Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Darf man es so weiter gehn lassen? Beweisen solche Vorgänge nicht, daß in der Sogar die Kreuzzeitung sieht sich in einer Polemik gegen den Scharnhorstschen Von einer Dame, die Feuilletons schreibt, wird niemand volkswirtschaftliche Senchenmobilmachung. Das nationale Unglück, das uns in Gestalt der Die Schätzung aller Verluste, die das Auftreten der Cholera in Hamburg Maßgebliches und Unmaßgebliches Darf man es so weiter gehn lassen? Beweisen solche Vorgänge nicht, daß in der Sogar die Kreuzzeitung sieht sich in einer Polemik gegen den Scharnhorstschen Von einer Dame, die Feuilletons schreibt, wird niemand volkswirtschaftliche Senchenmobilmachung. Das nationale Unglück, das uns in Gestalt der Die Schätzung aller Verluste, die das Auftreten der Cholera in Hamburg <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0533" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213009"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1780" prev="#ID_1779"> Darf man es so weiter gehn lassen? Beweisen solche Vorgänge nicht, daß in der<lb/> Gütererzeugung und Güterverteilung ein Fehler steckt, der beseitigt werden kann<lb/> und muß? — dann schreien alle staatserhaltenden: Schlagt ihn tot! Er ist ein<lb/> Revolutionär, er ist ein Sozialdemokrat!</p><lb/> <p xml:id="ID_1781"> Sogar die Kreuzzeitung sieht sich in einer Polemik gegen den Scharnhorstschen<lb/> Gedanken gezwungen, ans die leibliche Verkümmerung des Volks hinzuweisen:<lb/> „Man sehe die Linienbataillvne mit Ersatz aus armen und namentlich Jndustrie-<lb/> gegendcn an, man beobachte den schwerbepackten, wenig entwickelten Jnfanteristen<lb/> aus solchem Ersatzbezirke in seinem ersten Dienstjahre, und man wird bemerken,<lb/> daß die Anforderungen an Körpergröße und Körperstärke erheblich heruntergegangen<lb/> sind." Das also wissen die militärischen Mitarbeiter der Kreuzzeitung und sind<lb/> sich immer noch nicht klar darüber, wie unwichtig alle militärischen Streitfragen<lb/> zusammengenommen sind im Vergleich mit der einen Hauptfrage: Werden wir nach<lb/> fünfzig Jahren überhaupt noch 500 000 kriegstüchtige Männer im Reiche haben?</p><lb/> <p xml:id="ID_1782"> Von einer Dame, die Feuilletons schreibt, wird niemand volkswirtschaftliche<lb/> Kenntnisse verlangen. Wir finden es daher ganz natürlich, daß Luise Rebentisch,<lb/> die in deutschen Zeitungen das englische Irig'it-Ms schildert, sich immer und immer<lb/> wieder wundert über die „Armutsklagen, die das Land durchziehen," während doch<lb/> der Luxus täglich toller werde. Sie kann es ja nicht wissen, daß die lawinen¬<lb/> artig anschwellenden großen Vermögen ihren Zuwachs ans vernichteten kleinen<lb/> ziehen, daß der moderne „Natioualreichtnm" das Volkselend zur Voraussetzung<lb/> hat, daß auch dieser „Nativnalreichtum" allmählich zusammenschmilzt, und daß eben,<lb/> weil beim Stocken des Masseukousums und infolge der Verwandlung aller Agrnr-<lb/> staaten in Industriestaaten die Kapitalanlage täglich schwieriger wird, die Reichen<lb/> sich mehr und mehr veranlaßt sehn, ihr ganzes Einkommen zu verprassen, von dein<lb/> sie früher einen Teil rentabel anzulegen pflegten. Das alles kann die Dame nicht<lb/> wissen; aber die Redaktionen könnten, sollten es wissen und eine Anmerkung dazu<lb/> machen. Sie werden sich hüten, es zu thun! Der Herr Verleger würde solche<lb/> Redakteure schön auf die Finger klopfen, die ihm seine besten Kunden verjagten.<lb/> Denn der zeituuglesende Philister will unterhalten, aber nicht belehrt und vor<lb/> allem nicht erschreckt werden. Taucht einmal in einer Stunde des Nachdenkens<lb/> das unerfreuliche Bild der volkswirtschaftlichen Wahrheit vor seinen Augen auf,<lb/> dann verscheucht er es mit seinem lieben Sprüchlein: Lxrvs nous 1o cküluAs, Daß<lb/> sich auch seine Kinder unter denen befinden werden, über die die große Flut oder<lb/> der große Krach hereinbricht, verursacht dein in den Gewohnheiten seines kom¬<lb/> fortabel» Lebens stumpfsinnig gewordnen Weltmanne von heute keinen Kummer mehr.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Senchenmobilmachung.</head> <p xml:id="ID_1783"> Das nationale Unglück, das uns in Gestalt der<lb/> Cholerasenche heimgesucht hat, beschäftigt in diesem Augenblick Hand und Geist vou<lb/> Beamten und Nichtbenmten in den bereits zahlreich betroffnen oder bedrohten Orten<lb/> des Reichs. Für diesesmal werden die bestehenden Einrichtungen und Gesetze die<lb/> Form der Abwehr bestimmen müssen — nach Ausbruch des Krieges schafft man<lb/> keine neue Wehrordnung; uur wenn sich die bestehenden Dämme der Seuche gegen¬<lb/> über völlig unzureichend erweisen sollten, könnte der folgende Gedanke vielleicht<lb/> schon diesmal zur Grundlage einzelner Maßregeln werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1784" next="#ID_1785"> Die Schätzung aller Verluste, die das Auftreten der Cholera in Hamburg<lb/> ^ durch die Geschäftsstockung, die Abweisung der Hamburger Schiffe und so vieles<lb/> andre — bis jetzt schon angerichtet hat, ist eine unübersehbare Aufgabe; die An¬<lb/> nahme eines Verlustes vou mehreren Millionen wird gewiß eine sehr bescheidne</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0533]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Darf man es so weiter gehn lassen? Beweisen solche Vorgänge nicht, daß in der
Gütererzeugung und Güterverteilung ein Fehler steckt, der beseitigt werden kann
und muß? — dann schreien alle staatserhaltenden: Schlagt ihn tot! Er ist ein
Revolutionär, er ist ein Sozialdemokrat!
