Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches weis auf das Schweizer Referendum, um dessen Einführung sich der Verstorbne Amerikanische Philosophie. Unter dieser Überschrift haben wir in Heft l Maßgebliches und Unmaßgebliches weis auf das Schweizer Referendum, um dessen Einführung sich der Verstorbne Amerikanische Philosophie. Unter dieser Überschrift haben wir in Heft l <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0574" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213050"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1902" prev="#ID_1901"> weis auf das Schweizer Referendum, um dessen Einführung sich der Verstorbne<lb/> Verdienste erworben habe, wurde uns das Büchlein übersandt. Wir erwarteten<lb/> daher nähere Aufschlüsse über diese Einrichtung zu finden, die sich als durchführbar<lb/> und uicht unnützlich erwiesen hat, und Ratschläge, wie sie auch anderwärts, etwa<lb/> bei uns in Deutschland, als Vorbeugungsmittel gegen parlamentarische Mißgriffe<lb/> verwendet werden könnten. In dieser Erwartung sehen wir uns jedoch getäuscht,<lb/> und das, was das Buch hauptsächlich enthält, die breiten Auseinandersetzungen<lb/> zwischen Riltinghausen und den französischen Schwarmgeistern von 1850, hat kein<lb/> Interesse für den praktischen Politiker von heute. Die Untersuchung darüber, wie<lb/> zu verfahren wäre, wenn das in Tausendschaften abgeteilte Volk — nicht etwa<lb/> vorgeschlagne Gesetze annehmen oder ablehnen, sondern jedes Gesetz wirklich<lb/> Satz für Satz machen sollte, kommt entweder vierzig Jahre zu spät oder vierzig<lb/> Jahrhunderte zu früh. Das Buch hat also uur für spekulirende Theoretiker Wert<lb/> und als Beitrag zur Geschichte der französischen Demokratie vor dem Staatsstreich.<lb/> An hübschen und glücklichen Gedanken kann es ja natürlich in dem Buche eiues<lb/> geistig bedeutenden Mannes nicht fehlen, und etwaige konservative Leser werden<lb/> sich freun, zu finden, das alles Uhle, was sie dem Parlamentarismus nachzusagen<lb/> pflege», ihm schon vor vierzig Jahren von einem radikalen Sozialisten nachgesagt<lb/> worden ist.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Amerikanische Philosophie.</head> <p xml:id="ID_1903" next="#ID_1904"> Unter dieser Überschrift haben wir in Heft l<lb/> des Jahrgangs 1891 ein Buch des Deutschamerikaners Dr. Paul Carus: VmrÄa-<lb/> mcmral I'roblsnrs besprochen. Der Verfasser bedauert in einem freundlichen<lb/> Schreiben an dieser Besprechung „nnr zweierlei." Erstens, daß wir ihn in einigen<lb/> Punkten mißverstanden hätten. Aus der Aufzählung dieser Punkte sehn wir jedoch<lb/> zu unserm Vergnügen, daß wir ihn in der Hauptsache richtig verstanden haben<lb/> müssen. Er führt nämlich nnr drei solche Punkte an. In zweien von unter¬<lb/> geordneter Bedeutung, mit deren Angabe wir die Leser nicht belästigen wollen,<lb/> „scheint es ihm" nur so, als hätten wir ihn mißverstanden, und in dem dritten,<lb/> der von größerer Bedeutung ist, hat er selbst offenbar uns mißverstanden; er<lb/> wehrt sich nämlich gegen den Vorwurf des Materialismus, den gegen ihn zu er¬<lb/> hebe» uus gar uicht eingefallen ist. Zum andern bedauert er, daß wir „eine philo¬<lb/> sophische Schrift vom theologischen Standpunkte beurteilen." Das ist sehr heiter.<lb/> Haben wir doch keine andern als logische, naturwissenschaftliche und der Erfahrung<lb/> entnommene Gründe gegen ihn ins Treffen geführt und uns weder auf die Bibel<lb/> noch auf die Kirche berufen. Aber freilich, wir haben uns zum Glanben an den<lb/> persönlichen Gott und an die Unsterblichkeit bekannt, und wer das thut, mag er<lb/> auch auf streng philosophischem Wege dazu gelangen, der ist ein „Theologe," heiße<lb/> er mich Plato oder Aristoteles, Newton oder Leibniz, Voltaire oder Kant. „Was<lb/> übrigens — schreibt der Herr an die Redaktion — die persönliche Unsterblichkeit<lb/> und die Idee eines persönlichen Gottes angeht, so werde ich dieselben gern an¬<lb/> nehmen, falls mir Ihr Referent die bloße Möglichkeit derselben nachweisen kann."<lb/> Der „Referent" ist aber nicht im mindesten bekehrnngssüchtig; und außerdem wäre<lb/> es eine Unverschämtheit, wenn er die Möglichkeit nachweisen wollte, nachdem Ari¬<lb/> stoteles und Kant die Notwendigkeit nachgewiesen haben. Ein Glück ist es noch,<lb/> daß Dr. Cnrus das deutsche Vaterland nicht will entgelten lassen, was die Grenz-<lb/> boten an ihm verbrochen haben. Ein Postskrivtum lautet: „Daß Deutschland nicht<lb/> gar so rückschrittlich ist, ersehe ich ans der neuen Auflage Von Meyers Konver¬<lb/> sationslexikon, welches sub voos »Theologische Litteratur« meiner Schrift sehr an-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0574]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
