Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Auf jeden Fall ist es aber von Herrn Ferdinand Wolf undankbar, den Namen des Mit Blindheit geschlagen. Die Berliner Politischen Nachrichten nennen Ein andres Bild! Das selbstverständlich konservative Flöhaer Amtsblatt Maßgebliches und Unmaßgebliches Auf jeden Fall ist es aber von Herrn Ferdinand Wolf undankbar, den Namen des Mit Blindheit geschlagen. Die Berliner Politischen Nachrichten nennen Ein andres Bild! Das selbstverständlich konservative Flöhaer Amtsblatt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0532" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213008"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1777" prev="#ID_1776"> Auf jeden Fall ist es aber von Herrn Ferdinand Wolf undankbar, den Namen des<lb/> ehrwürdigen Rabbi zu verschweigen, dem er seine ausgezeichnete Methode der<lb/> Untersuchung verdankt.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Mit Blindheit geschlagen.</head> <p xml:id="ID_1778"> Die Berliner Politischen Nachrichten nennen<lb/> es eine „eigentümliche Erscheinung," daß im ersten Drittel des laufenden Etats¬<lb/> jahrs die Erträge aller Verbrauchssteuern zurückgegangen seien, mit alleiniger Aus¬<lb/> nahme der Bransteuer, die eine verschwindende (also Wohl der Bevölkerungszunahme<lb/> nicht entsprechende) Besserung zeige. Und alle Zeitungen drucken die „eigentümliche<lb/> Erscheinung" uach und wissen nichts darüber zu sagen, als daß sie eigentümlich,<lb/> höchst eigentümlich sei. So geschehen, etwa dreißig Jahre nachdem Rodbertus be¬<lb/> wiesen hat, daß und warum diese und ähnliche Erscheinungen allerdings unsrer<lb/> heutigen Produktionsweise eigentümlich, innerlich anhaftend, notwendig und, so lange<lb/> sie dauert, unabwendbar sind, sodaß, wenn die Gesellschaft sich nicht zu einer<lb/> Änderung der Produktionsweise entschließt, die Produktion über kurz oder laug<lb/> ganz aufhören muß! Und so geschehen, nachdem tüchtige Geister aller Nationen<lb/> in Menge den ungemein einfachen von Rodbertus aufgedeckten Sachverhalt in Hun¬<lb/> derten von Broschüren, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln dem lieben Publikum<lb/> erklärt und mundgerecht gemacht haben! Und die Konservativen fahren fort zu<lb/> predigen, daß all Ding gut werden werde, wenn man nur das Gezücht der Sozinl-<lb/> dcmokraten ausrotte, dein Gesinde die Freizügigkeit entziehe und dafür reichliche<lb/> Prügel verabreiche, vor allem aber durch hohe Einfuhrzölle die Getreide- und Vieh¬<lb/> preise recht hoch hinaustreibe. Und die Liberalen fahren fort zu trösten: Nur<lb/> Geduld! wenn mau uur alles laufen läßt, wie es selber laufen will, und namentlich<lb/> der Spekulation keine Fesseln anlegt, dann wird ,,es" schon von selbst wieder<lb/> besser werden; denn so eine „Krise" geht eben, wie sie gekommen ist, von selber<lb/> wieder. Denn natürlich kommt solches vorübergehende Elend nur vou einer „De¬<lb/> pression," wie ja auch uach der Versicherung unsrer heutigen Wettergelehrteil das<lb/> gute oder schlechte Wetter von einem barometrischen Maximum oder Minimum<lb/> kommt, während wir Laien uns früher immer eingebildet hatte», das Barometer<lb/> stehe hoch oder niedrig, weil die Luft trocken oder naß sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_1779" next="#ID_1780"> Ein andres Bild! Das selbstverständlich konservative Flöhaer Amtsblatt<lb/> beschreibt die Lage der mit der Anfertigung von Spielwaren beschäftigten Haus-<lb/> indnstriellcn in einigen Gegenden des Erzgebirges. Es heißt da u. a.: „Nur<lb/> die Grenzzollerleichterungen auf Brot und Mehl ermöglichen es den Familien,<lb/> Sonntags wenigstens Brot zu essen.... Ja früher, vor zwanzig und dreißig<lb/> Jahren, da war es anders; dn atmete alles Wohlstand, Freude und Fröhlichkeit;<lb/> dn standen die Spielwaren über noch einmal so hoch im Werte jsoll heißen, im<lb/> Preises und die Holzpreise waren noch einmal so billig. Damals konnten fleißige<lb/> Familien bis zu fünfzig Thalern Wert in Waren fabriziren, an denen sie bis dreißig<lb/> Thaler Verdienst hatten, und jetzt verdient eine ganze Familie in der Woche oft<lb/> nur vier bis sechs Mark, höchstens einmal fünfzehn bis siebzehn Mark." Also das<lb/> ist das Ergebnis des Kulturfortschritts im Zeitalter der sieghaften Technik, des<lb/> christlichen Staates und der amtlichen Sozialpolitik, und zwar in dem deutschen<lb/> Staate, der sich der „blühendsten" Industrie, des größten Reichtums und des voll¬<lb/> kommensten Schulwesens erfreut, daß fleißige Familien in Masse dem Elend ver¬<lb/> fallen, und daß ihr Arbeitsverdienst binnen dreißig Jahren von durchschnittlich —<lb/> sagen wir vierzig Mark auf zehn Mark zurückgeht! Und wenn jemand die Frage<lb/> aufwirft: Ist das wirklich Fortschritt? Ist das vernünftig? Kann es so weiter gehn?</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0532]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Auf jeden Fall ist es aber von Herrn Ferdinand Wolf undankbar, den Namen des
ehrwürdigen Rabbi zu verschweigen, dem er seine ausgezeichnete Methode der
Untersuchung verdankt.
