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Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr.

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Die Ratlosigkeit der ^ozialdemokratie

cum sich nur die rechten Männer fänden, so ließe sich jetzt wohl
etwas machen. Die deutschen Sozialdemokraten sind offenbar
mit ihrem Latein zu Ende. Im ersten Abschnitt ihres Daseins
lag der sozialdemokratischen Partei die Aufgabe ob, den sozia¬
listischen Gedanken im Arbeiterstande zu verbreite" und diesen
Stand zu organisiren. Den sozialistischen Gedanken an sich hat die Wissen¬
schaft längst als berechtigt anerkannt, ist er doch die unentbehrliche Ergänzung
des individualistischen Kapitalismus. In seiner "Quintessenz des Sozialismus"
hat Schaffte schon vor siebzehn Jahren nachgewiesen, "daß die sozialistische
Hauptidee öffentlicher Grundorganisation der Güterhervorbringung und des
Güterumsatzes auch eine nicht radikale, nicht demokratische, nicht die ganze
Volkswirtschaft verschlingende Ausgestaltung zuläßt. Dieser Sozialismus"
-- sagt er im Vorwort zu der eben erschienenen dreizehnten Auflage des ge¬
nannten Schriftchens -- "ist längst da und breitet sich zusehends aus. Je mehr
die private kapitalistische Organisation der Volkswirtschaft sich vom Standpunkte
der Gesellschaft aus als leistungsunfühig erweist, je mehr sie auf der Spitze
ihrer Entwicklung in Großmonopole auslaufend die Garantien der Konkur¬
renz für die Gesamtheit einbüßt und abwirft, desto mehr mag dieser praktische
Sozialismus an äußerer Verbreitung und innerer Durchbildung gewinnen.
Meines Dafürhaltens ist eine noch stärkere Hinüberbildung der Volkswirtschaft
der Zukunft aus der kapitalistischen Organisation in die Formen des Vereins¬
wesens (Konsumvereine) und in die Formen des öffentlichen Rechtes (Körper¬
schafts-, Gemeinde- und Staatsanstalten) eine Eventualität, der der Staats¬
mann mit der größten Ruhe entgegensehen kann, sofern nur bei dieser teilweisen
und schrittweisen Umbildung die Erreichung höchster Wirtschaftlichkeit und die


Grenzboten III 1891 7?


Die Ratlosigkeit der ^ozialdemokratie

cum sich nur die rechten Männer fänden, so ließe sich jetzt wohl
etwas machen. Die deutschen Sozialdemokraten sind offenbar
mit ihrem Latein zu Ende. Im ersten Abschnitt ihres Daseins
lag der sozialdemokratischen Partei die Aufgabe ob, den sozia¬
listischen Gedanken im Arbeiterstande zu verbreite» und diesen
Stand zu organisiren. Den sozialistischen Gedanken an sich hat die Wissen¬
schaft längst als berechtigt anerkannt, ist er doch die unentbehrliche Ergänzung
des individualistischen Kapitalismus. In seiner „Quintessenz des Sozialismus"
hat Schaffte schon vor siebzehn Jahren nachgewiesen, „daß die sozialistische
Hauptidee öffentlicher Grundorganisation der Güterhervorbringung und des
Güterumsatzes auch eine nicht radikale, nicht demokratische, nicht die ganze
Volkswirtschaft verschlingende Ausgestaltung zuläßt. Dieser Sozialismus"
— sagt er im Vorwort zu der eben erschienenen dreizehnten Auflage des ge¬
nannten Schriftchens — „ist längst da und breitet sich zusehends aus. Je mehr
die private kapitalistische Organisation der Volkswirtschaft sich vom Standpunkte
der Gesellschaft aus als leistungsunfühig erweist, je mehr sie auf der Spitze
ihrer Entwicklung in Großmonopole auslaufend die Garantien der Konkur¬
renz für die Gesamtheit einbüßt und abwirft, desto mehr mag dieser praktische
Sozialismus an äußerer Verbreitung und innerer Durchbildung gewinnen.
Meines Dafürhaltens ist eine noch stärkere Hinüberbildung der Volkswirtschaft
der Zukunft aus der kapitalistischen Organisation in die Formen des Vereins¬
wesens (Konsumvereine) und in die Formen des öffentlichen Rechtes (Körper¬
schafts-, Gemeinde- und Staatsanstalten) eine Eventualität, der der Staats¬
mann mit der größten Ruhe entgegensehen kann, sofern nur bei dieser teilweisen
und schrittweisen Umbildung die Erreichung höchster Wirtschaftlichkeit und die


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[0585] [Abbildung] Die Ratlosigkeit der ^ozialdemokratie cum sich nur die rechten Männer fänden, so ließe sich jetzt wohl etwas machen. Die deutschen Sozialdemokraten sind offenbar mit ihrem Latein zu Ende. Im ersten Abschnitt ihres Daseins lag der sozialdemokratischen Partei die Aufgabe ob, den sozia¬ listischen Gedanken im Arbeiterstande zu verbreite» und diesen Stand zu organisiren. Den sozialistischen Gedanken an sich hat die Wissen¬ schaft längst als berechtigt anerkannt, ist er doch die unentbehrliche Ergänzung des individualistischen Kapitalismus. In seiner „Quintessenz des Sozialismus" hat Schaffte schon vor siebzehn Jahren nachgewiesen, „daß die sozialistische Hauptidee öffentlicher Grundorganisation der Güterhervorbringung und des Güterumsatzes auch eine nicht radikale, nicht demokratische, nicht die ganze Volkswirtschaft verschlingende Ausgestaltung zuläßt. Dieser Sozialismus" — sagt er im Vorwort zu der eben erschienenen dreizehnten Auflage des ge¬ nannten Schriftchens — „ist längst da und breitet sich zusehends aus. Je mehr die private kapitalistische Organisation der Volkswirtschaft sich vom Standpunkte der Gesellschaft aus als leistungsunfühig erweist, je mehr sie auf der Spitze ihrer Entwicklung in Großmonopole auslaufend die Garantien der Konkur¬ renz für die Gesamtheit einbüßt und abwirft, desto mehr mag dieser praktische Sozialismus an äußerer Verbreitung und innerer Durchbildung gewinnen. Meines Dafürhaltens ist eine noch stärkere Hinüberbildung der Volkswirtschaft der Zukunft aus der kapitalistischen Organisation in die Formen des Vereins¬ wesens (Konsumvereine) und in die Formen des öffentlichen Rechtes (Körper¬ schafts-, Gemeinde- und Staatsanstalten) eine Eventualität, der der Staats¬ mann mit der größten Ruhe entgegensehen kann, sofern nur bei dieser teilweisen und schrittweisen Umbildung die Erreichung höchster Wirtschaftlichkeit und die Grenzboten III 1891 7?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 50, 1891, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341853_289767/585>, abgerufen am 13.11.2024.