weis auf das Schweizer Referendum, um dessen Einführung sich der Verstorbne
Verdienste erworben habe, wurde uns das Büchlein übersandt. Wir erwarteten
daher nähere Aufschlüsse über diese Einrichtung zu finden, die sich als durchführbar
und uicht unnützlich erwiesen hat, und Ratschläge, wie sie auch anderwärts, etwa
bei uns in Deutschland, als Vorbeugungsmittel gegen parlamentarische Mißgriffe
verwendet werden könnten. In dieser Erwartung sehen wir uns jedoch getäuscht,
und das, was das Buch hauptsächlich enthält, die breiten Auseinandersetzungen
zwischen Riltinghausen und den französischen Schwarmgeistern von 1850, hat kein
Interesse für den praktischen Politiker von heute. Die Untersuchung darüber, wie
zu verfahren wäre, wenn das in Tausendschaften abgeteilte Volk — nicht etwa
vorgeschlagne Gesetze annehmen oder ablehnen, sondern jedes Gesetz wirklich
Satz für Satz machen sollte, kommt entweder vierzig Jahre zu spät oder vierzig
Jahrhunderte zu früh. Das Buch hat also uur für spekulirende Theoretiker Wert
und als Beitrag zur Geschichte der französischen Demokratie vor dem Staatsstreich.
An hübschen und glücklichen Gedanken kann es ja natürlich in dem Buche eiues
geistig bedeutenden Mannes nicht fehlen, und etwaige konservative Leser werden
sich freun, zu finden, das alles Uhle, was sie dem Parlamentarismus nachzusagen
pflege», ihm schon vor vierzig Jahren von einem radikalen Sozialisten nachgesagt
worden ist.
Amerikanische Philosophie. Unter dieser Überschrift haben wir in Heft l
des Jahrgangs 1891 ein Buch des Deutschamerikaners Dr. Paul Carus: VmrÄa-
mcmral I'roblsnrs besprochen. Der Verfasser bedauert in einem freundlichen
Schreiben an dieser Besprechung „nnr zweierlei." Erstens, daß wir ihn in einigen
Punkten mißverstanden hätten. Aus der Aufzählung dieser Punkte sehn wir jedoch
zu unserm Vergnügen, daß wir ihn in der Hauptsache richtig verstanden haben
müssen. Er führt nämlich nnr drei solche Punkte an. In zweien von unter¬
geordneter Bedeutung, mit deren Angabe wir die Leser nicht belästigen wollen,
„scheint es ihm" nur so, als hätten wir ihn mißverstanden, und in dem dritten,
der von größerer Bedeutung ist, hat er selbst offenbar uns mißverstanden; er
wehrt sich nämlich gegen den Vorwurf des Materialismus, den gegen ihn zu er¬
hebe» uus gar uicht eingefallen ist. Zum andern bedauert er, daß wir „eine philo¬
sophische Schrift vom theologischen Standpunkte beurteilen." Das ist sehr heiter.
Haben wir doch keine andern als logische, naturwissenschaftliche und der Erfahrung
entnommene Gründe gegen ihn ins Treffen geführt und uns weder auf die Bibel
noch auf die Kirche berufen. Aber freilich, wir haben uns zum Glanben an den
persönlichen Gott und an die Unsterblichkeit bekannt, und wer das thut, mag er
auch auf streng philosophischem Wege dazu gelangen, der ist ein „Theologe," heiße
er mich Plato oder Aristoteles, Newton oder Leibniz, Voltaire oder Kant. „Was
übrigens — schreibt der Herr an die Redaktion — die persönliche Unsterblichkeit
und die Idee eines persönlichen Gottes angeht, so werde ich dieselben gern an¬
nehmen, falls mir Ihr Referent die bloße Möglichkeit derselben nachweisen kann."
Der „Referent" ist aber nicht im mindesten bekehrnngssüchtig; und außerdem wäre
es eine Unverschämtheit, wenn er die Möglichkeit nachweisen wollte, nachdem Ari¬
stoteles und Kant die Notwendigkeit nachgewiesen haben. Ein Glück ist es noch,
daß Dr. Cnrus das deutsche Vaterland nicht will entgelten lassen, was die Grenz-
boten an ihm verbrochen haben. Ein Postskrivtum lautet: „Daß Deutschland nicht
gar so rückschrittlich ist, ersehe ich ans der neuen Auflage Von Meyers Konver¬
sationslexikon, welches sub voos »Theologische Litteratur« meiner Schrift sehr an-
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