Mit Blindheit geschlagen. Die Berliner Politischen Nachrichten nennen
es eine „eigentümliche Erscheinung," daß im ersten Drittel des laufenden Etats¬
jahrs die Erträge aller Verbrauchssteuern zurückgegangen seien, mit alleiniger Aus¬
nahme der Bransteuer, die eine verschwindende (also Wohl der Bevölkerungszunahme
nicht entsprechende) Besserung zeige. Und alle Zeitungen drucken die „eigentümliche
Erscheinung" uach und wissen nichts darüber zu sagen, als daß sie eigentümlich,
höchst eigentümlich sei. So geschehen, etwa dreißig Jahre nachdem Rodbertus be¬
wiesen hat, daß und warum diese und ähnliche Erscheinungen allerdings unsrer
heutigen Produktionsweise eigentümlich, innerlich anhaftend, notwendig und, so lange
sie dauert, unabwendbar sind, sodaß, wenn die Gesellschaft sich nicht zu einer
Änderung der Produktionsweise entschließt, die Produktion über kurz oder laug
ganz aufhören muß! Und so geschehen, nachdem tüchtige Geister aller Nationen
in Menge den ungemein einfachen von Rodbertus aufgedeckten Sachverhalt in Hun¬
derten von Broschüren, Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln dem lieben Publikum
erklärt und mundgerecht gemacht haben! Und die Konservativen fahren fort zu
predigen, daß all Ding gut werden werde, wenn man nur das Gezücht der Sozinl-
dcmokraten ausrotte, dein Gesinde die Freizügigkeit entziehe und dafür reichliche
Prügel verabreiche, vor allem aber durch hohe Einfuhrzölle die Getreide- und Vieh¬
preise recht hoch hinaustreibe. Und die Liberalen fahren fort zu trösten: Nur
Geduld! wenn mau uur alles laufen läßt, wie es selber laufen will, und namentlich
der Spekulation keine Fesseln anlegt, dann wird ,,es" schon von selbst wieder
besser werden; denn so eine „Krise" geht eben, wie sie gekommen ist, von selber
wieder. Denn natürlich kommt solches vorübergehende Elend nur vou einer „De¬
pression," wie ja auch uach der Versicherung unsrer heutigen Wettergelehrteil das
gute oder schlechte Wetter von einem barometrischen Maximum oder Minimum
kommt, während wir Laien uns früher immer eingebildet hatte», das Barometer
stehe hoch oder niedrig, weil die Luft trocken oder naß sei.
Ein andres Bild! Das selbstverständlich konservative Flöhaer Amtsblatt
beschreibt die Lage der mit der Anfertigung von Spielwaren beschäftigten Haus-
indnstriellcn in einigen Gegenden des Erzgebirges. Es heißt da u. a.: „Nur
die Grenzzollerleichterungen auf Brot und Mehl ermöglichen es den Familien,
Sonntags wenigstens Brot zu essen.... Ja früher, vor zwanzig und dreißig
Jahren, da war es anders; dn atmete alles Wohlstand, Freude und Fröhlichkeit;
dn standen die Spielwaren über noch einmal so hoch im Werte jsoll heißen, im
Preises und die Holzpreise waren noch einmal so billig. Damals konnten fleißige
Familien bis zu fünfzig Thalern Wert in Waren fabriziren, an denen sie bis dreißig
Thaler Verdienst hatten, und jetzt verdient eine ganze Familie in der Woche oft
nur vier bis sechs Mark, höchstens einmal fünfzehn bis siebzehn Mark." Also das
ist das Ergebnis des Kulturfortschritts im Zeitalter der sieghaften Technik, des
christlichen Staates und der amtlichen Sozialpolitik, und zwar in dem deutschen
Staate, der sich der „blühendsten" Industrie, des größten Reichtums und des voll¬
kommensten Schulwesens erfreut, daß fleißige Familien in Masse dem Elend ver¬
fallen, und daß ihr Arbeitsverdienst binnen dreißig Jahren von durchschnittlich —
sagen wir vierzig Mark auf zehn Mark zurückgeht! Und wenn jemand die Frage
aufwirft: Ist das wirklich Fortschritt? Ist das vernünftig? Kann es so weiter gehn?
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