Sogar die Kreuzzeitung sieht sich in einer Polemik gegen den Scharnhorstschen
Gedanken gezwungen, ans die leibliche Verkümmerung des Volks hinzuweisen:
„Man sehe die Linienbataillvne mit Ersatz aus armen und namentlich Jndustrie-
gegendcn an, man beobachte den schwerbepackten, wenig entwickelten Jnfanteristen
aus solchem Ersatzbezirke in seinem ersten Dienstjahre, und man wird bemerken,
daß die Anforderungen an Körpergröße und Körperstärke erheblich heruntergegangen
sind." Das also wissen die militärischen Mitarbeiter der Kreuzzeitung und sind
sich immer noch nicht klar darüber, wie unwichtig alle militärischen Streitfragen
zusammengenommen sind im Vergleich mit der einen Hauptfrage: Werden wir nach
fünfzig Jahren überhaupt noch 500 000 kriegstüchtige Männer im Reiche haben?
Von einer Dame, die Feuilletons schreibt, wird niemand volkswirtschaftliche
Kenntnisse verlangen. Wir finden es daher ganz natürlich, daß Luise Rebentisch,
die in deutschen Zeitungen das englische Irig'it-Ms schildert, sich immer und immer
wieder wundert über die „Armutsklagen, die das Land durchziehen," während doch
der Luxus täglich toller werde. Sie kann es ja nicht wissen, daß die lawinen¬
artig anschwellenden großen Vermögen ihren Zuwachs ans vernichteten kleinen
ziehen, daß der moderne „Natioualreichtnm" das Volkselend zur Voraussetzung
hat, daß auch dieser „Nativnalreichtum" allmählich zusammenschmilzt, und daß eben,
weil beim Stocken des Masseukousums und infolge der Verwandlung aller Agrnr-
staaten in Industriestaaten die Kapitalanlage täglich schwieriger wird, die Reichen
sich mehr und mehr veranlaßt sehn, ihr ganzes Einkommen zu verprassen, von dein
sie früher einen Teil rentabel anzulegen pflegten. Das alles kann die Dame nicht
wissen; aber die Redaktionen könnten, sollten es wissen und eine Anmerkung dazu
machen. Sie werden sich hüten, es zu thun! Der Herr Verleger würde solche
Redakteure schön auf die Finger klopfen, die ihm seine besten Kunden verjagten.
Denn der zeituuglesende Philister will unterhalten, aber nicht belehrt und vor
allem nicht erschreckt werden. Taucht einmal in einer Stunde des Nachdenkens
das unerfreuliche Bild der volkswirtschaftlichen Wahrheit vor seinen Augen auf,
dann verscheucht er es mit seinem lieben Sprüchlein: Lxrvs nous 1o cküluAs, Daß
sich auch seine Kinder unter denen befinden werden, über die die große Flut oder
der große Krach hereinbricht, verursacht dein in den Gewohnheiten seines kom¬
fortabel» Lebens stumpfsinnig gewordnen Weltmanne von heute keinen Kummer mehr.
Senchenmobilmachung. Das nationale Unglück, das uns in Gestalt der
Cholerasenche heimgesucht hat, beschäftigt in diesem Augenblick Hand und Geist vou
Beamten und Nichtbenmten in den bereits zahlreich betroffnen oder bedrohten Orten
des Reichs. Für diesesmal werden die bestehenden Einrichtungen und Gesetze die
Form der Abwehr bestimmen müssen — nach Ausbruch des Krieges schafft man
keine neue Wehrordnung; uur wenn sich die bestehenden Dämme der Seuche gegen¬
über völlig unzureichend erweisen sollten, könnte der folgende Gedanke vielleicht
schon diesmal zur Grundlage einzelner Maßregeln werden.
Die Schätzung aller Verluste, die das Auftreten der Cholera in Hamburg
^ durch die Geschäftsstockung, die Abweisung der Hamburger Schiffe und so vieles
andre — bis jetzt schon angerichtet hat, ist eine unübersehbare Aufgabe; die An¬
nahme eines Verlustes vou mehreren Millionen wird gewiß eine sehr bescheidne
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