqymnasium zu Neisse. Neisse, F. Huch, 1892 Die Katholiken entwickeln bekanntlich in ihren nun schon 120 000 Mitglieder Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnvw in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marqunrt in Leipzig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213362"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_730" prev="#ID_729"> Schärfe die Parteien. Dazu kommt ein zweites. Unterm 3V. Dezember 188!)<lb/> schließt Kaiser Wilhelm II. das Glückwunschschreiben zum Jahreswechsel mit den<lb/> Worten: „Ich — bitte Gott, er möge mir in meinem schweren und verantwortungs¬<lb/> vollen Herrscherberufe Ihren treuen und erprobten Rat noch viele Jahre erhalten"'.<lb/> unterm 17. März 1390 steht: „Morgens: der Kaiser läßt den Fürsten Bismarck<lb/> amtlich auffordern, von seinen Ämtern zurückzutreten. Abends: Zweite Aufforderung<lb/> an Fürst Bismarck, seine Ämter niederzulegen." Es ist ein wehmütiges Gefühl,<lb/> mit dem man die letzten Seiten des Werkes liest, und der tieftraurigen Frage, ob<lb/> es denn wirklich so kommen mußte, wird sich auch der nicht entziehen können, der<lb/> bei der Beurteilung der seitdem verfloßnen zwei Jahre Partei gegen Bismarck<lb/> ergreift.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Welche Bedeutung gebührt der Religion in den sozialen Kämpfen der Gegen¬<lb/> wart? Bon Dr, Egon H ackert, Oberlehrer am Realqymnasium zu Neisse. Neisse,<lb/> F. Huch, 1892</head><lb/> <p xml:id="ID_731"> Die Katholiken entwickeln bekanntlich in ihren nun schon 120 000 Mitglieder<lb/> zählenden Arbeitervereinen eine sehr eifrige Thätigkeit. Ans einem im Arbeiter¬<lb/> verein zu Neustadt in Oberschlesien gehaltenen Vortrage ist das oben genannte<lb/> Schriftchen entstanden. Es ist frei von konfessioneller Befangenheit wie von sal¬<lb/> bungsvollein Schwulst und enthält eine Reihe nützlicher Ratschläge, die zwar nicht<lb/> neu sind, aber vom Verfasser recht hübsch zusammengestellt und vorgetragen werden.<lb/> Komisch wirkt es, wenn Huckert sagt: „Wenn wirklich noch jemand so naiv sein<lb/> sollte, um (!) zu glauben, daß die sozialdemokratische Bewegung nichts weiter sei,<lb/> als ein künstliches Produkt einzelner Hetzer und Fanatiker, der wird sich vielleicht<lb/> belehren lassen dnrch die Encyklika des Papstes Leo des Dreizehnter und die<lb/> Kundgebungen des Kaisers Wilhelm des Zweiten, welche die schweren Schäden in<lb/> unsern heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen durchaus anerkennen." In Neustadt<lb/> wird nämlich viel Schuhwerk für die Jahrmärkte angefertigt, und die zahlreichen,<lb/> zum Teil verheirateten Schustergesellen führen, wie uns ein wohlhabender Schuh-<lb/> machermeister in einer Neustadt benachbarten Stadt sagte, ein elendes Sklaven¬<lb/> leben. Von diesen armen Schustern waren doch gewiß ein Paar Hundert in der<lb/> betreffenden Vereinsversammlung anwesend, und da finden wir es denn komisch,<lb/> wenn der Redner seine Zuhörer, um sie vom sozialen Elend zu überzeugen, ins<lb/> königliche Schloß zu Berlin oder gar nach Rom schickt; was weiß denn der Mann<lb/> im Vatikan vom Volk und seinem Elend?</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnvw in Leipzig<lb/> Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marqunrt in Leipzig</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0248]
Litteratur
Schärfe die Parteien. Dazu kommt ein zweites. Unterm 3V. Dezember 188!)
schließt Kaiser Wilhelm II. das Glückwunschschreiben zum Jahreswechsel mit den
Worten: „Ich — bitte Gott, er möge mir in meinem schweren und verantwortungs¬
vollen Herrscherberufe Ihren treuen und erprobten Rat noch viele Jahre erhalten"'.
unterm 17. März 1390 steht: „Morgens: der Kaiser läßt den Fürsten Bismarck
amtlich auffordern, von seinen Ämtern zurückzutreten. Abends: Zweite Aufforderung
an Fürst Bismarck, seine Ämter niederzulegen." Es ist ein wehmütiges Gefühl,
mit dem man die letzten Seiten des Werkes liest, und der tieftraurigen Frage, ob
es denn wirklich so kommen mußte, wird sich auch der nicht entziehen können, der
bei der Beurteilung der seitdem verfloßnen zwei Jahre Partei gegen Bismarck
ergreift.
Welche Bedeutung gebührt der Religion in den sozialen Kämpfen der Gegen¬
wart? Bon Dr, Egon H ackert, Oberlehrer am Realqymnasium zu Neisse. Neisse,
F. Huch, 1892
Die Katholiken entwickeln bekanntlich in ihren nun schon 120 000 Mitglieder
zählenden Arbeitervereinen eine sehr eifrige Thätigkeit. Ans einem im Arbeiter¬
verein zu Neustadt in Oberschlesien gehaltenen Vortrage ist das oben genannte
Schriftchen entstanden. Es ist frei von konfessioneller Befangenheit wie von sal¬
bungsvollein Schwulst und enthält eine Reihe nützlicher Ratschläge, die zwar nicht
neu sind, aber vom Verfasser recht hübsch zusammengestellt und vorgetragen werden.
Komisch wirkt es, wenn Huckert sagt: „Wenn wirklich noch jemand so naiv sein
sollte, um (!) zu glauben, daß die sozialdemokratische Bewegung nichts weiter sei,
als ein künstliches Produkt einzelner Hetzer und Fanatiker, der wird sich vielleicht
belehren lassen dnrch die Encyklika des Papstes Leo des Dreizehnter und die
Kundgebungen des Kaisers Wilhelm des Zweiten, welche die schweren Schäden in
unsern heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen durchaus anerkennen." In Neustadt
wird nämlich viel Schuhwerk für die Jahrmärkte angefertigt, und die zahlreichen,
zum Teil verheirateten Schustergesellen führen, wie uns ein wohlhabender Schuh-
machermeister in einer Neustadt benachbarten Stadt sagte, ein elendes Sklaven¬
leben. Von diesen armen Schustern waren doch gewiß ein Paar Hundert in der
betreffenden Vereinsversammlung anwesend, und da finden wir es denn komisch,
wenn der Redner seine Zuhörer, um sie vom sozialen Elend zu überzeugen, ins
königliche Schloß zu Berlin oder gar nach Rom schickt; was weiß denn der Mann
im Vatikan vom Volk und seinem Elend?
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grnnvw in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marqunrt in Leipzig
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